Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.und jenem, grad wie ich hier mit Ihnen schwatze. Wir sprachen von Bumsdorf, dem Prospero – Sie kennen den Prospero, Leonhard, bei größerer Muße werde ich Ihnen eine Geschichte erzählen, wie ich ihn vor drei Jahren dem Alten ausführte und wie der Alte wütend ihn mir hier wieder aus dem Stall holte. Wir sprachen von der Katzenmühle, von der Frau Klaudine, der verzauberten Dame in der Mühle. Was wir sprachen? Ja, da steckt der Jammer, und wenn ich daran denke, wie vergnügt wir vorzeiten miteinander gewesen sind, so ist die Gegenwart umso schlimmer. Sie lacht noch wie sonst; aber es ist doch nicht mehr das alte Lachen. Ich glaube, wenn sie manchmal ein wenig weinen würde, so brächte das doch etwas Heiterkeit in unsere Zustände. Ach, Hagebucher, Psychologie ist sonst nicht die Wissenschaft, in der unsereiner exzelliert; doch hier ist eine Seele, welche ich vollständig begreife. Sie hat sich lange genug gewehrt und zuletzt einen ehrenvollen Vertrag abgeschlossen; aber was kann solch ein armes, gequältes Frauenzimmer beginnen, wenn man ihr die traktatmäßigen Bedingungen nicht hält? Sie kann nicht durchbrennen wie Sie, Herr Leonhard; sie kann nicht verschwinden und, sozusagen, zu einer Mythe werden gleich jenem Narren, dem Viktor Fehleysen, von dem noch so manche dumpfe Sage in der Stadt geht. Sie kann ihr Elend nicht an den Rekruten oder am Spieltisch ausfluchen oder ausgeben wie ich. Sie steht immer da, Gewehr bei Fuß, und hat sich vom Kommando Grobheiten und Anzüglichkeiten vortragen zu lassen. Und das Kommando, dann die alten Weiber, der Hof und zuletzt die Witterung mit all ihren veränderlichen Niederschlägen, die kennen kein Erbarmen, und es wäre ein Wunder, wenn sie zuletzt nicht die Oberhand über den stolzen schönen Mut meiner Cousine Nikola gewönnen. Herr, Sie sind mein Mann, Sie haben unter dem Äquator das Schweigen gelernt und mir soeben eine Probe davon gegeben. Ich achte das und verehre jeden Menschen, der mit Gelassenheit auf seine Stunde passen kann. Ich vermag es nicht, und so erlaube ich mir, hier vor Ihnen auszusprechen: Wenn das Gespenst, welches in jenem Hause umgeht, nicht bald offen, und am liebsten mittags um zwölf Uhr, während der Wachtparade zum Beispiel, hervortritt, so werde ich, Hugo von Bumsdorf, sehr unangenehm gegen diesen Herrn Vetter Glimmern, und es wird mir ein unendliches Vergnügen machen, ihm einmal zwischen Tür und Angel die Seele aus dem Leibe zu schütteln! Jetzt leben Sie wohl und behalten Sie mich lieb, Hagebucher. Morgen Abend ist Ball beim Polizeidirektor Betzendorff, da werde ich Sie freilich nicht sehen; aber die Nikola will ich dort in einem stillen Winkel von Ihnen grüßen. Guten Morgen!«
Der Afrikaner bewies, dass sein junger lebhafter Freund in betreff seiner Schweigsamkeit recht habe. Er behielt alles, was er dem Davoneilenden vielleicht hätte nachrufen können, für sich und trug seine Unruhe, sein innerliches Fieber zum Professor Reihenschlager unter jenes Paar liebe Augen, welches dem träumenden Schneider Felix Täubrich so sehr gefiel. Doch vergeblich lächelte und schmollte Serena, vergeblich breitete der Professor alle seine in den letzten Monden eroberten wissenschaftlichen Resultate vor dem Hausfreunde aus, vergeblich türmte er ihm alle während derselben Zeit sich erhoben habenden Schwierigkeiten und Anstöße vor der Nase auf: Leonhard hatte arges Kopfweh von dem Besuche des Leutnants bekommen. Er musste häufig mit beiden Händen nach den fliegenden Schläfen greifen, und des Professors koptische Vokabeln bauten durchaus keinen Damm gegen die Bruchstücke, Trümmer und weggeschwemmten Tische und Bänke, welche sich noch immer in der Erinnerung Hagebuchers auf dem ausgebreiteten Strome der Redeüberflutung des jungen Kriegers schaukelten.
»Dieses geht nicht, Tochter!« sprach der Professor, nachdem der afrikanische Freund Abschied genommen hatte, kopfschüttelnd. »Es geht wahrlich nicht, Serena. Wo bleibt die Sammlung, das logische Denken, das innige Verständnis des Notwendigen? Welch eine bedauerliche Zerstreutheit! Welch ein betrübender Nachlass sämtlicher philologischer Seelenkräfte! O Vater Zeus und alle ihr anderen unsterblichen Götter, erhaltet mir diesen Jüngling –«
»Vierzig, vierzig Jahre!« murmelte Serena, tiefsinnig über ihr Nähzeug gebeugt.
»Erhaltet mir diesen Jüngling in dem ganzen vollen Erkennen meiner und seiner hohen Lebensaufgabe. Bei den Geheimnissen von Eleusis, wozu hättet ihr ihn auch gerettet aus der Gefangenschaft jener, die das Salz nicht kennen und das schöngeglättete Ruder für eine Worfschaufel nehmen?«
»Wozu, wozu?« seufzte Serena pianissimo, fügte jedoch laut und deutlich an:
»Papa, du wirst von Tage zu Tage komischer; nimm es mir nicht übel.«
Leonhard Hagebucher machte zuerst dem verstorbenen Landesvater von Bronze auf dem Promenadenplatze seine Aufwartung und stattete sodann dem Hause des Majors Wildberg einen Besuch ab, um auch hier zu zeigen, dass er wieder am Orte sei, doch nicht aus diesem Grunde allein. Wie es ihn von den Menschen forttrieb, so trieb es ihn immer von neuem wieder zu ihnen hin – verlieren wir weiter kein Wort über einen Zustand, den jedermann aus eigenster bitterer Erfahrung kennt.
Das Haus des Majors war bald erreicht; aber es war nicht leicht, die Treppe hinaufzugelangen. Die ganze rotbackige Nachkommenschaft des biedern Strategen und der wackeren Frau Emma hielt dieselbe unter der Obhut eines Kindermädchens und einer Amme blockiert und hing sich dem Afrikaner mit hellem Freudejauchzen an Arme, Beine und Rockschöße wie ein schwärmender Bienenstock an den Weisel.
»Er ist wieder da! Mama, der Mann aus dem Mohrenlande ist wieder da! Hurra, vivat! Papa, hier haben wir den Onkel mit den Elefantengeschichten und Löwengeschichten! Er ist wieder da! Hurra, Herr Mohrenkönig, erzählen Sie uns eine Geschichte von dem großen Affen und dem Krokodil und den schwarzen Männern, welche sich nie zu waschen brauchen, weil es doch nichts hilft, und welche sich nie anzuziehen brauchen, weil sie gar keine Kleider haben, und welchen Sie so lange Zeit die Stiefel putzen und die Röcke ausklopfen mussten.«
»Hurra, vivat, das wird alles zu seiner Zeit geschehen!« rief Leonhard, über den Wirbel von Kinderhänden und Kinderköpfen weg der Frau Emma die Hand reichend. Und der Major kam aus seiner Studierstube von einem Plan des Forts Sumter und versuchte es lange vergeblich, die blühende Hoffnung seines Stammes zur Ruhe zu kommandieren, bis ihm ein Tanzbär nebst einem Affen und Dudelsack in der Gasse zu Hilfe kam, worauf der wilde Schwarm natürlich die Erzählung von den Affen für das wirkliche Wunder aufgab und mit lautem Getöse die Trepp hinunter- und aus dem Hause stürzte.
»Da möchte man ja den Himmel für einen Dudelsack ansehen!« rief der Major, die Brille in die Höhe schiebend. »Grüß Sie Gott, Hagebucher; wir wussten schon, dass Sie aus der Provinz zurückgekehrt seien, und heißen Sie herzlich willkommen.«