Grundsätze der Philosophie der Zukunft. Ludwig Feuerbach

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Grundsätze der Philosophie der Zukunft - Ludwig  Feuerbach


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im Widerspruch mit demselben, denn er ist an sich, d.i. in der Idee ein immaterielles, d.i. für sich selbst seiendes, isoliertes Wesen. Und diese Idee, dieser also von allen materialistischen Vorstellungen gereinigte Verstand ist eben der göttliche Verstand. Was aber bei Leibniz nur Idee war, das wurde in der späteren Philosophie Wahrheit und Wirklichkeit. Der absolute Idealismus ist nichts anderes als der realisierte göttliche Verstand des Leibnizschen Theismus, der systematisch durchgeführte reine Verstand, der alle Dinge ihrer Sinnlichkeit entkleidet, sie zu puren Verstandeswesen, zu Gedankendingen macht, der mit nichts Fremdartigem behaftet, nur mit sich selbst, als dem Wesen der Wesen beschäftigt ist.

      § 11.

      Gott ist ein denkendes Wesen, aber die Gegenstände, die er denkt, in sich begreift, sind, wie sein Verstand, nicht unterschieden von seinem Wesen, so daß er, indem er die Dinge denkt, nur sich selbst denkt, also in ununterbrochener Einheit mit sich selbst bleibt. Diese Einheit des Denkende und Gedachten ist aber das Geheimnis des spekulativen Denkens.

      So sind z.B. in der Hegelschen Logik die Gegenstände des Denkens nicht unterschieden vom Wesen des Denkens. Das Denken ist hier in ununterbrochener Einheit mit sich selbst; die Gegenstände desselben sind nur Bestimmungen des Denkens, sie gehen rein im Gedanken auf, haben nichts für sich, was außer dem Denken bliebe. Aber was das Wesen der Logik, ist auch das Wesen Gottes. Gott ist ein geistiges, abstraktes Wesen; aber er ist zugleich das Wesen der Wesen, das alle Wesen in sich faßt, und zwar in Einheit mit diesem seinem abstrakten Wesen. Aber was sind die mit einem abstrakten, geistigen Wesen identischen Wesen? Selber abstrakte Wesen – Gedanken. Die Dinge, wie sie in Gott sind, sind nicht so, wie sie außer Gott sind; sie sind vielmehr eben so unterschieden von den wirklichen Dingen, als die Dinge, wie sie Gegenstand der Logik, von den Dingen, wie sie Gegenstand der wirklichen Anschauung sind. Worauf reduziert sich also der Unterschied zwischen dem göttlichen und dem metaphysischen Denken? Nur auf einen Unterschied der Einbildung, auf den Unterschied zwischen dem nur vorgestellten und wirklichen Denken.

      § 12.

      Der Unterschied zwischen dem Wissen oder dem Denken Gottes, welches als Urbild den Dingen vorausgeht, sie schafft, und dem Wissen des Menschen, welches den Dingen nachfolgt als Abbild derselben, ist nichts anderes als der Unterschied zwischen dem apriorischen oder spekulativen und dem aposteriorischen oder empirischen Wissen.

      Der Theismus stellt sich Gott, obwohl als ein denkendes oder geistiges, doch zugleich als ein sinnliches Wesen vor. Er verbindet daher mit dem Denken und Willen Gottes unmittelbar sinnliche, materielle Wirkungen – Wirkungen, die mit dem Wesen des Denkens und Willens in Widerspruch stehen, die nichts weiter als die Macht der Natur ausdrücken. Eine solche materielle Wirkung – folglich ein bloßer Ausdruck sinnlicher Macht – ist vor allem die Schöpfung oder Hervorbringung der wirklichen, materiellen Welt. Die spekulative Theologie dagegen verwandelt diesen dem Wesen des Denkens widersprechenden sinnlichen Akt in einen logischen oder theoretischen Akt, die materielle Hervorbringung des Gegenstandes in die spekulative Erzeugung aus dem Begriff. Im Theismus ist die Welt ein zeitliches Produkt Gottes – die Welt existiert seit einigen Jahrtausenden, und ehe sie wurde, war Gott; in der spekulativen Theologie dagegen ist die Welt oder Natur nach Gott nur dem Range, der Bedeutung nach; das Akzidenz setzt die Substanz, die Natur die Logik voraus, dem Begriff, aber nicht dem sinnlichen Dasein, folglich nicht der Zeit nach.

      Der Theismus verlegt jedoch in Gott nicht nur das spekulative, sondern auch das sinnliche, empirische Wissen, und zwar in seiner höchsten Vollendung. Wie aber das vorweltliche, vorgegenständliche Wissen Gottes in dem apriorischen Wissen der spekulativen Philosophie, so hat auch das sinnliche Wissen Gottes erst in den empirischen Wissenschaften der neueren Zeit seine Realisation, seine Wahrheit und Wirklichkeit gefunden. Das vollkommenste und also göttliche sinnliche Wissen ist nämlich nichts anderes als das allersinnlichste Wissen, das Wissen der allergrößten Kleinigkeiten und unmerklichsten Einzelheiten —»Gott ist deswegen der Allwissende, «sagt der h. Thomas A.,»weil er die allereinzelsten Dinge weiß«– das Wissen, welches die Haare am Haupte des Menschen nicht indiskret in einen Schopf zusammenfaßt, sondern sie zählt, alle, Haar für Haar, kennt. Aber dieses göttliche Wissen, welches in der Theologie nur eine Vorstellung, eine Phantasie ist, wurde vernünftiges, wirkliches Wissen in dem teleskopischen und mikroskopischen Wissen der Naturwissenschaft. Sie hat die Sterne am Himmel gezählt, die Eier in den Leibern der Fische und Schmetterlinge, die Tüpfelchen auf den Flügeln der Insekten, um sie voneinander zu unterscheiden; sie hat allein in der Raupe des Weidenspinners am Kopf 288, am Körper 1647, am Magen und den Gedärmen 2186 Muskeln anatomisch nachgewiesen. Was will man mehr verlangen? Hier haben wir daher ein sinnfälliges Beispiel von der Wahrheit, daß die Vorstellung des Menschen von Gott die Vorstellung des menschlichen Individuums von seiner Gattung, daß Gott als der Inbegriff aller Realitäten oder Vollkommenheiten nichts anderes ist, als der zum Nutzen des beschränkten Individuums kompendiarisch zusammengefaßte Inbegriff der unter die Menschen verteilten, im Laufe der Weltgeschichte sich realisierenden Eigenschaften der Gattung. Das Gebiet der Naturwissenschaften ist seinem quantitativen Umfang nach für den einzelnen Menschen ein völlig unübersehbares, unermeßliches. Wer kann zugleich die Sterne am Himmel und die Muskeln und Nerven am Leib der Raupe zählen? Lyonet verlor sein Gesicht über der Anatomie der Weidenraupe. Wer kann zugleich die Unterschiede der Höhen und Vertiefungen im Mond und zugleich die Unterschiede der zahllosen Ammoniten und Terebrateln beobachten? Aber was nicht der einzelne Mensch weiß und kann, das wissen und können die Menschen zusammen. So hat das göttliche Wissen, das alles einzelne zugleich weiß, seine Realität im Wissen der Gattung.

      Wie mit der göttlichen Allwissenheit, ist es aber auch mit der göttlichen Allgegenwart, die sich gleichfalls im Menschen realisiert hat. Während der eine Mensch bemerkt, was auf dem Mond oder Uranus vorgeht, ist ein anderer auf der Venus oder in den Eingeweiden der Raupe oder sonst an einem Ort, wohin weiland unter der Herrschaft des allwissenden und allgegenwärtigen Gottes kein menschliches Auge gedrungen ist. Ja, während der Mensch diesen Stern vom Standpunkt Europas aus beobachtet, beobachtet er zugleich denselben Stern vom Standpunkt Amerikas aus. Was einem Menschen allein absolut unmöglich, ist zweien möglich. Aber Gott ist ja an allen, allen Orten zugleich und weiß alles, alles ohne Unterschied zugleich. Freilich; aber nur ist zu bemerken, daß diese Allwissenheit und Allgegenwart bloß in der Vorstellung, Einbildung existieren, und also nicht zu übersehen der schon mehrmals erwähnte wichtige Unterschied zwischen dem nur eingebildeten und dem wirklichen Ding. In der Einbildung kann man allerdings die 4059 Muskeln einer Raupe mit einem Blick überschauen, in der Wirklichkeit aber, wo sie außereinander existieren, nur nacheinander. So kann auch das beschränkte Individuum in seiner Einbildung sich den Umfang des menschlichen Wissens als beschränkt vorstellen, während es doch, wenn es wirklich sich dieses Wissen aneignen wollte, nun und nimmermehr an ein Ende desselben kommen würde. Man stelle sich als Beispiel nur eine Wissenschaft, die Historie z.B., vor und löse in Gedanken die Weltgeschichte auf in die Geschichte der einzelnen Länder, diese in die Geschichte der einzelnen Provinzen, diese wieder in die Stadtchroniken, die Stadtchroniken in Familiengeschichten, in Biographien. Wie käme je ein einzelner Mensch an den Punkt, wo er ausrufen könnte: Hier bin ich am Ende des historischen Wissens der Menschheit! So erscheint uns auch in der Einbildung unsere Lebenszeit, sowohl die vergangene, als die mögliche zukünftige, sollten wir auch diese noch so sehr verlängern, außerordentlich kurz, und wir fühlen uns daher in den Momenten solcher Einbildung gedrungen, diese vor unserer Vorstellung verschwindende Kürze durch ein unübersehbares, endloses Leben nach dem Tode zu ergänzen; aber wie lange dauert in der Wirklichkeit auch nur ein Tag, auch nur eine Stunde! Woher dieser Unterschied? Daher: die Zeit in der Vorstellung ist die leere Zeit, also nichts zwischen dem Anfangs- und Endpunkt unserer Rechnung; aber die wirkliche Lebenszeit ist die erfüllte Zeit, wo Berge von Schwierigkeiten aller Art zwischen dem Jetzt und dem Dann in der Mitte liegen.

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