Der Herzensbrecher. Barbara Cartland
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Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2016
Copyright Cartland Promotions 1985
Gestaltung M-Y Books
Der Herzensbrecher
„Ruhig, Junge, wir haben es nicht eilig“, sagte Candida und zog an den Zügeln. Aber noch während sie sprach, erkannte sie, daß sie es doch eilig hatte, daß sie das Unvermeidliche nur hinauszögern wollte. Immer wieder sagte sie sich: ,Das ist das letzte Mal - das letzte Mal, daß ich Pegasus reite, vielleicht überhaupt das letzte Mal, daß ich auf einem so wunderbaren Pferd sitze.’
Unaufhörlich schienen diese Worte in ihrem Gehirn zu hämmern, und sie glaubte sie aus dem Rhythmus der Pferdehufe herauszuhören, die über die Straße trommelten.
,Das letzte Mal - das letzte Mal - das letzte- mal ...‘
Sie blickte sich in der Landschaft um, durch die sie ritt. Die Hecken zeigten die ersten grünen Frühlingskeime. Die Wiesen sahen frisch und wie neugeboren aus. Die Primeln schauten aus dem Moos hervor, und die Anemonen, weiß und jungfräulich, bildeten ganze Teppiche in den Wäldern.
,Das letzte Mal - das letzte Mal...‘
„Oh Pegasus“, sagte Candida leise, beugte sich vor und klopfte auf den Pferdehals. „Wie kann ich es ertragen, dich gehen zu lassen? Wie konnte es überhaupt so weit kommen?“
Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, aber sie schluckte sie hinunter. Was hatte es denn für einen Sinn zu weinen? Es war alles so hoffnungslos. Sie konnte nichts tun, um Pegasus zu retten - oder sich selbst.
Sie hätte wissen müssen, daß dies passieren würde, als ihre Mutter vor einem Jahr gestorben war. Nur Candida hatte geahnt, wie mühsam ihre Mutter mit sich gekämpft hatte, um vor ihrem Mann die Schwäche und die Schmerzen zu verbergen, die mit jedem Tag größer geworden waren.
Candida hätte auch wissen müssen, daß ihr Vater nicht lange ohne seine Frau würde leben können - ihr heiterer, liebenswürdiger, aber charakterschwacher Vater. Jede Nacht hatte er im Gasthaus ,The King’s Head‘ gesessen, um sich zu betrinken, um die plötzliche Leere in seinem Haus zu vergessen.
„Warum hat sie mich verlassen?“ schrie er, und die Worte schienen von den Wänden widerzuhallen. „Emmeline - Em- meline...“
Ich hätte es wissen müssen, dachte Candida, daß ich ihn nie wiedersehen würde, als er an jenem letzten Abend ausritt. Es war den ganzen Tag kalt und feucht gewesen, und in der Abenddämmerung hatte es zu regnen begonnen.
„Bleib heute zu Hause, Papa“, hatte Candida ihn gebeten, als er dem alten Stallknecht Ned die rotbraune Stute Juno zu satteln befahl.
„Ich habe eine Verabredung“, antwortete er.
Aber er wich ihrem Blick aus, und sie wußte nur zu gut, daß er im ,King’s Head‘ mit einer Flasche Brandy verabredet war.
„Sieh doch, Papa, ich habe in der Bibliothek das Kaminfeuer angemacht, und ich glaube, im Keller steht auch noch eine Flasche von deinem Lieblingsrotwein. Dann kannst du vor dem Feuer sitzen und ein Glas trinken.“
„Allein?“ stieß er hervor, und sie hörte den Schmerz, der in seiner Stimme mitklang.
„Ich werde mich zu dir setzen“, sagte sie schüchtern.
Für einen Augenblick glaubte sie die Mauer des Elends durchbrochen zu haben, die er um sich errichtet hatte.
„Sicher würdest du das tun“, erwiderte er. „Und dann würdest du mich hinauf ins Bett tragen. Du bist ein gutes Kind, Candida.“
Er beugte sich zu ihr herab, um sie zu küssen, und sie glaubte schon, sie hätte ihn zum Bleiben überredet. Aber dann schob er sie fast grob von sich.
„Ich muß meine Verabredung einhalten.“
Wieder einmal trieb ihn die Verzweiflung über den Verlust seiner Frau aus dem Haus. Er konnte die Räume und die Gegenstände nicht sehen, die ihn so schmerzlich an sie erinnerten - ihren Lieblingsstuhl mit dem kleinen Kissen, das sie bestickt, die Tische, auf denen sie in Vasen Blumen arrangiert hatte. Oder das Nähtischchen, das immer neben ihr gestanden hatte, damit sie sich beschäftigen konnte, wenn er ihr seine Gedichte vorlas.
Candida wußte, daß es diese Gedichte waren, derentwegen sich die Familie ihrer Mutter so erbittert gegen die Heirat gestellt hatte. Als Kind hatte sie sich oft gewundert, warum sie so wenige Verwandte besaß, während andere kleine Mädchen Großeltern und Onkel und Tanten und Vettern und Kusinen hatten.
Sie waren arm, aber das hatte Candida stets fraglos akzeptiert. Wenn einer der Verleger unerwartet Geld schickte, gab es immer einen Grund zum Feiern. Dann kochte ihre Mutter ein köstliches Essen, spielte Klavier, und ihr Vater sang dazu.
„Gladys’ Großvater hat ihr zu Weihnachten ein Pony geschenkt“, hatte Candida einmal ihrer Mutter erzählt. „Warum habe ich keinen Großvater?“
Ihre Mutter hatte ängstlich über die Schulter geblickt.
„Still, Liebling, sprich jetzt nicht davon. Es könnte deinen Vater aufregen.“
„Warum?“ fragte Candida.
Jahrelang hatte sie immer die gleiche ausweichende Antwort erhalten. Dann hatte sie durch eine zufällige Bemerkung erfahren, daß ihre Eltern miteinander durchgebrannt waren.
„Wie aufregend, Mama! Erzähl mir davon - bitte!“
„Ich habe deinem Vater versprochen, daß ich niemals mehr über das Leben sprechen werde, das ich vor der Begegnung mit ihm geführt habe.“
„Du mußt es mir erzählen, Mama. Die anderen Kinder im Dorf reden auch über ihre Verwandten. Und ich komme mir dann immer so dumm vor, wenn ich nichts erzählen kann. Und es ist doch seltsam, daß ich keine Verwandten habe.“
„Du hast doch Papa und mich. Ist das nicht genug, Liebling?“
„Natürlich.“
Impulsiv schlang Candida die Arme um den Hals ihrer Mutter.
„Ich könnte mir keine besseren Eltern als euch beide wünschen. Aber ...“
Sie brach ab, und ihre Mutter beendete lächelnd den Satz.
„Aber du bist neugierig.“
„Ja, sicher. Verstehst du das denn nicht?“
Sie war damals zwölf Jahre alt gewesen, und es hatte sie oft in Verlegenheit gebracht, daß die Leute sich über ihre Mutter zu wundern schienen. Denn die Mutter sprach nie von ihren Eltern, erwähnte nie, wo sie gelebt hatte, bevor sie nach Little Berkhamsted gekommen war.
Little Berkhamsted war ein Dorf in Hertfordshire. Es hatte knapp hundert Einwohner und bestand nur aus ein paar Häusern, die sich um eine graue normannische Kirche scharten. Candidas Eltern lebten in einem kleinen elisabethanischen Haus. Es hatte niedere Decken mit Eichenbalken, kleine Räume und einen winzigen Garten, in dem ihre Mutter nicht nur Blumen, sondern auch Kräuter züchtete. Aus diesen Kräutern braute sie Medizin für die Leute, die es sich nicht leisten konnten, zum Arzt zu gehen. Sie hatte den kleinen Ort geliebt, und als sie beerdigt wurde, war ihr Grab mit unzähligen Kränzen und Blumen geschmückt, in Liebe und Dankbarkeit von den Dorfbewohnern gespendet.
„Bitte, erzähl es mir doch“, hatte die zwölfjährige Candida immer wieder gebettelt.
Schließlich war ihre Mutter aufgestanden und zu einem der Fenster mit dem Gitterwerk gegangen.
„Ich bin hier so glücklich. Ich hatte gehofft, die Vergangenheit wäre vergessen. Aber wahrscheinlich hast du ein Recht, alles zu wissen. Du mußt mir nur versprechen, daß du deinem Vater gegenüber nie erwähnen wirst, was ich dir jetzt erzähle. Ich möchte nicht, daß er sich aufregt.“
„Natürlich verspreche