Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.auch hier wieder manches, doch eben nichts Neues über das Leben der Frau Nikola von Glimmern.
»Sie kommt wie gewöhnlich«, sagte die Frau Emma, »bald im Vorübereilen, um, wie sie meint, in einem flüchtigen Augenblick sich einen Atemzug gesunder Luft zu holen, bald kommt sie zu späterer Abendzeit, wenn der Herr von Glimmern im Offizierskasino am Spieltisch sitzt; doch immer setzt sie sich am liebsten in die Kinderstube, und wenn die Kleinen zu Bett gebracht sind, spricht sie selten noch ein Wort, sondern lässt uns reden, was wir wollen. Es ist ein Elend; fragen Sie nur meinen Mann, ob er es noch lange aushält, mich für mein Teil bricht’s in der Mitte entzwei, und wenn ich nicht nächstens dem Herrn Intendanten einen sehr wunderlichen Brief schreibe, so weiß ich nicht, was aus meinen Nerven werden soll.«
»Die Frau hat recht, Hagebucher«, sprach der Major, »es ist in der Tat eine trübselige Historie, aber wer ist befugt, da einzugreifen, und welch ein Nutzen könnte dadurch geschaffen werden?«
Der Afrikaner sah wiederum den Schatten des Leutnants Kind an der Wand; doch schon hatte das nichts Erschreckendes mehr für ihn. Im Gegenteil, als er in der Tiefe seiner Seele den Namen des alten Mannes aussprach, verschaffte er sich dadurch einen befreienden, erleichternden Atemzug. Er nahm seinen Hut, nachdem er noch vernommen hatte, dass wohl der Major, aber nicht die Frau Majorin den Ball des Herrn von Betzendorff besuchen werde.
Achtundzwanzigstes Kapitel
Über Einförmigkeit des Daseins hatte Herr Leonhard wahrlich sich jetzt nicht zu beklagen. Er würde sowohl dem Tumurkielande wie dem deutschen Vaterlande Unrecht getan haben, wenn er dieselben in dieser Hinsicht einer Vergleichung unterzogen hätte.
Im Tumurkielande ist es im Sommer gewöhnlich sehr heiß, und die einzigen Wolken, die vor die Sonne treten, sind die Heuschreckenwolken, welche jedoch keine Kühlung durch ihre Verdunkelung des glänzenden Gestirns hervorzubringen vermögen und es übrigens auch gar nicht beabsichtigen. Auf die Heuschreckenwolken pflegen die Regenwolken des Winters zu folgen; es regnet entsetzlich im Tumurkielande, die Sommerwohnungen der Bevölkerung werden zu Brei, und jedermann sucht die Winterquartiere auf. Die Familien beziehen größere Höhlen in den Felsen, die Junggesellen und einzelnstehenden Jungfrauen mieten der gütigen Mutter Natur eine bescheidenere Ritze im Gestein ab. Auch die Sklaven haben ihre eigenen Behältnisse, welche, wenn sie gleich ein wenig dunkel und dumpfig sind, dessenungeachtet ihre gemütlichen Reize einem Aufenthalt im Freien gegenüber besitzen.
Herr Leonhard Hagebucher kannte das und verglich, wie gesagt, diese fremdländischen Verhältnisse nicht mit denen des Vaterlandes. Aber er setzte indessen jene nicht gegen diese zurück, und vorzüglich nicht an dem Morgen, welcher auf den im vorigen Kapitel geschilderten Tag folgte.
Es war ein unruhiger Morgen, an welchem es sich deutlich zeigte, zu welcher Bedeutung die Persönlichkeit des Afrikaners während seiner Abwesenheit von der Residenz herangeschwollen sei. Wirklich merkwürdig war’s, wie vielen Leuten es über Nacht einfiel, dass dieser afrikanische Fremdling zu manchem nützlichen oder pekuniären Gewinn abwerfenden Zwecke trefflich zu verwenden sei. Und sie hatten alle von seiner Rückkehr aus der Provinz vernommen, und sie kamen alle, ihn zu begrüßen und beiläufig ein Wort über das und das, was sie entweder seinem praktischen Blick oder seinem weichen Gemüt und guten Herzen, jedenfalls aber seiner gespanntesten Aufmerksamkeit anempfahlen, fallen zu lassen. Es war wie ein Wunder, was diese verhältnismäßig so unbedeutende Stadt für verschiedenartige Elemente enthielt, die jetzt alle ihr Interesse an dem Dasein des Afrikaners hatten oder doch zu haben glaubten.
Da kam ein Buchhändler, welcher nicht der Hofbuchhändler war und der, dem Herrn Polizeidirektor zum Trotz, die nicht gehaltenen Vorträge zu Papier und in seinen Verlag gebracht zu haben wünschte. Da erschien ein Fotograf, welcher der festen Überzeugung lebte, dass ein Brustbild des Herrn Hagebucher und ein Bild in ganzer Figur der Welt zu einem tiefinnern Bedürfnis geworden sei und ein brillantes Geschäft verspreche. Verschiedene Kaffeehausbekanntschaften suchten den Verkehr auf das Privatleben des »guten Freundes« auszudehnen. Es erschienen zwei hagere Damen, welche den »geprüften Mann« für die segensreichen Zwecke der Innern Mission zu gewinnen hofften. Es kam ein junger Mann, welcher einen Stoff für das moderne Epos suchte, welcher in den Abenteuern des Afrikaners diesen Stoff gefunden zu haben glaubte und welchen Hagebucher ohne Rücksicht auf die Gefühle der Mit- und Nachwelt bedeutete, er möge ihn ungeschoren lassen, und übrigens halte er es in dieser Zeit für ein Zeichen von ganz entschiedener dichterischer Begabung, wenn jemand keine Verse zu machen imstande sei. Politische Parteien streckten ihre Fühlhörner in den Morgen hinein, kurz, der Verkehr war lebhaft und anregend genug; doch Leonhard blieb leider hart, teilnahmlos, traurig und lächelte nur einmal, als er unter dem überströmenden Wortschwall des jungen Poeten überlegte, was wohl aus der Welt, nämlich seiner eigenen, werden möge, wenn er – heirate, und zwar Fräulein Serena Reihenschlager heirate?!
Denselben Gedanken dachte er laut, als sich gegen die Mittagszeit die Flut der Besucher endlich verlaufen hatte und er mit dem Pascha allein war; oder vielmehr, nachdem er verschiedene Male leise gesagt hatte: »Weshalb sollte ich?«, sprach er ungemein deutlich das große Wort aus: »Weshalb sollte ich nicht?« und brachte dadurch einen Seitenzug seiner neueuropäischen seelischen Entwickelung zu einem recht befriedigenden Abschluss, nur einen Seitenzug – die Hauptlinie lief gradeaus weiter in alle Verwirrung und Finsternis hinein!
Vier Worte genügten, um das ganze Getümmel zusammenzufassen, wie sich in das nüchternste Freikuvert der leidenschaftlichste Jubel- oder Trauerbrief schieben lässt; und gleich einem Echo hallte Täubrich-Pascha nach:
»Ja, weshalb nicht?«
»Was wissen denn Sie davon, Täubrich?« rief Hagebucher fast ärgerlich. »Sind Sie etwa imstande, meinem Seufzer die rechte Deutung zu geben?«
»Es sind ein Paar liebe Augen!« sagte der Schneider mit seitwärts gehängtem Kopf. »Es gibt kein anderes Fräulein hier in der Stadt, welches ein solches gutes Gesicht hat.«
»Und es gibt keinen zweiten Damenkleidermacher, der ein so merkwürdiger Mensch ist wie Sie, Felix! Bei Gott, weshalb sollte ich nicht? Lassen Sie uns jedoch abbrechen und zu Mittag speisen. Nachher mögen Sie die Tür verriegeln – gegen jedermann, hören Sie! Ich habe einen Blick in den Sanchoniathon