Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.sagen Sie nun?«
»In der Tat, ich kann mich nur schweigend beugen. Aber was war die Meinung der Kameraden?«
»Die Meinung der Kameraden? Ich glaube nicht, dass sie sich schon eine festere Meinung gebildet hatten, dass sie es überhaupt der Mühe wert hielten, danach auszuschauen. Mit gellendem Hohngelächter gingen sie über mich und meine Motion zur Tagesordnung über; und ich – ich ließ die Herren im hellen Sonnenschein zwischen den Nymphäen auf der Jagd nach den Wasserjungfern und sonstigen geflügelten und ungeflügelten Delikatessen und versank langsam gleich einem kranken Karpfen von neuem in meine eigene bodenlose Tiefe.«
»Ungemein anschaulich«, lachte Hagebucher. »Haben Sie wirklich noch nie versucht, diese seltsamen, diese erbaulichen Stimmungen auf dem Papier festzuhalten? Haben Sie nie versucht, mit der Feder in der Hand sich von denselben zu befreien?«
»Papier? Stimmung? Feder in der Hand? Herr, sagte ich Ihnen nicht bereits, der Gott, der mir im Busen wohnt, er kann nach außen nichts bewegen?! Beachten Sie das Zitat, es ist nicht aus dem Paul de Kock, sondern aus Goethes Faust. Sehen Sie mich nicht so groß an, ich studiere den Faust. Er liegt stets aufgeschlagen auf meinem Nachttische, und ich habe meinem Kerl strenge Order gegeben, ihn stets dort liegenzulassen. Ja, dieser Doktor Faust! Es ist kaum glaublich, aber dessenungeachtet erschütternd wahr, ich fühle mich stellenweise ihm unendlich verwandt in meinen Empfindungen, und längst ist mir die dunkle Ahnung zur vollsten, klarsten Gewissheit geworden, dass auch für mich die höchste Tätigkeit, die letzte Rettung in einem großartigen Wasserbau, ganz abgesehen von dem Ewig-Weiblichen, liege. Mit ganzer Hingebung widme ich mich augenblicklich dem Studium der Dränage, und, auf Ehre, ich werde einst Ersprießliches dadurch auf unsern heimatlichen Gefilden zu Bumsdorf wirken! Ja, drücken Sie mir nur die Hand, vielleicht ist der Augenblick, in welchem wir uns noch besser verstehen, in welchem wir einander noch näher treten werden, nicht allzufern. Ach, Hagebucher, ich habe Sie immer für einen guten Gesellen gehalten, und es würde mich sehr alterieren, wenn Sie mich vielleicht für das Gegenteil hielten.«
»Ich halte Sie für einen wackeren, treuen Freund, für einen frohherzigen Kameraden und hoffe, dass dies immer so bleiben wird. Ha Monjoie, Crillon, ich glaube selber, wir werden einmal mit großem Behagen von diesen residenzlichen Tagen in der Fliederlaube an der Bumsdorfer Landstraße den Damen erzählen. Unter allen Umständen aber wollen wir uns tüchtig durchbeißen, und Ihnen, Bumsdorf, wünsche ich das beste Glück zu allen Ihren Wasser- und Landbauten.«
»Amen!« rief der Leutnant und setzte hinzu: »Sie haben keine Idee davon, wie sich der Mensch in unsern Verhältnissen abquälen muss, um zu irgendeinem Spaße zu gelangen. Von Vergnügen oder gar Gemütlichkeit ist natürlich nie die Rede, und ich kenne nur eine Person, welche noch schlimmer als unsereiner dran ist, und das ist meine Cousine Nikola von Glimmern.«
»Nikola!«
Der Afrikaner, welcher seinen Besuch schon gegen die Tür begleitete und im Grunde froh war, dass derselbe endlich Abschied nehmen wollte, schob sich jetzt wieder schnell zwischen die Pforte und den Leutnant und rief:
»Sie sollten doch noch einige Augenblicke verweilen, um mir noch ein Wort über jene Dame, deren Namen Sie soeben aussprachen, zu sagen. Sie wissen, welchen Anteil auch ich an ihrem Leben nehme, und dazu komme ich soeben von der Katzenmühle, von der Frau Klaudine. Sie werden während meiner Abwesenheit von der Stadt täglich mit Nikola in Verbindung geblieben sein; ich bitte Sie herzlich, erzählen Sie mir noch etwas von ihrem Leben. Auch ich kann sagen, dass vielleicht eine Stunde nicht fern ist, in welcher ich Ihre ganze Kraft, Ihren besten Willen für diese Frau in Anspruch nehmen werde.«
Der Leutnant legte seine Mütze wieder nieder und sah verwundert fragend auf den Afrikaner. Dann sagte er:
»Was liegt eigentlich in der Luft, was geht so spukhaft auf den Zehen, kurz, Hagebucher – was geht vor? Das ist ein Rauschen und Raunen von oben und unten, wie die Goldschnittpoeten sagen würden; es läuft eine Wolke über unsern gesellschaftlichen Himmel und wirft einen eigenen Schatten über sämtliche Klatschrosen, Mohnköpfe, Hahnenkämme und Jungfern im Grünen dieses heillosen Nestes. Ein jeder scheint etwas zu riechen, weiß jedoch durchaus nicht, was; Sie aber scheinen mir genauer in die Büchse gesehen zu haben. Was ist es, Hagebucher, was zieht sich zusammen um das Haus meines teuren Vetters Glimmern? Ich bitte, wenn es irgend möglich ist, so geben Sie auch mir das Losungswort; ich werde mir alles, alles, meinen Schnurrbart wie meinen Kopf für die Cousine abschneiden lassen. Sie zögern? Nun, so will ich Ihnen einen neuen Beweis meines Vertrauens geben, indem ich nicht weiter in Sie dringe. Aber eines fordere ich als mein Recht, Sie müssen mich rufen in der rechten Stunde.«
»Ich danke Ihnen, Freund«, sagte Leonhard ernst; »zur rechten Stunde rufe ich unter Ihrem Fenster, doch jetzt, wie lebt Nikola, seit –«
»Seit Sie Ihre vortreffliche Vorlesung hielten, um dann in so überraschender Weise zu verschwinden? O Freund, Sie könnten diese Frage zehntausend Sekondeleutnants vorlegen, und Sie würden immer die Antwort erhalten: Die Gnädige befindet sich vortrefflich, es ist eine amüsante Frau, welche es ausnehmend versteht, der Existenz die Lichtseiten abzugewinnen; gestern auf dem Ball sah sie entzückend aus, und morgen auf dem Ball wird sie selbstverständlich wiederum die Herrlichste unter den Weibern, nämlich den verheirateten, sein. Ich aber, Hagebucher, ich seufze erbost: Was hat man aus der gemacht, und was hat die Närrin aus sich machen lassen? Die Arme! Ich habe mit ihr immer so gut gestanden, und in jener Zeit, als ganz Bumsdorf mich als den verruchtesten aller Sünder total aufgab, wagte sie allein, die in Wehmut und Entsetzen zerfließende Verwandtschaft auszulachen und den schönen Glauben an den Demant in meiner Seele, den Glauben an meine edlere Bestimmung festzuhalten. Ich werde ihr das nie vergessen; aber der Teufel soll mich holen, wenn ich noch länger einen Fuß in ihr Haus setze, um mich über den Jammer zu Tode zu ärgern! Ja, was sage ich da? Muss ich nicht zu ihr gehen und neben ihr sitzen? In früheren Zeiten erschlugen die Ritter und jungen tapfern Vettern alle möglichen Drachen, welche die Damen bedrängten; heute ist der Dienst ein anderer geworden, und die Ritter kommen und sitzen neben den Damen, um sie durch ihre Sottisen auf andere Gedanken zu bringen. Bumsdorf à la recousse! Ich sitze täglich bei dem armen Mädchen und vertreibe ihr die Grillen, so gut ich kann. Und den Drachen, den Herrn Vetter, ertrage ich der Cousine wegen, welches ebenfalls zu dem veränderten Dienst gehört. Indessen am angenehmsten ist’s immer, wenn er Hut und Stock nimmt und sein Feuer anderswo speit. Es ist ein recht höflicher Drache, der die