Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.sprach er:
»Es scheint grimmig kalt draußen zu sein. Sehen Sie doch einmal nach dem Ofen, Täubrich.«
Kurze Zeit darauf knöpfte er die Weste auf, blies und fuhr durch die Haare wie jemand, dem es ungemein heiß zumute ist.
Um fünf Uhr fragte er kläglich, was die Glocke geschlagen habe, und eine Viertelstunde später zog Täubrich-Pascha noch kläglicher die Schultern in die Höhe und klagte trübselig und enttäuscht im Innersten seiner Seele:
»Es ist aus! Es ist vorbei! Er tut es nicht! Er kommt nicht dazu!«
Der Afrikaner atmete in der Dunkelheit vom Sofa her ruhig und friedlich gleich einem schlafenden Kinde. Es hatte in der Tat allen Anschein, als ob er es nicht tun werde. Doch die Überraschung war dann umso größer, als Punkt sechs Uhr der Grübler die Pfeife zur Erde fallen ließ, auf beide Füße sprang und im schärfsten Kommandoton rief:
»Zum Henker, Täubrich, so zünden Sie doch die Lampe an! Sind wir zwei Eulen, dass wir unser ganzes Leben in der Finsternis zubringen? Wo ist mein Halstuch? Wo ist mein Hut? Das ist ja eine entsetzliche Wüstenei! Flink! Vorwärts! Bismillah, ich habe diese Wirtschaft im Zentrum wie in der Peripherie vollkommen satt!«
»Hier, Herr! Hier, Herr!« rief der Schneider, froschartig und an allen Gliedern zitternd im Zimmer umherhüpfend. Die Lampe brannte, Halstuch und Hut fanden sich, noch einmal wollte der Pascha mit der Kleiderbürste auf den Patron los, doch dieser schob ihn feierlich von sich ab und fragte:
»Was für ein Datum schreiben wir?«
Täubrich nannte den Tag, und Hagebucher sprach:
»Nicht übel! Nicht ungünstig!«
Mit einem Zitat fuhr er fort:
»Gehab dich wohl, mein Kassius, für und für!
Sehn wir uns wieder, nun so lächeln wir,
Wo nicht –«
Er brachte den Satz nicht zu Ende, sondern zog leise die Tür hinter sich zu. Der Tanz aber, welchen Täubrich-Pascha hinter ihm aufführte, hätte kaum kurioser sein können, war jedoch der Gemütsstimmung des Menschen vollständig angemessen.
Neunundzwanzigstes Kapitel
Im Tumurkielande pflegen die Leute ebenfalls zu heiraten, der junge Mohr nimmt seine Mohrin, wie und wo er sie findet, und die Moresken kommen nach wie in Europa, das erste Exemplärchen neun Monate nach der Hochzeit, die folgenden in angemessenen, naturgemäßen Zeiträumen. Während seiner Gefangenschaft zu Abu Telfan hatte Herr Leonhard Hagebucher glückliche und unglückliche Liebe in all ihren Phasen und Ekstasen reichlich kennengelernt, und Europa hatte ihm in dieser Hinsicht nichts Unbekanntes, nichts Neues zu bieten. So musste denn auch das, was die weiße Gesellschaft über diese Verhältnisse dachte und sagte, dem, was jene schwarze Gesellschaft darüber kundzugeben pflegte, der Form wie dem Inhalt nach sehr ähnlich sein. Herr Leonhard Hagebucher fühlte sich, noch während er die Treppe in der Kesselstraße hinunterstieg, diesem Prozess sowie allen seinen Folgen vollkommen gewachsen. Das Experiment erschien ihm leicht, geschmeidig, glatt und ohne übermäßige Anstrengung auszuführen.
Diese heitere Anschauung änderte sich jedoch schon in dem Augenblick, als er den Fuß in die Gasse setzte. Sprach die kalte, winterliche Luft in Hinsicht auf seine afrikanischen Nerven mit, oder war’s der plötzliche Übergang aus dem traulich-stillen Zusammensein mit dem träumenden Schneider in die außergewöhnlich lebhaften Gassen: er fühlte eine Beklemmung, welche mit jedem Schritt über den zertretenen Schnee zunahm.
»Mutig voran!« sagte er und versuchte noch einmal der großen Stunde ins Antlitz zu lächeln; doch dieses Lächeln war sehr hohläugig, und das Atmen wurde ihm bald sehr schwer. Er zog den Hut über die Nase, als könne er nichts von der Außenwelt in der Welt seiner jetzigen Gedanken brauchen, und riss ihn wieder in die Höhe und stierte die Dinge an, als sei aller Trost doch nur bei ihnen und er selber ganz und gar nicht bei Troste. Einige Gassen weiter suchte er bereits luftschnappend nach einem stichhaltigen Grunde, das Unterfangen noch bis zum folgenden Tage zu verschieben. Auf dem Johannisplatze wurde ihm sogar recht übel zumute, der Schweiß trat ihm vor die Stirn, er suchte nach seinem Taschentuche, und wenn er es nicht in der hintern Rocktasche gefunden hätte, so würde er unbedingt das für den plausibeln Grund und das bedenkliche Omen genommen haben und nach Haus zurückgekehrt sein. Er fand es jedoch, und so blieb ihm als Mann, Held und Verliebten nichts übrig, als sich die kalten Tropfen abzutrocknen und seinen Weg fortzusetzen, seinem Verhängnis entgegen. Wäre ihm nun ein Bekannter begegnet und hätte ihm den leisesten Vorschlag zu einem Gang um die Stadt, zu einer Partie Domino oder einer Zigarre in irgendeinem stillen Winkel eines Kaffeehauses gemacht, mit Freuden würde er seinen Arm in den des Freundes geschoben, die Werbung verschoben und sich glänzend gegen sich selbst und gegen Täubrich-Pascha gerechtfertigt haben.
Es begegnete ihm niemand als jener Myrmidone des Herrn von Betzendorff, welcher ihm einst das elegante Billett des Herrn Polizeidirektors und das Verbot seiner Vorlesung überreichte. Der Mann griff ganz höflich an die Dienstmütze, und Hagebucher blickte ihn einen Augenblick betroffen nachdenklich an, griff sodann in die Tasche, schenkte ihm einen Gulden und rief:
»Nein, nun grade, nun erst recht! Mein guter Freund, Sie werden sich doch nicht einbilden, dass ich Sie für ein omen nefastum, für ein verneinendes Zeichen der Götter nehmen soll?«
»Ich bilde mir gar nichts ein, aber ich danke Ihnen, Herr Hagebucher«, sprach der Mann der öffentlichen Sicherheit, mit dem Auge des Gesetzes zwinkernd und das Geldstück verstohlen in die Tasche schiebend. »Häufig kommt diese Sorte nicht vor!« fügte er kopfschüttelnd hinzu, als Hagebucher aus dem Lichtkreise der Gaslaterne, unter welcher die Begegnung stattfand, verschwand.
So heimtückisch ist das Schicksal! Selten legt es dem Menschen andere Hindernisse in den Weg als solche, die ihn grade anreizen, bis zu dem Punkte vorzudringen, an welchem es ihn haben will; und es soll durchaus nicht gesagt werden, dass es ihm mit Vorliebe ein Vergnügen oder nur eine Annehmlichkeit an das Ziel seines Pfades lege, wie eine Mutter, die ihr Kind das Gehen lehren will.
»Nun grade, nun erst recht!« wiederholte Leonhard im schnellern Vorwärtsschreiten und hätte sich jetzt nicht mehr durch ein vergessenes Taschentuch oder einen guten Bekannten von der Ausführung seines Unternehmens abbringen lassen. Noch eine Ecke, und das Haus des Professors kam in Sicht! Da stand es. Kein böser Zauberer aus dem Innern Afrikas hatte dem Afrikaner zum