Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.Lächeln zum Eintritt ein, indem er brummte:
»Du bist gelehrt, sprich du mit ihm, Horatio.«
Um doch etwas zu sprechen, meinte ich:
»Wie mir scheint, mein Bester, wird es wohl weniger auf die Gelehrtheit als auf das Kapital ankommen, um hier von neuem Ordnung zu stiften, die Eulen, Fledermäuse und sonstigen Nachtgespenster zu verjagen und gebildet menschlich Behagen wieder möglich zu machen.«
»Für deutsche Verhältnisse bin ich ein reicher Mann«, sagte der Freund kläglich. »Meine Meinung aber ist, dass Maurer, Zimmerleute, Maler und Tapezierer es nicht in diesem Falle tun werden. In der Hinsicht weiß ich freilich schon selber, was ich zu tun habe, und brauche deinen Rat nicht, um den Bann und Zauber vermittelst eines vernünftigen Kostenüberschlags und mit Hammer, Säge und Mauerkelle zurechtzurücken. Wir hatten aber voreinst unsere Nester in das grüne Gezweig und den Sonnenschein gehängt, und du hast, als wir gestern nach Hause kamen, gesehen, wie die Racker ihren nichtswürdigen Kommunalweg über die Stätte hingelegt haben; – Fritz, Fritz, wir sind eben als alte Leute nach Hause gekommen, und die Landstraße geht auch über Schloss Werden weg. Fritz, ich richte es nicht wieder auf für uns und – Irene Everstein. Ich kann nur etwas anderes an die Stelle setzen, und sie wird höchstens kommen und sagen: ›Ich danke, es war wohlgemeint, aber das Rechte ist es leider nicht!‹ – Und wenn sie wirklich sagt ›leider‹, so muss ich das Wort schon für etwas nehmen, worauf ich kaum einen Anspruch habe. Nun, der Glücklichste hat am Ende nichts weiter als die Illusionen, die er sich bei seiner Arbeit und auf dem Wege macht. Sieh dich um, Langreuter! Du bist aus Bequemlichkeit zu Hause nicht mein Schwager geworden, und ich war ein Tor, als ich mir einbildete, durch Hartnäckigkeit, grimmiges Zugreifen und Maulhalten in der Fremde meinen Willen durchzusetzen. Faix – och arrah, in die Kölnische Zeitung werde ich demnächst Schloss Werden setzen, und es wird sich hoffentlich jawohl wieder ein Liebhaber dazu finden. An der gehörigen Reklame soll’s nicht fehlen.«
Ich sah mich um. Es war nicht nötig, dass der Freund mich noch dazu einlud; wir hatten die große Halle durchschritten und standen in dem Gartensaale, in welchem mein Vater gestorben war und wo ich so kindlich-betroffen, verwirrt-verwundert, so müde, durstig und betäubt von der langen Fahrt durch den heißen Sommermorgen meine Mutter sich über die Leiche hinwerfen sah. Mit voller Deutlichkeit stand alles, wie es damals war, von neuem vor meiner Seele; aber es war kühl, kellerartig kühl in dem lange verschlossen gewesenen Raume, und die Bilder der Vergangenheit konnten mir das Frösteln nicht verjagen. Das Sonnenlicht fiel nur durch die Spalten der Läden in den Saal; Haufen Gerümpel aller Art füllten die Winkel. Die Tür, die in den Park führte, war gleichfalls mit Brettern vernagelt; ich aber hatte selbst den Vogel Pfau nicht vergessen, der damals so vornehm auf die Schwelle trat und mir seine Schönheit zeigte. Es war der Herr Graf, der meine heiße Hand mit seiner kalten ergriff und mich näher an das Sterbelager meines Vaters heranführte. Er berührte leise die Schulter meiner Mutter, sie aber zuckte nur zusammen, aber richtete sich nicht empor, sah sich nicht um. Der Spuk, der den Stadtrat Bösenberg beim Antritt seiner Erbschaft in dem Hause seines Herrn Onkels in Finkenrode bewillkommnete, war nur – anerkennenswert literarisch verwendet und nichts weiter!…
»Meine Tochter, Komtesse Irene!«… Die Stimme kam herüber wie aus einem fernen Jahrhundert, und dann fühlte ich eine andere Hand in der meinigen, doch diesmal eine Kinderhand. Auf der sonnigen Gartenschwelle stand Irene Everstein – es flimmerte mir vor den Augen wie von einem hellen Mädchenkleide und einer Fülle blonder Locken. Der Wundervogel stieß einen gellenden, krächzenden Schrei aus und schlug sein Rad herrlicher. Sie aber verscheuchte ihn mit einer Handbewegung und stand plötzlich neben mir; – wir waren zum ersten Mal zusammen unter den vielen Erwachsenen um uns her.
Vielleicht hatte der Freund doch nicht so ganz Unrecht mit seinem seltsamen Zitat: ich war gelehrt und ich konnte vielleicht auch sprechen mit dem Schloss Werden! Jedenfalls verstand ich recht wohl, was es selber von sich erzählte. Wir hatten lange genug dazu auf einem vertrauten Fuße gelebt, und Gründe, uns gegenseitig die Wahrheit vorzuenthalten, waren auch nicht vorhanden; und gelassener als der Freund, der irländische Ingenieur, konnte ich von Rechts wegen die Gestalten und Bilder der Vergangenheit an den Wänden hinhuschen sehen. Ich hatte mir in der Fremde nicht vorgenommen, diese ruinierten Wände mit neuen Tapeten zu bekleben und neue Bilder daran aufzuhängen. Er, der Freund, der so weit von Hause und so lange Jahre hindurch still und hartnäckig seinen Schweiß und sein Herzblut darangesetzt hatte, den Bann, der auf dieser Stätte lag, zu lösen, hatte jetzt freilich große Angst und viel Unruhe, und zwar mit vollem Rechte: ich saß nur in melancholischem Nachdenken auf der Stelle nieder, wo wir vordem unsere jugendlichen Spiele getrieben hatten, und sah die Schatten an den Wänden bald heiter, bald traurig vorbeigleiten.
Kopfschüttelnd sagte Ewald:
»Es ist ein gar nicht angenehmes Gefühl, und einen rechten Ausdruck weiß ich eigentlich nicht dafür. Ich komme mir mit einem Male alt – alt – merkwürdig alt vor. Ich habe keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken, wie die Jahre hingehen; aber in diesem Augenblicke ist es mir zum ersten Male klar, dass sie hingegangen sind und uns mitgenommen haben. O, den ganzen Kauf für einen Spiegel in Schloss Werden!… Es ist unbehaglich kalt hier nach dem Gange durch die heiße Sonne. Was meinst du, Fritz; sollen wir weitersteigen, da wir einmal drin sind, und die Spinnen, Fledermäuse und Ratten in Erstaunen setzen? Grau, grau! Och honey, es ist manch ein schwarzer Schatten in meinem Leben auf mich gefallen, aber dieser hier, den Schloss Werden wirft, ist grau und macht grau. Weißt du noch – der große Spiegel im Zimmer der seligen Gräfin –, es ist doch ein wahrer Segen, dass wir den nicht mehr an seinem Platze finden werden! Das könnte freilich dem Gespenstertum die Krone aufsetzen. Und wie glücklich waren die beiden Mädchen vor ihm! Und wie glücklich waren wir, wenn wir sie dabei in ihrem Spaß an sich stören konnten. Und dann – Mademoiselle Martin, und – deine Mutter! Fritz, sollen wir umkehren? Wenn wir weitergehen, müssen wir durch alle Räume, und es sieht überall aus wie hier! Du gehst unbedingt voran, du hast studiert, und ich fasse deinen Rockschoss. Das hätte mir aber vor acht Tagen noch jemand sagen sollen, dass ich je einen anderen auf einem Wege mir voranschieben würde! O Fritz, hinter einer Tür sitzt sie noch in ihrer ganzen jungen Lieblichkeit, und – ich – ich störe die Fledermäuse und die Spinnen um sie auf. Verdammt! So komm endlich! Hier haben wir doch wohl jetzt den Moder und Wurmfraß lange genug angegafft! So grimmig feige und schwachmütig habe ich mich noch nie gefühlt. Wahrhaftig, die Schlacht, die durch pure Heldenhaftigkeit gewonnen ist, sollt ihr Historiker noch ausfindig machen.«