Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.den Ofen wieder hin, sonst war die ganze Geschichte nicht das halbe Pläsier. Und Tisch und Bänke hatten sie mir in meiner Abwesenheit gleichfalls derartig verrückt, dass ich mit vier Fäusten und acht Beinen hätte greifen und laufen mögen, um nur die allernötigste Ordnung wieder hereinzubringen. An Karl Ebeling erinnerst du dich wohl nicht mehr? Das war ja unser Junge zu unserer Zeit auf dem Hofe! Na, siehst du, es freut mich, dass dir der Lümmel doch wieder frisch in der Erinnerung aufgeht! Er hat damals manchen Wurf mit dem Pantoffel und manchen Schlag mit dem Küchenbesen, der moralisch mir gehörte, aushalten müssen; und nun male dir meine Genugtuung, dass ich das Ungetier (einen anderen Namen hatte Jule Grote ja nicht dafür!) voll ausgewachsen, mannbar und mit einem Schatz versehen, und dazu als Reserve-Unteroffizier, wiederhabe, und zwar als unseren Oberknecht! Er sitzt jetzt mit Anstand zu meiner Linken an unserem Tische in der alten Stube, weißt du; aber ein anderes Exemplar von ihm in seiner lieben Jugend und Gefräßigkeit und Flegelhaftigkeit habe ich, Gott sei Dank, dazu wieder mir gegenüber am anderen Ende des Tisches. Karl Eggeling heißt der Schlingel heute; na, und ich muss mir doch manchmal in den Ärmel lachen, wenn ich wieder einmal zu erfahren habe, dass die alte Jule immer noch nicht milder und sanfter gegen diese Spezies von der menschlichen Gesellschaft gestimmt ist. – Die alte Jule! Da sind wir wieder bei ihr und ihrem Einzuge auf dem Steinhofe. So in Tränen gebadet habe ich noch kein Frauenzimmer bei keinem irdischen Zufall und weder in Amerika noch in Europa erblickt! Du hättest ihr das größeste Unrecht antun können, und es hätte diese Flut nicht aus dem Schütt gelassen. So weich wie das Glück hatte das Unglück sie längst nicht gemacht. Freund Stakemann, der auch noch lebt, Fritz, – du weißt, Stakemann, der mich damals so treu brieflich warnte, als es längst zu spät war! – Stakemann, der immer der alte vergnügte Kerl geblieben ist, kam leider auch hier mit seinem Witz post festum. Die spaßhafte Bemerkung, dass der Weg von Bodenwerder her wohl nächstens unter Wasser stehen und dass man sich demnächst in Bremen über das große Wasser wundern würde, hatte ich bereits gemacht, geradeso wie damals, das heißt die Jahre vorher, meine Geschäfte mit dem Doktor Schleimer, dem ich, wieder beiläufig, leider nicht in den Vereinigten Staaten begegnet bin, um ihm offenherzig meine Meinung sagen zu können. – Sonst war mir übrigens selber eigentlich auch nicht spaßhaft zumute, sondern sehr im Gegenteil. Ich saß da auf dem Leiterwagen und hielt den Arm um die Alte und tröstete sie und mich nach besten Kräften in unserem Glück. Es ist keine Kleinigkeit, selbst im glücklichsten Fall, sich um soviel älter – alt – und in diesem auch als Greisin zu sehen und zu fühlen, dass man noch einmal eine glückliche Minute herausgefischt hat! Ich weiß nicht, Langreuter, ob ich dir das nach der Syntax vortrage, aber eine Wahrheit ist es, verlass dich drauf. Nicht wahr, alter Freund, wenn einer den anderen so recht verstehen soll, dann braucht der nur recht unverständlich zu sprechen, wenn er seine Meinung nur recht tief aus dem Grunde heraufholt?! Daher, wo man gar nicht mehr weiß, ob man aus seiner eigenen Seele spricht oder der des anderen!… Nun spricht man häufig davon, dass es sehr süß ist, eine junge Geliebte vom Wagen zu heben, um sie in die neugegründete Heimat einzuführen. Ich glaube dieses herzlich gern, obgleich ich es leider noch nicht selber an mir und an einem guten Mädchen probiert habe; aber sozusagen etwas Bräutliches hatte auch Jule Grote an sich, als sie mit ihrem Anverlobten, dem Steinhofe, wieder zusammenkam nach so langer Trennung und hoffentlich jetzt auf immer. Während des Zwischenreichs und der Fremdherrschaft hatte sie natürlich keinen Fuß in die Gegend gesetzt: ›Zehn Pferde hätten mich nicht in das Hoftor gezogen, Just!‹ rief sie einmal über das andere, während sie jetzt durch alle Stuben und Kammern, treppauf und treppab, durch Stall und Garten humpelte und mich mit seligen Tränen in den Augen auf alles aufmerksam machte, was ›das fremde Volk während seiner Herrschaft nach seinem Gusto verändert oder gar ganz schandbar verrungeniert hatte‹. Wir gingen alle mit ihr, und weißt du, Fritz, was nach meinem Vergnügen an der Alten mir das Lieblichste war? Das war unsere liebe Eva Sixtus, die ihren alten Papa führte und, immer verstohlen mit ihrem weißen Taschentuche an den Augen, wie ein weinender Frühlingsmorgen aussah. Es war ein wahres Glück, dass Stakemann fortwährend seine schlechten Witze und altbekannten nichtsnutzigen Bodenwerderschen Redensarten und Anekdoten uns dabei zum besten gab; die Sache hätte sich sonst wirklich für einen Bürger der Vereinigten Staaten von Nordamerika zu sehr ins Gerührte verlaufen. Du hast unsere liebe Eva wohl lange nicht gesehen, Fritz? Das ist sehr schade. So jung wie vor zehn oder zwölf Jahren ist sie heute nicht mehr; aber das muss ein heikler Patron sein, für den sie nicht in die Länge und in die Breite in die allersüßeste Frauenfreundlichkeit sich ausgewachsen hat! Und dann solltest du den Förster über sie hören! Hast du selber einen Speech auf der Seele, so lass ihn um Gottes willen nicht zum Worte über sie kommen. Da redet er kopfwackelnd das allervolkreichste Meeting vom Stump zu Tode. Freilich, was mich betrifft, so bringe ich ihn immer mit dem größten Vergnügen auf seine Tochter, sein liebes Mädchen, und dir, Fritze Langreuter, würde es wohl ebenso gehen, wenn du dir unter deinen jetzigen großartigen und weltgelehrten Verhältnissen noch das alte bescheidene Herz und Vergnügen an allen diesen unseren alten Dingen und Leuten von Schloss Werden, dem Steinhofe und der Umgebung hättest bewahren können. Dass das freilich nicht gut möglich ist, sehe ich aber recht gut ein, mein Junge!«…
Ich hatte mir geschworen, den Menschen nicht zu unterbrechen, und ich unterbrach ihn auch jetzt nicht; aber ich sprang auf vom Stuhl, knöpfte mir die Weste auf und trat auf längere Minuten an das Fenster, um die brennende Stirn an die Scheiben zu drücken und auf das dem Morgen hastig zutreibende Gewölk zu sehen und auf den Wind zu horchen. Als ich an den Tisch zurückkam, hatte sich der Vetter Just eine frische Pfeife gestopft und hielt eben das brennende Zündholz darauf. So gleichmütig und phlegmatisch, als ob er mir nicht das geringste gesagt habe, was einen Privatdozenten ohne Zuhörer und einen Doktor der Philosophie ohne Philosophie aufregen könnte. Und jetzt sagte er noch dazu:
»Wahrhaftig, wenn man so ins Schwatzen kommt!… Zwei Uhr am Morgen! Bei uns auf dem Steinhofe fangen da schon die Hähne an zu krähen. Und ich sitze hier und rede und rede und bedenke gar nicht, wie ich dich von der nächtlichen Ruhe abhalte und wie kostbar gerade deine frischen Morgenstunden für die gelehrte Welt und die Wissenschaften sind. Aber guck, Fritz, so bleibt ein Deutscher immer ein Deutscher! Ein echt eingeborener Nordamerikaner hätte dir einfach gesagt: Ich habe den Steinhof wieder; wenn du Lust hast, male dir alles übrige dazu oder lass es bleiben. – Ich dagegen sitze hier und möchte dir auf jeder Faser und Fiber in mir meine Gefühle und Erlebnisse in der alten Heimat nach der Heimkunft vorspielen und frage den Teufel danach, ob das dir noch interessant ist oder nicht. Aber jetzt auch kein Wort mehr! Wo ist mein Überrock? Hier. Und hier ist