Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.sowie vom Steinhofe und hatte, wie der Vater Sixtus sich ausdrückte, »von allen immer am meisten Dinte an den Fingern gehabt«.
Und seltsam und – wie schon gesagt, es ging darob eine gewisse Umwandlung meiner Stimmungen ins Heitere und Zufriedene in mir vor. Ich merkte es, dass meine einsamen Lehrjahre doch ihre Frucht getragen hatten: es verstand keiner von ihnen es so gut wie ich, sich seine Stimmungen »zurechtzumachen«. Zurechtmachen! Ich finde kein besseres Wort dafür, und sämtliche philosophische Systeme sind gleichfalls darauf erbaut.
So sah ich, hörte und schreibe ich jetzt nieder, und allesamt meinten sie ganz verwundert:
»Nein, dieser Fritz! Nein, dieser Langreuter! Nein, dieser Herr Doktor! Dieser Herr Doktor Langreuter! Wacht er jetzt erst so auf, oder ist er immer so gewesen? Im Grunde ist das ja der Gemütlichste, Heiterste und Gleichmütigste von uns allen! Wie sich doch der Mensch verändern kann!«
Lassen wir auch dieses und vorzüglich das letztere mit Gelassenheit auf sich beruhen. Es hat noch kein Mensch wirklich ausfindig gemacht, wie weit und wie sehr sein Nachbar im Raum und in der Zeit sich verändert habe, während man selbst glaubte, ganz derselbe geblieben zu sein.
»Wo steckt Ewald?« fragte ich, als ich endlich zum Kaffee herniederstieg und nur die Sonne, die Hunde, den Förster und seine Tochter in der Wohnstube fand.
»Er ist zum Vorsteher und holt sich die Schlüssel zu seinem Schloss«, sagte Eva.
»Sage nur dreist: zu seinem bezauberten Schloss, Kind«, meinte der alte Herr, ein wenig schadenfroh lachend. »Nun lass ihn die Nuss knacken, die er sich vom Busch heruntergeholt hat! Mein Junge Herr von Schloss Werden? ’s ist die Möglichkeit! Kein Mensch begreift, was das heißen soll, und ich am allerwenigsten. ›Sind Sie ganz fest überzeugt, dass er nicht verrückt ist, Herr Förster?‹ hat mich der Doktor Spindler, der Advokat aus Bodenwerder, erst vor acht Tagen noch gefragt.«
»Und was haben Sie dem Doktor geantwortet, Herr Oberförster?«
»Du, was habe ich ihm denn eigentlich geantwortet?« wendete sich der Alte an seine Tochter.
»Darf ich dir noch eine Tasse Kaffee einschenken, lieber Fritz?« fragte Eva. »Ach, es war ja noch vor eurer Heimkehr, dass der Herr Notar Spindler neulich bei uns vorsprach.«
»Wie die Gräfin sich zu der Geschichte stellen wird, soll mich am meisten wundern«, brummte der Alte, eine gewaltige Rauchwolke in die wundervolle Sommermorgenluft hineinblasend und einen Kohlweißling, der sich eben in das Fenster verirrte, halb dadurch erstickend. In demselben Augenblick trat der Sohn des Hauses, hochrot vom raschen Gange und sonstiger Aufregung und sich bereits so früh bei seinem Tagewerk den Schweiß von der Stirn trocknend, wieder ein.
»Sieh, da bist du ja auch, Langreuter! Guten Morgen, old boy. Hoffentlich hast du gut geschlafen und angenehm geträumt in der ersten Nacht zu Hause.«
»Ich habe erst ziemlich gegen Morgen zu den Versuch gemacht, lieber Freund«, erwiderte ich lächelnd. »Zum wenigsten freue ich mich gegenwärtig unendlich, endlich einmal wieder hier zu sein und solche Versuche, wie du sagst, zu Hause anstellen zu können.«
Der Freund setzte sich zu uns; er versuchte es, gleichmütig auszusehen und heiter in das Gespräch mit dreinzureden, doch es gelang ihm schlecht. Man sah wohl, dass der erste schöne Morgen in der Heimat nicht leicht auf ihm lag. Von Zeit zu Zeit schüttelte er leise den Kopf, kaute an dem Schnurrbart und summte eine seiner lustig-melancholischen irischen Weisen vor sich hin. Es arbeitete etwas in ihm, dem er noch auf keine Weise eine rechte Handhabe abzugewinnen vermochte. Jetzt sprang er, von innerlicher Unruhe getrieben, von neuem auf, schritt einige Male durch das Gemach, kam zu uns zurück, stützte beide Hände auf den Tisch, sah uns der Reihe nach an, als wolle er für ein schwer abgehendes Geständnis vor allen Dingen sich unserer gutmütigen Teilnahme versichern, klopfte sodann mit dem Zeigefinger der Rechten scharf auf, um unsere ganze Aufmerksamkeit noch mehr wachzurufen, und ächzte:
»So dumm – so verloren, verraten und verkauft wie in diesem Moment bin ich mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen! Hätte ich in meiner Jugend mehr Prügel bekommen, so wär’s mir jetzt vielleicht wohler, Herr Vater. Ob der Katzenjammer vorübergehend oder von Dauer ist, beste Schwester, kann ich gegenwärtig natürlich noch nicht wissen; aber für den Augenblick bin ich fest überzeugt, dass ich mich – gründlich verspekuliert und all meine Trümpfe vergeblich ausgespielt habe. Herrgott, da kommt das Dorf, um uns zu begrüßen zu unserer Heimkehr, Fritze! Evchen, ich bitte dich um alles in der Welt, geh hin und sag ihnen, wir wären schon wieder abgereist und ließen sämtliche gute Nachbarn und liebe Freunde herzlichst grüßen.«
»Was sich wohl schwer tun lassen möchte«, meinte der Vater Sixtus aufstehend und seinem Sohne jetzt ganz zärtlich auf die Schulter klopfend. »Jaja, mein Söhnchen, es ist mancher Papst geworden, dem der heilige Stuhl nachher ziemlich heiß geworden ist. Kommt nur ’rein, Gevatter Timme! Ja, ’s ist richtig, hier sind die jungen Leute aus der Fremde zurück, und mein Junge da ist Herr von Schloss Werden… soviel noch davon übrig ist. Und da ist ja auch der Vorsteher! Alle herein, herein! Wir haben eben noch nach allen vier Winden hin nach gutem Rat gewittert. Räume die Kaffeekanne ab und die Tassen, Mädchen; der Doktor ist item fertig. Jetzt nehmen wir einen Jägerschluck auf die vergnügte Gelegenheit, nicht wahr, Kantor Dröneberg. Dem Pastor warten die Insel Irland und die allmächtige gelehrte Stadt Berlin nachher freundlich und persönlich auf. Kannst auch auf die Rauchkammer steigen, Evchen, wenn du aus dem Keller glücklich wieder herauf bist. Wir haben eben allesamt doch eine kleine Stärkung der Seele und des Leibes notwendig; nicht wahr, Ewald, nicht wahr, Fritze Langreuter? Vivat Dorf Werden und das Schloss dazu! Nur schade, dass wir den Vetter Just aus Neu-Minden jetzo nicht bei uns in unserer angenehmen Mitte haben. Setzt euch, Nachbarn und liebe Freunde, wenn ihr mit dem Händeschütteln endlich zu Rande seid und euch die zwei – Herren da genug und andächtig genug beguckt habt. Ei ja freilich, liebe Freunde, so was kommt wahrhaftig nicht alle Tage nach Hause, und es verlohnt sich wohl, dass man darum ausnahmsweise mal seine eigene Arbeit hinlegt, um das bei einem guten Stück Schinken und einem echten alten Korn sich genauer zu betrachten. Verwechselt sie nur nicht! Dies hier ist der Berliner Doktor, und das da – na, das ist denn wirklich mein Junge, der Ewald Sixtus, der sich als ausländischer Baumeister kurioserweise wirklich ein Vermögen gemacht hat und sich nachher doch noch kuriosererweise an seinen alten Vater erinnert hat und gestern Abend angekommen ist, um hier bei uns, wie er eben sagt, seinen höchsten Trumpf auszuspielen. So dumm von wegen dessen, was die nächste Zeit hier bei uns passieren wird, bin ich auch noch niemals in meinem Leben gewesen.