Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
Читать онлайн книгу.Fuß; ferne rief leise nach mir eine Stimme, ich wusste nicht, was, jedenfalls Lockung …
»Ich weiß nicht, ob ich öfter hierherkommen werde«, sagte ich hastig. »Ich kann dich nicht ausstehen, ich hasse dich, und trotzdem bin ich heute Abend zu dir zurückgekehrt. Heute früh habe ich den ersten Schnaps meines Lebens getrunken, du hast ihn mir eingeschenkt, du hast dich mit ihm eingeschlichen in mein Blut, vergiftet hast du mich! Du bist wie der Geist des Schnapses: schwebend, trunken machend, feil …« Ich sah sie an, atemlos, selbst am meisten überrascht von diesen Worten, die aus mir sich hinausschleuderten, ich wusste nicht woher …
Sie saß mir gegenüber. Ihre Näherei hatte sie nicht wieder aufgenommen. Die Beine ohne Strümpfe in roten Schuhen hatte sie übergeschlagen, und den Rock ein wenig von den Knien zurückgeschoben. Die Beine waren etwas derb, aber lang und schön gefesselt. An der rechten Wade sah ich ein fast pfenniggroßes, braunes Muttermal – das schien mir schön. In der Hand hielt sie eine Zigarette, sie blies den Rauch breit durch die fest geschlossenen Lippen, ohne Zwinkern sah sie mich an. »Nur weiter, Väterchen«, sagte sie, »du entwickelst dich … nur weiter …«
Ich versuchte, nachzudenken. Wovon hatte ich eben noch geredet? Das Verlangen, sie zu umarmen, sie zu betasten, wurde fast übermächtig in mir. Aber ich lehnte mich fest in meinen Korbsessel zurück, ich klammerte mich mit meinen Händen an die Lehnen. Plötzlich hörte ich mich dann wieder sprechen. Ich sprach ganz langsam und sehr deutlich, und doch war ich atemlos vor Erregung. »Ich bin ein Kaufmann«, hörte ich mich sagen. »Ich hatte ein recht gutes Geschäft, aber jetzt stehe ich vor dem Bankrott. Sie werden mich auslachen, alle, alle, meine Frau zuerst … Ich habe viele Fehler gemacht, Magda wird sie mir alle vorhalten. Du weißt doch, Magda ist meine Frau …?«
Sie sah mich unverwandt an, mit ihrem sehr weißen, wie gepuderten Gesicht, das etwas Gedunsenes hatte; hoch und gewölbt standen in ihm über den fast farblosen Augen die dunklen Brauen.
»Aber ich kann noch Geld herausziehen, aus dem Geschäft, ein paar Tausend Mark. Ich täte es schon, um Magda zu ärgern. Magda will das Geschäft retten. Ist sie mehr als ich? Ich könnte das Geschäft verkaufen, ich weiß auch schon, an wen, es ist eine junge Firma. Er würde mir zehn-, vielleicht auch zwölftausend Mark dafür geben, wir würden auf Reisen gehen … Warst du schon einmal in Paris?«
Sie sah mich an, keine Zustimmung oder Verneinung war auf ihrem Gesicht zu lesen.
Ich redete weiter, schneller, atemloser. »Ich war auch noch nicht dort«, fuhr ich fort, »aber ich habe davon gelesen. Es ist die Stadt der baumbestandenen Boulevards, der weiten Plätze, der laubigen Parks … Als Junge habe ich ein bisschen Französisch gelernt, aber ich kam zu früh von der Schule, die Eltern hatten nicht Geld genug. Weißt du, was das heißt: ›Donnez-moi un baiser, mademoiselle‹?«
Kein Zeichen von ihr, nicht ja, nicht nein.
»Es heißt: ›Geben Sie mir einen Kuss, mein Fräulein.‹ Aber zu dir müsste man sagen: Donnez-moi un baiser, ma reine! Reine, das heißt Königin, und du bist die Königin meines Herzens, du bist die Königin des Giftes, das in Flaschen verkorkt wird, gib mir deine Hand, Elsabe – ich werde dich Elsabe nennen, Königin – ich will deine Hand küssen …«
Sie goss mir das Glas voll. »Da, trink das noch, und dann gehst du nach Haus. Genug – du hast genug getrunken, und ich habe genug von dir. Du kannst die Flasche Korn mitnehmen, du musst die ganze Flasche bezahlen, zum Gaststubenpreis. Das ist kein Nepp, komm mir morgen nicht, dass ich dich geneppt habe; du hast dir selber eingeschenkt, ich weiß nicht, wie viel …«
»Rede nicht, Elsabe«, sagte ich prahlerisch-weinerlich. »Nie würde ich so etwas tun! Was ist Geld …?!«
»Lehre du mich die Männer kennen! Wenn ihr voll und geil seid, schreit ihr: ›Was ist Geld?‹ Und am nächsten Morgen kommt ihr mit dem Gendarmen und schreit von Nepp. Der Korn und der Sekt und meine Zigaretten – das macht zusammen …« Sie nannte eine Summe.
»Wenn es nicht mehr ist!«, rief ich wieder prahlerisch und riss meine Brieftasche hervor. »Hier hast du …!« Ich legte ihr das Geld hin. »Und hier …«, ich nahm einen Hundertmarkschein und legte ihn daneben, »der ist für dich. Weil ich dich hasse und weil du mich verachtest. Nimm ihn, nimm ihn schon. Ich will nichts von dir, gar nichts! Geh. Ich habe dich schon so im Blut, ich kann dich nie mehr besitzen, als ich dich in mir habe. Wahrscheinlich bist du öde und langweilig, du bist nicht von hier, natürlich aus irgendeiner Großstadt, wo du alles gelassen hast – das sind ja nur Reste!«
Wir standen uns gegenüber, das Geld lag auf dem Tisch, das Licht war düster. Ich schwankte leise über meinen Füßen, die fast halb geleerte Kornflasche hielt ich am Halse in meiner Hand.
Sie sah mich an. »Steck dein Geld ein!«, sagte sie flüsternd. »Nimm dein Geld vom Tisch … Ich will dein Geld nicht … Geh …«
»Du kannst mich nicht zwingen, das Geld wieder zu nehmen, ich lasse es liegen … Ich beschenke dich, Königin des klaren Korns, Elsabe genannt, ich gehe …«
Ich ging mühsam auf die Tür zu, der Schlüssel steckte von innen, ich mühte mich, ihn im Schloss zu drehen …
»Du«, sprach sie dicht hinter mir, »du …«
Ich drehte mich um. Ihre Stimme war leise gewesen, aber voll und sanft, alles Spröde war aus ihr gewichen. »Du …«, wiederholte sie, und in ihren Augen war jetzt Farbe und Licht, »du – willst du?«
Jetzt war ich es, der sie nur schweigend ansah.
»Zieh deine Schuhe aus, sei leise auf der Treppe, die Wirtsleute dürfen dich nicht hören. Komm, mach schnell …«
Schweigend tat ich, wie sie mir geheißen. Ich wusste nicht, warum ich es tat. Ich begehrte sie jetzt nicht, so begehrte ich sie nicht.
»Gib mir die Hand!« Sie knipste das Licht aus und führte mich an der einen Hand, in der anderen hielt ich noch immer die Kornflasche.
In der Schankstube war es völlig dunkel, ich schlich ihr nach. Durch ein kleines staubiges Fenster fiel auf die verwinkelte enge Stiege Licht vom Mond.
Ich schwankte, ich war sehr müde. Ich dachte an mein Bett daheim, an Elsabe voller Wünsche, an den weiten Weg nach Haus – es war alles zu viel. Der einzige Trost war die Flasche Korn in meiner Hand, sie würde mir Kraft spenden. Am liebsten wäre ich stehen geblieben und hätte schon jetzt einen Schluck aus der Flasche genommen, so müde war ich.
Die Stufen knarrten, die Tür zur Kammer ächzte leise, als sie geöffnet wurde. Auch in der Kammer war Mondschein. Ein Bett, das zerwühlt war, ein eiserner Waschständer, ein Stuhl, ein Kleiderrechen an der Wand …
»Zieh dich aus«, sagte ich leise, »ich komme dann gleich.« Und mehr zu mir: »Gibt es hier Sterne?« Ich trat ans Fenster, das den Blick in einen Obstgarten freigab. Ich öffnete