Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.und auf demselben stand in großen Charakteren geschrieben:
»Ich gratuliehre!«
und darunter der Name: »Felix Täubrich«, samt der schlauen Bemerkung: »In seiner Abwesenheit.«
Eine Träne konnte Leonhard Hagebucher aus dem einfachen Grunde nicht aus dem Auge wischen, weil sich keine darin sammelte; aber der schlimmste der Baggaraneger hätte er sein müssen, wenn er noch den kleinsten Rest von Rachgier mit zu diesem geschmückten Tische genommen haben würde. Kopfschüttelnd, lächelnd, mit dem Hute auf dem Kopfe stand er vor diesem Altar der innigsten Zuneigung und malte sich aufs lebendigste aus, welche Tänze und Sprünge der arme, gute, wackere Gesell, der träumende Schneider Felix Täubrich, genannt Täubrich-Pascha, um diesen Strauß und dieses Blatt aufführte, ehe er, das Herz voll der schönsten Hoffnungen und blühendsten Fantasien, sich auf den Weg zum Herrn von Betzendorff machte. Und nun wäre beinahe doch die Träne gekommen mit der Vorstellung, in welcher schlechten Narrenwelt dieser echte, wahre Narr, dieser der Gottheit so wohlgefällige Narr, dieser ganz und gar närrische Täubrich-Pascha aus Jerusalem jetzt hinter den Stühlen stehe und aufwarte.
Da hielt er denn seine Rede und trug den Papierbogen mit dem Glückwunsch wie sein Konzept in der Hand. Ganz direkt an den Pascha hielt er seine Rede, wandte sich häufig an den Tisch und ließ es bei den eindringlichen Stellen an den nötigen Gesten nicht fehlen.
»Sie wünschen mir Glück, Täubrich, und ich nehme den Wunsch mit dem besten Dank an. Sie will nicht und hat ihre Gründe dafür, welche wir gelten lassen müssen. Wir haben uns beide getäuscht, Felix Täubrich, aber in den Mund der Kinder haben die Götter eine große Macht gelegt; mit einer törichten Hoffnung bin ich ausgezogen, ein vollgerüttelt und -geschüttelt Maß der Weisheit bringe ich heim. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre wohlgemeinte Gratulation, nie ist eine solche mehr der Zeit und den Umständen gemäß abgestattet worden. Wir bleiben immer Kinder, und so klug wir auch werden mögen, wir behalten immer die Lust, mit scharfen Messern und spitzen Scheren zu spielen. Nun lassen Sie mich räsonieren, Täubrich! Sie sind ja doch der einzige Mensch in diesem Neste, mit welchem sich vernünftig über so etwas sprechen lässt; es wird nicht jedem so gut, sich sein Publikum wählen zu können, wie wir das bereits vor einiger Zeit erfuhren. Was trieb mich zu dem Gange am heutigen Abend, Täubrich, und was wollte ich durch denselben gewinnen? Ruhe – Zufriedenheit – Glück? Ich, der Mann aus dem Tumurkielande? Ich, der Mann vom Dschebel al Komri, dem Mondgebirge? Sie haben gut mit dem Kopf zu nicken, Täubrich-Pascha! In dem Rauschen der fantastischen Wipfel über Ihrem närrischen Haupte ist freilich Musik, in der alles einen Klang findet, was der Seele und dem Leibe süß und behaglich ist. Ach, Täubrich, über meinem Schädel ist kein Rauschen, weder von den Palmen des Morgenlandes noch von den Buchen und Linden der Heimat! Eine leere dunkle Bläue liegt von Osten nach Westen, von Mittag nach Mitternacht ausgebreitet, und es war eine Verruchtheit, eine heillose Lüge, zu einem armen, kindlichen Wesen zu sagen: Komm her, sitze nieder in dem Schatten meiner Bäume, du sollst es da gut haben! – Das habe ich getan, Täubrich, und ich habe es getan in dem Augenblick, in welchem ich mich sehnte, dass nur eine Wolke, und wäre es auch das schwärzeste Wettergewölk, sich zwischen diese arge helle Sonne und mein armes Gehirn schieben möchte. Schütteln Sie nicht den Kopf, Täubrich; das war der Schatten, welchen ich dem Kinde bieten konnte und welchen ich ihm angeboten habe! Ja, es war mir zu heiß und zu langweilig da draußen in der Sonne, unter dem wunderschönen Blau. Und ich vergaß das Mondgebirge, meinen Bürgerbrief von Abu Telfan, meine grauen Haare und langen Ohren; und weil ich mich trotz meiner vierzig Jahre immer noch jünger fühle als diese lustige Welt um uns her, Täubrich, so vermeinte ich es auch immer noch ebenso gut haben zu können wie andere Leute und stellte die verabredete Frage an das Fräulein. Ich gratuliere!? Ja, gratulieren Sie nur, Täubrich! Sich selber, dem Fräulein und mir, vorzüglich aber sich selber, denn ich hatte auf dem Heimwege große Lust, an Ihnen, Ihrer verführerischen Insinuationen und häuslichen Tugenden wegen, ein schauerliches, ein grausames Exempel zu statuieren. Hier rieche ich an Ihrem Blumenstrauß und bemerke –«
Was der Mann vom Mondgebirge bemerkte, blieb der Nachwelt verborgen. Es polterte unten an der Haustür, es stolperte jemand auf der Treppe, und es pochte eine Hand an der Tür. Den Afrikaner durchfuhr der Gedanke, der Professor habe vom Töchterlein das Nötige und Unnötige doch erfahren und werde von seinen Gefühlen selbst in dieser späten Stunde hergetrieben, um dem Hausfreunde seinen innigsten Dank auszusprechen.
Es trat jedoch, zurechtgewiesen von der aus dem Schlaf aufgestörten Hauswirtin, ein anderer ein, den Leonhard Hagebucher ebenfalls nicht erwartete, nämlich der Major Wildberg.
Einunddreißigstes Kapitel
Wer hört den Knall der Mine, die ihn in die Luft schleuderte? Die Explosion erfolgte vielleicht, während man auf ganz andere Dinge als das unheimliche, gefahrdrohende Wühlen und Graben in der Tiefe unter den Füßen achtete. In die Ferne hatten sich die Gedanken verirrt; es ist so ermüdend, es kann so langweilig werden, immer mit der Partisane im Arm auf derselben Stelle stehen und auf das finstere Treiben da unten horchen zu müssen! Ob wir gleich siebenfältiges Erz um die Brust tragen, die Seele geht doch spazieren, und wir können es nicht hindern. Jenseits der äußersten Bastionen und Gräben lustwandelt sie im freien Felde, pflückt Kornblumen und Klatschrosen aus dem Weizenfelde, vielleicht wohl auch eine echte Rose, die über eine Gartenhecke guckt, oder ein süßes Vergissmeinnicht vom Rande der murmelnden Quelle und träumt sich mitten im Kriege in den tiefsten Frieden hinein. Und während sie lustwandelt, Blumen pflückt und »über goldene Schmetterlinge lacht«, beugt unten im Abgrunde ein wildes, grimmiges, hohnlachendes Gesicht sich über einen kaum sichtbaren Funken und bläst ihn an zu heller Glut. Ein roter Schein zuckt über das Gesicht, das Lachen des Feindes; die Lunte berührt die Zündrute, tempus fuit! Zeit ist gewesen – Zeit ist nicht mehr, die irrende Seele zurückzurufen aus den grünen Gefilden, aus dem Wandeln in der Vergangenheit oder Zukunft, der Reue oder der Hoffnung; nicht zu einem halben Vaterunser, nicht zu dem kürzesten Stoßgebet ist mehr Zeit.
Es gab freilich fast immer nach derartigem verderblichen Feuerwerk Leute, welche man mit ziemlich heilen oder ganz unverletzten Gliedern und nur ein wenig betäubt von der Trümmerstätte zwischen den zerschmetterten Balken, Mauern und Kameraden aufhob und genau über ihre Gefühle ausfragte. Diese Leute blickten dann jedes Mal sehr verwirrt im Kreise umher und auf den Platz oder die Stelle des Platzes, auf welchem sie standen, ehe sie in die Luft flogen,