Mami Staffel 3 – Familienroman. Gisela Reutling
Читать онлайн книгу.Hilfskräfte einzusetzen, solange er die Wochenenden bei ihr verbrachte. Jäh durchzog sie schmerzliche Wehmut. Wo mochte Kai sein? In Afrika, in Asien, oder auf dem Balkan, wo ein furchtbarer Krieg zwischen den Völkergruppen gerade das Land verwüstete?
Kai hatte sie ebenso oft allein gelassen wie Reinhard. Aber wenn er bei ihr war, hatte sie in jeder Sekunde sein Herz gespürt. Wie einen starken Motor, der ihre Liebe trotz der langen Trennungen immer wieder mit neuer Kraft versah. Wieviel Energie hatten sie dabei während ihrer stundenlangen Debatten und Streitgespräche vergeudet! Und doch hatte sie sich nie schwach oder so innerlich leer wie jetzt gefühlt.
Sie legte die Hand unter die Wange und sah durch das Fenster in den blauen Sommerhimmel. Wo mochte Kai nur sein? War es falsch gewesen, ihre innige Beziehung so abrupt zu beenden? Hatte sie sich vielleicht nicht doch nur von Reinhards Ruhm blenden lassen? Oder hatte sie die Freiheit gereizt, die sie an seiner Seite genießen konnte?
Sie konnte sich zu keiner Antwort durchringen. Es war doch auch sinnlos. Sie war seit vier Jahren Frau von Redwitz und damit die Gattin eines Prominenten. Dazu noch die Modechefin der Zeitschrift »Mega«. Ja, und auch noch Sandros Stiefmutter. War das nicht genug? Reichte das nicht, um die Erinnerungen an die Vergangenheit ruhen zu lassen?
Eine Woche später war Klaudia wieder Strohwitwe. Aber sie fühlte sich bedeutend besser, telefonierte mit dem Verleger und ihren Kollegen und kündigte ihre baldige Rückkehr in die Redaktion an. Am späten Vormittag kam der junge Couturier Georg, und Klaudia schlüpfte in zwei halbfertige Creationen, aus denen zwei Sommerabendkleider werden sollten. Es waren hinreißende Modelle. Sie lobte den jungen Modeschöpfer und freute sich sogar auf das sommerliche Clubfest, das sie nach Reinhards Heimkehr an seiner Seite und wie immer als strahlend glückliche Ehefrau besuchen wollte.
Plötzlich stand Karla im Zimmer. Leichenblaß und mit belegter Stimme kündigte sie Klaudia einen Anruf des Wirtschaftsministeriums an. Klaudia nahm das Gespräch von ihrem Apparat entgegen. Mit gesetzten Worten übermittelte ihr der Staatssekretär die Nachricht vom Tod Reinhards. Er war über dem Ural mit einer kleinen Maschine abgestürzt und sofort tot gewesen.
Minuten später raffte der junge Couturier seine Creationen zusammen und verließ fluchtartig die Villa. Nur eine halbe Stunde darauf trat Klaudia heraus. Sie trug eine Sonnenbrille, setzte sich in ihr Cabriolet und fuhr zu Sandros Schule.
Es war zwölf Uhr mittags. Die Kinder verließen in Gruppen das Gebäude. Klaudia entdeckte Sandro, führte ihn beiseite und umarmte ihn fest. Flüsternd und einfühlsam bereitete sie ihn auf die furchtbare Nachricht vor.
Sandro verstand zuerst nicht. Er sah sie mit seinen braunen Augen an. Sein Mund öffnete sich, aber er wußte nicht, was er sagen sollte. In diesem Moment fühlte Klaudia einen Strom von Tränen in sich aufsteigen. Es war, als glitte alles an Disziplin und Beherrschung an ihr ab.
Aufschluchzend zog sie den Jungen noch fester in ihre Arme. »Du und ich werden jetzt allein sein, aber immer füreinander da sein, Sandro. Fürchte dich nicht, ich habe dich sehr, sehr lieb und werde dich nie verlassen.«
»Nie?« preßte Sandro heraus, denn allmählich begriff er, daß er nun gar keine Eltern mehr hatte.
»Nie, bis ans Ende meines Lebens«, beteuerte sie schluchzend.
»Ich dich auch nicht«, flüsterte er in der ersten Erschütterung, ohne die ganze Bedeutung seiner Worte begreifen zu können. »Ich dich auch nicht. Auch bis ans Ende meines Lebens.«
*
Drei Jahre später, an einem trüben Märztag, fuhr ein Wagen von Kiel aus gen Norden durch die eintönige Landschaft. Selbst eine strahlende Sonne hätte der eintönigen Landschaft zu dieser Jahreszeit keine Reize entlocken können. Nach dem langen Winter wagte sich kaum ein Blättchen Grün aus dem tristen Braun der Felder, und die Bäume standen noch kahl wie Spinnenfinger gegen das Grau des Himmels.
Rena Liebold seufzte, reckte ihre Arme nach hinten und sah dann Ralf an, der den Wagen mit skeptischem Grinsen über die schnurgerade Landstraße lenkte.
»In der Karibik müßte man sein, wie die Redwitz! Also, ich hab mir unsere erste Reise irgendwie unterhaltsamer vorgestellt, Ralf.«
»Das denke ich mir, Schatz. Tut mir leid. Sieben Jahre kennen wir uns nun. Endlich entführe ich dich zu einer Wochenend-Tour und was kommt dabei heraus? Graues Norddeutschland mit kalten Füßen.«
»Immerhin bedeutet dieser Ausflug den Anfang unseres gemeinsamen Lebens, nicht?« kicherte Rena. »Nach sieben und einem halben Jahr. Oh, Mann, wie geduldig ich war!«
»Geduldig und genügsam. Das erkenne ich an.«
»Und fleißig. Eigentlich könnte ich jetzt, mit fast dreißig, schon Modechefin der Redaktion sein.«
Er lachte. »Träum nur davon! Dann wärst du wie Klaudia von Redwitz gerade auf einer karibischen Insel, würdest die Aufnahmen der neuesten Bademode überwachen und mir was husten, stimmt’s?«
»Nein, ich würde dir was Originelles mitbringen. Zufrieden?«
»Ja.«
»Nur wird es dazu nicht so bald kommen. Die alte Redwitz ist nicht vom Chefsessel zu locken. Sie hat keinen Mann mehr, Kinder kriegt sie auch nicht mehr, also bringt sie alle Power in den Job ein und läßt unsereins keine Nase hochkriegen.«
Ralfs Aufmerksamkeit galt gerade einem Straßenschild.
»Noch sechs Kilometer und wir sind in Brädrum bei Kai, Rena.«
Sie seufzte übertrieben. »Und dann schlägt die Stunde der Wahrheit für uns, ich weiß. Wenn ich deinem Freund Kai nicht gefalle, wirst du unsere Hochzeit abblasen. Ich rechne sowieso mit dem schlimmsten, also mach mir keine Angst.«
Er schenkte ihr einen Seitenblick voller Zärtlichkeit. Rena Liebold trug schon seit Jahren keine rosa Haarsträhnen mehr. Sie hatte jetzt mittelblondes Haar, dessen kurzgestutzte Fülle sie immer wieder hinter die Ohren strich. Natürlich bevorzugte sie Hosenanzüge wie viele berufstätige Frauen, aber er wußte, in ihrer Brust schlug das Herz einer Vollblutfrau.
Deshalb war Ralf in den letzten Jahren manchmal sogar in Versuchung geraten, seine geliebte Rena mit Kais ehemaliger Geliebter, der schönen Klaudia, zu vergleichen. Aber das hatte nicht geklappt. Rena war nicht vornehm und auch nicht so gewitzt. Sie neigte nicht zu diplomatischem Gerede, weil sie ihr Herz auf den Lippen trug. Daß sie es trotzdem zur Assistentin der Chefin gebracht hatte, verdankte sie dieser Geradlinigkeit, aber auch ihrem Ehrgeiz.
»Rena, bitte sprich nicht gleich von Frau von Redwitz, wenn wir bei Kai sind«, bat Ralf, als sie das Dorf Brädrum erreichten. »Ich habe ihm gegenüber nie ein Wort über sie verlauten lassen und auch verschwiegen, daß sie deine Chefin ist.«
»Klar. Mach ich. Versteh nur nicht, was der Quatsch soll. Wenn er unser Trauzeuge ist, wird er ihr doch auf unserer Hochzeit begegnen.« Sie schnaufte. »Ich muß die Frau einladen, Ralf. Darum komme ich nicht herum. Sie wird auch nicht lange bleiben, das versprech ich dir.«
Ralf drosselte das Tempo. »Die Redwitz und Kai waren jahrelang ein Liebespaar.«
»Was? Ist ja Wahnsinn! Nee, erzählt hast du mir nie davon. Ist ja unerhört, Ralf!«
Er hielt an und legte den Arm um sie. »In der knappen Zeit, die wir bis jetzt füreinander aufbringen konnten, hatten wir genug anderes zu besprechen. Stimmt’s?«
Sie strich ihm über die Wange. »Ja. Aber damit ist jetzt Schluß. Juchhuu! Du bist Oberarzt in Wandsbek! Und in zwei Wochen haben wir eine große Wohnung!« Sie verdrehte begeistert die Augen. »Von nun an wird nur noch gelebt und geliebt!«
»Erst wird geheiratet, mein Engel.«
Rena kicherte. »Jaa, ja. Aber nur, wenn Kai damit einverstanden ist, oder? Das Urteil deines Freundes ist dir so wichtig, daß du es für deinen Seelenfrieden brauchst, wie?«
»Ja, und daß er unser Trauzeuge wird.«
Langsam näherte sich der Wagen den ersten Häusern von Brädrum. Es war ein mittelgroßes Dorf