Gesammelte Werke. George Sand

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Gesammelte Werke - George Sand


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wie­der auf­ge­drängt hat.

      Es wäre im­mer son­der­bar, dass eine Vor­stel­lung, die, ver­mö­ge ih­rer kin­di­schen Na­tur, nur der Kind­heit des Men­schen­ge­schlechts eig­nen soll­te, sich durch die Rei­fe der Zei­ten und der Geis­ter so un­wi­der­steh­lich hat hin­durch­kämp­fen kön­nen. Aber ich will doch gleich von vorn her­ein sa­gen, warum ich es des­sen­un­ge­ach­tet rich­tig fin­de, sie eine kind­li­che Vor­stel­lung zu nen­nen. Weil das Kind nicht fä­hig ist, die all­ge­mei­nen Mäch­te des Le­bens in ih­rem ge­setz­mä­ßi­gen, ewig un­ver­än­der­li­chen Wir­ken zu be­grei­fen, son­dern, wo es et­was ge­wirkt sieht, stets ver­mu­tet, dass die Wir­kung von dem will­kür­lich wir­ken­den Wil­len ir­gend ei­ner Per­sön­lich­keit aus­ge­gan­gen sei.

      Der Mensch emp­fin­det zu­erst das, was ihm wohl oder übel tut. Er weiß aus Er­fah­rung, dass er selbst je­dem an­de­ren und je­der an­de­re ihm wohl und übel tun kann. Wi­der­fährt ihm nun Gu­tes oder Schlim­mes, des­sen Ur­he­ber er nicht kennt, so schreibt er das­sel­be ei­nem ihm un­be­kann­ten We­sen zu oder auch ei­nem an­de­ren Men­schen, der aber auf eine ihm ver­bor­ge­ne Wei­se, durch au­ßer­or­dent­li­che Mit­tel das Ge­sche­he­ne be­wirkt hat. Das eine ist der Glau­be an Göt­ter, das an­de­re der Glau­be an Zau­ber­kunst.

      Der Mensch fin­det in sei­nem Geis­te den not­wen­di­gen Zu­sam­men­hang von Ur­sa­che und Wir­kung. Ist ihm der Ge­dan­ke der Not­wen­dig­keit auf­ge­gan­gen, so kann er das Ge­gen­teil da­von, den Ge­dan­ken der Zu­fäl­lig­keit nicht er­tra­gen. Der Blitz schlägt ein. Not­wen­dig ist, dass der Blitz ir­gend wo­hin tref­fe. Der Mensch be­greift aber nicht, warum der Blitz ge­ra­de in sein Zelt, in sei­ne Hür­de schlägt; zu­fäl­lig kann dies nicht sein: es muss ihn ir­gend ein We­sen, da­hin ge­lei­tet ha­ben.

      Die Son­ne be­wegt sich, geht auf, geht un­ter, ver­folgt re­gel­mä­ßig ih­ren Weg. Wohl, so muss in ihr ein Wil­le sein, wel­cher sie re­giert. Der Mensch fin­det in sich die Macht des Wil­lens. Er über­trägt sein We­sen auf die gan­ze Na­tur, sieht in al­lem und je­dem einen frei wir­ken­den Wil­len. Al­les aber, was wirkt, teilt er in die bei­den großen Klas­sen des­sen, was ihm nutzt, und des­sen, was ihm scha­det, ein. Der gute und der böse Wil­le, wel­cher ihm in der Na­tur er­scheint, muss dann, wie des Men­schen Wil­le, sich doch wohl auch mensch­li­cher­wei­se be­stim­men, len­ken, än­dern las­sen. Durch Ge­schen­ke, durch Bit­ten ge­winnt man der Men­schen Herz, er­weckt der Men­schen Wohl­tat, wen­det ihre Übel­tat ab: durch Bit­ten und Ge­schen­ke, durch Ge­bet und Op­fer muss man auf die gu­ten und bö­sen Geis­ter wir­ken, wel­che dem Men­schen in der Na­tur nüt­zen und scha­den kön­nen.

      Der Mensch hat aber auch er­fah­ren, dass sein ei­ge­ner Wil­le nicht all­mäch­tig, son­dern durch un­ab­än­der­li­che Na­tur­ge­set­ze auf ein ge­wis­ses Maß be­schränkt ist. Er über­trägt auch die­se Er­fah­rung auf den Wil­len, wel­chen er in der Na­tur mäch­tig glaubt. Der Wil­le der Geis­ter muss eben­falls an Ge­set­ze ge­bun­den und in Schran­ken ge­bannt sein. Könn­te sich der Mensch die­ser Schran­ken be­mäch­ti­gen, so wür­de er da­durch auf die Will­kür der Geis­ter be­schrän­kend ein­wir­ken, sich wohl gar die­sen Wil­len dienst­bar ma­chen kön­nen. Dazu die­nen Sprü­che, Zau­ber­for­meln, Amu­le­te. Man muss die­se ken­nen, um sie an­wen­den zu kön­nen; ihre An­wen­dung ist eine Kunst, ihr Be­sitz ein Vor­recht ein­zel­ner Men­schen, Zau­be­rer, Scha­ma­nen.

      Hat der Mensch ein­mal sein ei­ge­nes, geis­ti­ges We­sen, den frei­en Wil­len den Mäch­ten der Na­tur, die doch in Wahr­heit ohne Wis­sen und Wil­len, nur nach dem ih­nen ein­woh­nen­den Ge­set­ze wir­ken, bei­ge­legt, so dehnt er auch die Wirk­sam­keit die­ser von ihm mit Wil­len aus­ge­stat­te­ten Mäch­te über das ih­nen na­tür­li­che Ge­biet aus, und be­zieht ih­ren Ein­fluss auf das Ge­biet sei­nes ei­ge­nen, geis­ti­gen We­sens, auf das Ge­biet des wirk­li­chen frei­en Wil­lens. Die Gestir­ne sind nun nicht mehr bloß le­ben­di­ge Mäch­te, Gott­hei­ten und in ih­rer Na­tur­sphä­re wirk­sam, in wel­cher sie, z. B. durch ih­ren Ein­fluss auf den Acker­bau, sich tä­tig zei­gen, son­dern sie rei­chen auch in das ei­gent­li­che Men­schen­le­ben hin­ein und be­herr­schen alle mensch­li­chen Ge­schi­cke. Die Licht­kör­per sind nicht bloß da heil­sam oder ver­derb­lich, wo Licht oder Wär­me na­tur­ge­mäß ent­schei­det, sie sind nun gut und böse über­haupt; es gibt nun gute und böse, hilf­rei­che und un­heil­brin­gen­de Ster­ne; in ih­nen kann nun je­des gute und böse, je­des freund­li­che und feind­li­che Ge­schick ge­le­sen wer­den, und wie ihr ewi­ges, un­wan­del­ba­res Wan­deln, ist jede Wand­lung mensch­li­chen Ge­schicks un­wan­del­bar. So denkt der No­ma­de, der wan­dern­de Ara­ber, der sei­ne wei­ten baum- und was­ser­lo­sen Step­pen durch­zieht, wie der Stern die wei­te Him­mels­wüs­te.

      Aber den­ken Sie sich nun den Men­schen, hol­de Le­se­rin! un­ter ei­nem ewig hei­te­ren Him­mel, in ei­ner üp­pi­gen Na­tur, auf la­chen­den Ge­fil­den, in ei­nem ir­di­schen Pa­ra­die­se le­bend, wo nur die Nacht mit ih­rer Fins­ter­nis und ih­rem Grau­en das Glück des Ta­ges und den Ge­nuss des son­ni­gen Glan­zes und der se­li­gen Fül­le un­ter­bricht. Da däucht ihm al­les Le­bens­vol­le, La­ben­de und Gute wie die ent­zücken­de Hel­le, und al­les Töd­li­che, Schmerz­haf­te, Schlim­me wie das ban­ge Dun­kel. Sanft und gleich­mä­ßig fließt sein Le­ben da­hin; er fin­det in al­lem, was es ihm bringt, kei­ne an­de­re Un­ter­schie­de, als dass das Süße und Be­frie­di­gen­de mit dem Her­ben und Glück­be­schrän­ken­den, wie Tag und Nacht, wie Licht und Fins­ter­nis wech­selt. Es sind zwei Rei­che, zwei Wel­ten: das Reich des Ta­ges und das Reich der Nacht, die hel­le und die dun­ke­le Welt. Bei­de lö­sen in der Na­tur wie in dem Men­schen­le­ben stets ein­an­der ab, bei­de sind da, gleich mäch­tig, gleich be­rech­tigt, müs­sen bei­de von dem Men­schen an­er­kannt und ge­ehrt wer­den.

      Aber das Men­schen­herz sehnt sich nach ei­ner be­stän­di­gen Hel­le, nach dem Sie­ge des Lich­tes über die Fins­ter­nis. Nun trägt der Mensch, wie er in der Un­schuld sei­nes Den­kens nicht an­ders kann, sein We­sen über auf die bei­den un­abläs­sig mit­ein­an­der ha­dern­den Rei­che, sieht in dem Licht wie in der Fins­ter­nis le­ben­di­gen Wil­len.

      Or­muzd, der Geist des Lich­tes, ist der Brin­ger al­les Gu­ten, und Ahri­man, der Geist der Fins­ter­nis, der Brin­ger al­les Bö­sen. Das ist der ein­fa­che Glau­be des Feu­er­an­be­ters (ei­gent­lich des Licht­an­be­ters) im al­ten Iran. Wo Or­muzd ein Gu­tes schafft, ist Ahri­man so­gleich bei der Hand und schafft ein Ar­ges. Als Or­muzd die ers­te Wohn­stadt des Se­gens und des Über­flus­ses ge­schaf­fen hat­te, lehrt das Zen­da­ves­ta, kam der tot­schwan­ge­re Ahri­man und be­rei­te­te im Flus­se, wel­cher die Se­gens­stadt tränk­te, die große Schlan­ge des Win­ters; als Or­muzd Her­den ge­schaf­fen hat­te, schuf Ahri­man Flie­gen, die den Her­den Tod brach­ten; als Or­muzd Dör­fer ge­schaf­fen hat­te, schuf Ahri­man böse Re­den, ver­damm­li­che Zwei­fel, na­gen­de Ar­mut und ver­gif­te­te die Her­zen; als Or­muzd ver­stän­di­ge und lei­den­schaft­lo­se We­sen, ge­schaf­fen hat­te, schuf Ahri­man die böse Kunst Ma­gie und streu­te den ver­derb­li­chen Sa­men des stol­zen Über­muts aus.

      Drau­ßen in der Na­tur, das er­kennt der Mensch wohl, fech­ten die bei­den Rei­che ih­ren Streit nur äu­ßer­lich aus, tre­ten nur wech­sel­wei­se auf die Büh­ne; aber im In­nern des Men­schen ist der Schau­platz, wo das Gute mit dem Bö­sen gleich­sam Brust ge­gen Brust ringt und wo das Gute sie­gen kann: da­her ist der Mensch dazu ge­schaf­fen, dass er das Reich


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