Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.lassen, sondern unter Umständen tüchtig zubeißen werde, und somit war man gewarnt und hatte es sich selber zuzuschreiben, wenn ein Unglück geschah. Was der Afrikaner im letzten Jahre getrieben, was er vergessen und was er gelernt haben mochte, eines stand fest: Er sah jetzt jeglicher Art seiner Landsleute scharf ins Gesicht, und wenn die frühere Blödigkeit bei Gelegenheit in ihr Gegenteil umschlug, so hatte sich keiner darüber zu wundern. Herr Leonhard Hagebucher ging niemandem mehr aus Verlegenheit, sondern höchstens nur aus Höflichkeit aus dem Wege; augenblicklich aber ging er wie die anderen Bewohner der Hauptstadt spazieren und sah freundlich-nachdenklich auf die mit ihm frische Luft Schöpfenden.
Mit dem Strom und gegen den Strom wandelte er gleich den anderen im Kreise um die Stadt bis zu dem segnenden Landesgroßpapa und an demselben vorüber und ließ sich zuletzt auf einer Bank nieder, von welcher man einen Teil des geschilderten Platzes überblicken konnte. Hier saß er und grüßte allerlei Leute, deren Bekanntschaft er schon gemacht hatte, und viele Leute, die ihn bereits kannten, widmeten ihm im Vorübergehen ihre ganze Aufmerksamkeit. Eine Schar Buben versammelte sich um ihn, starrte ihn aus einiger Entfernung an und nahm sogleich Reißaus, als er eine Unterhaltung mit ihr beginnen wollte. Zuletzt rollte über den Platz ein offener Wagen, in welchem zwei Damen saßen, gegen ihn heran, und in höchster Überraschung, ja im hellen Schrecken schnellte er empor und rief: »Nikola!… Nikola!«
Die eine der Damen trug ein weißes Hütchen, die andere ein blaues, und jene mit dem weißen beugte sich mit ihrer Lorgnette herüber; aber der Wagen rollte schnell weiter, und Leonhard, nach einigen Schritten vorwärts, als wolle er ihm nachlaufen, setzte sich wieder sehr fest hin und sprach: »Warten wir also!«
In dem Wagen fasste Nikola von Glimmern die Hand ihrer Freundin, der Majorin Emma, und rief:
»Wer war das eben! Sahest du ihn auch? War er es denn? O gütiger Himmel, welch eine Abscheulichkeit! Welch eine Karikatur! O Gott, Emma!… Johann, wir fahren noch einmal um die Stadt; aber schnell – ventre à terre, schnell, schnell!«
Der Kutscher trieb die Pferde an, und Emma sagte:
»Das war dein Afrikaner in Fleisch und Blut und in einem sehr schönen Gesellschaftsanzuge; in der Tat ein närrischer Held ist’s! Seit einiger Zeit befindet er sich in der Residenz, und man spricht genug von ihm. Mein Mann ist bereits einige Male mit ihm zusammengetroffen und lobt ihn ungemein; auch ich freue mich sehr darauf, ihn genauer kennenzulernen. Werden wir ihn wohl noch auf seiner Bank treffen?«
»Ohne Zweifel!« sagte Nikola; aber man merkte es ihr an, dass sie kaum auf die Worte der Freundin Achtung gegeben haben konnte; sie blickte zerstreut vor sich hin, und wie alles übrige entging ihr jetzt auch das leise Kopfschütteln Emmas.
Der Wagen fuhr schnell weiter. Viele Leute grüßten, und viele Leute sagten: »Siehe da, die schöne Baronin Glimmern! Welch eine gute Partie sie gemacht hat!« – Und wieder andere Leute fragten andere Leute: »Ist das nicht das wilde Fräulein von Einstein, die Tochter der alten, kleinen Generalin in der Schlossstraße?« Worauf die Antwort lautete: »Freilich ist sie’s! Wir nannten sie im Klub la belle effarouchée; aber damit ist’s vorbei, man hat sie nun endlich doch unter die Haube gebracht, und es war Zeit; der Herbstwind fing an, recht impertinent mit den Blättern der Rose zu tändeln. Begreifen Sie übrigens unsern Freund Glimmern? Es gehört eben ein Charakter wie der seinige dazu, um ein solches Spiel bis zum Äußersten durchzuführen!« –
Noch manche Bemerkungen ähnlicher Art wurden in den Gruppen der Spaziergänger gemacht, ehe der Wagen zum zweiten Mal den pater patriae in Bronze erreichte; jetzt aber kam derselbe von neuem in Sicht, und wirklich befand Herr Leonhard Hagebucher sich ebensowohl noch an seinem Platze auf der Bank wie der Höchstselige Herr auf seinem Postament.
»Lass halten, Emma!« flüsterte die Baronin, und der Kutscher zog die Zügel an. Der Bumsdorfer Afrikaner zog den Hut vom Kopfe und trat an den Wagenschlag.
»Da wären wir wieder«, sagte Nikola, ihm die Hand reichend. »Sehen Sie, lieber Freund, es ist, wie ich Ihnen sagte und wie Sie bereits aus eigener Erfahrung wissen konnten: man geht so leicht nicht in der Welt verloren.« Und fast in alter Heiterkeit und Schelmerei sich zu der Frau Emma wendend, rief sie: »Das ist mein Sindbad der Seefahrer, von welchem ich dir so viel des Löblichen und Wunderbaren mitteilte. Nun bitte ich dich, sieh ihn an; hat jemals die Wirklichkeit der Fantasie ärgerlicher ein Bein gestellt? Abscheulich, abscheulich! O lieber Herr, es glaubt Ihnen niemand mehr, dass Sie auf einem Greifen oder dem Vogel Roch nach Nippenburg geritten seien. Wir haben uns viel, viel zu sagen; aber vor allen Dingen bitte ich um den Namen Ihres Schneiders!«
»Felix Zölestin Täubrich, Kesselstraße Numero fünfundfünfzig«, lautete die Antwort, und die Majorin Emma nickte lächelnd, als ob der Künstler zu ihrer genauesten Bekanntschaft gehöre und wohl verdiene, gekannt zu sein.
»Wir sind gestern heimgekommen, Herr Hagebucher, und ich hoffe Sie bald meinem Gemahle vorstellen zu können«, fuhr Nikola fort; »Sie sehen mich gleichfalls bedenklich an; ach, suchen Sie die alte Nikola nicht länger! Es findet sich wohl die Zeit, in welcher wir uns um die Außenseite nicht mehr zu kümmern haben; dann wollen wir andere Sachen mit mehr Ernst besprechen. Die Gaffer nehmen zu viel Anteil an uns; hier haben Sie meine Freundin, Frau Emma Wildberg, die Gattin eines trefflichen Mannes; sie soll unser nächstes Wiedersehen bewerkstelligen. Fort, Kutscher – die Leute werden unerträglich.«
Beide Damen verneigten sich gegen den Afrikaner, und dieser blickte dem Wagen nach, und alle seine Gedanken hafteten an jenem schwarzen Brote, von welchem die Frau Klaudine Fehleysen in der Katzenmühle ein Stück abschnitt, um es dem Fräulein von Einstein, der Verlobten des Herrn von Glimmern, mit auf den Weg in die weite Welt zu geben.
Vierzehntes Kapitel
Es war nur ein Gerücht, dass der große Reisende, Naturforscher und Kammerherr Seiner Majestät des Königs Friedrich Wilhelm des Vierten sich einst in der Schneidergesellenherberge unserer Residenz persönlich nach einem anderen großen Reisenden umgesehen und, als er den Gesuchten nicht vorfand, seine Visitenkarte mit umgebogenem Rande für denselben zurückgelassen habe. Es war nur ein Gerücht; aber dieses Gerücht erhielt sich mit Zähigkeit in allen den Kreisen des Türkenviertels, welche durch die populäre illustrierte Literatur des Tages die Bekanntschaft jenes berühmten Mannes gemacht hatten, und wem anders konnte der große Alexander von Humboldt einen Besuch zugedacht haben als dem Herrn Felix Zölestin Täubrich, der auch sein Wanderbuch