Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Читать онлайн книгу.

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


Скачать книгу
ver­gan­gen sein soll­te, we­gen der Vor­gän­ge in der letz­ten Nacht brauch­te ich nicht nach­gie­big zu sein.

      Mag­da dreh­te sich mit ei­nem Ruck vom Fens­ter fort und mir zu. »Er­win …«, sag­te sie lei­se.

      »Ja?«, frag­te ich mür­risch und trom­mel­te wei­ter, ohne sie an­zu­se­hen.

      »Er­win«, wie­der­hol­te sie. »Ich möch­te mich heu­te nicht mit dir strei­ten. Ich habe das Ge­fühl, als schweb­ten wir in ei­ner schreck­li­chen Ge­fahr und müss­ten um je­den Preis zu­sam­men­hal­ten. Also, ich will dir den Wil­len tun, fah­re nach Ham­burg, aber, wenn du zu­rück­kommst, tu auch du mir den Ge­fal­len und geh mit mir zu Dr. Mans­feld.«

      Ich wand­te mich ihr zu, ich lach­te ver­gnügt. »Wenn ich wie­der­kom­me, wirst du sel­ber se­hen, wie ge­sund ich bin, und von al­lein auf den Arzt­be­such ver­zich­ten. Aber im­mer­hin, ich ver­spre­che es dir. Im Üb­ri­gen dan­ke ich dir schön, Mag­da, ich wer­de dir auch et­was Schö­nes mit­brin­gen …« Und wie­der lach­te ich. Ich war ganz glück­lich über die­se Rei­se­aus­sicht.

      »Ich habe es nicht um Dank ge­tan«, sag­te Mag­da ziem­lich steif. »Ich habe es so­gar ganz und gar ge­gen mei­ne Über­zeu­gung ge­tan. Ich bin über­zeugt, die­se Rei­se wird dir nicht gut­tun …«

      »Aber ich wer­de sie mit dei­nem Ein­ver­ständ­nis ma­chen«, un­ter­brach ich sie wie­der. »Und hin­ter­her wol­len wir dar­über spre­chen, wer von uns bei­den recht hat. Jetzt aber sage mir, wel­che Fir­men für die­se Lie­fe­rung etwa in­fra­ge kom­men. Na­tür­lich wer­de ich mich auch auf ei­ge­ne Faust um­tun …«

      9

      Mei­ne Rei­se nach Ham­burg wur­de ge­schäft­lich zu ei­nem großen Er­folg. Ich konn­te drei Wag­g­ons al­tes Reep­werk zu ei­nem un­glaub­lich nied­ri­gen Preis an­kau­fen; wir ver­dien­ten sehr hübsch an die­sem Ge­le­gen­heits­ge­schäft. Ich er­zähl­te Mag­da hin­ter­her man­cher­lei von mei­ner Jagd nach die­sen Tau­en, in Wahr­heit aber war mir das Ge­schäft ganz durch Zu­fall, wie es eben manch­mal geht, in den Schoß ge­fal­len; ich hat­te nichts dazu tun müs­sen. Aber ich muss­te doch et­was er­zäh­len, um mei­ne fast fünf­tä­gi­ge Ab­we­sen­heit zu be­grün­den.

      Ich hat­te mich aber in Ham­burg nicht ein­mal be­trun­ken, das muss ich hier aus­drück­lich fest­stel­len. Doch hat­te ich dort die Ge­wohn­heit der klei­nen Gläs­chen zu je­der Ta­ge­s­stun­de, auch schon am frü­hen Vor­mit­tag, an­ge­nom­men, eine An­ge­wohn­heit, die viel­leicht noch ver­häng­nis­vol­ler ist als ein ge­le­gent­li­cher schwe­rer Rausch.

      Ich hat­te mich – das gan­ze Ge­schäft war schon am zwei­ten Tag in ei­ner hal­b­en Stun­de er­le­digt – viel in der schö­nen Stadt, an der Als­ter und am Ha­fen her­um­ge­trie­ben, war zu den Werf­ten hin­über­ge­fah­ren, war durch die end­lo­sen Hal­len des Al­to­na­er Fisch­mark­tes ge­wan­dert und hat­te eine Auk­ti­on dort mit­ge­macht, war nach Ohls­dorf hin­aus­ge­fah­ren und hat­te den welt­be­rühm­ten Fried­hof stun­den­lang durch­wan­dert – und zwi­schen al­le­dem war ich alle na­se­lang in eine Knei­pe ge­huscht und hat­te ein oder zwei Gläs­chen ir­gend­ei­ner kla­ren oder brau­nen bren­nen­den Flüs­sig­keit ge­trun­ken. Das mach­te mir Lau­ne, das tat mei­nem Ma­gen gut, er­freu­te mein Herz, ließ mich die bunt da­hin­stür­men­de Stadt mit fröh­li­chen Au­gen an­se­hen, kurz: Hob mich über mich hin­aus.

      Nie ganz trun­ken, ja, ei­gent­lich sehr weit­ab von je­der Trun­ken­heit, und doch nie ganz nüch­tern, ver­leb­te ich dort mei­ne Tage, und wenn ich zu An­fang noch bis zehn oder gar bis elf mit mei­nen ers­ten Schnäps­chen ge­war­tet hat­te, so klin­gel­te ich an den bei­den letz­ten Ta­gen schon ge­gen acht Uhr dem Zim­mer­mäd­chen und ließ mir mei­nen ers­ten dop­pel­stö­cki­gen Ko­gnak ganz fromm und frei ans Bett brin­gen. Das Früh­stück schmeck­te mir dann um so bes­ser.

      Die Rück­rei­se, die ich mit ei­ner gu­ten Ta­schen­fla­sche aus­ge­rüs­tet an­trat, ließ in mir die bes­ten Vor­sät­ze rei­fen. Es war klar, dass ich die­se Ge­wohn­heit da­heim un­ter Mag­das schar­fen Au­gen nicht fort­set­zen konn­te, und nach­dem ich eben einen kräf­ti­gen Schluck auf der Toi­let­te des Zu­ges ge­nom­men hat­te, schi­en es mir auch ganz leicht, dar­auf zu ver­zich­ten. Es wa­ren doch im­mer nur ein, zwei Gläs­chen ge­we­sen, alle ein, zwei Stun­den nur, auf so et­was muss­te doch leicht zu ver­zich­ten sein!

      Die Rück­rei­se er­wies sich wi­der Er­war­ten län­ger als der In­halt mei­ner als so aus­gie­big ein­ge­schätz­ten Ta­schen­fla­sche; in dem War­te­saal un­se­res Bahn­hofs (wo ich nicht be­kannt bin) nahm ich noch ein paar Gläs­chen und mach­te mich dann auf den Heim­weg. Da­bei ver­gaß ich nicht, in ei­ner Dro­ge­rie eine Schach­tel mit wohl­rie­chen­den Mund­pil­len zu kau­fen, die den Al­ko­hol­ge­ruch ver­de­cken soll­ten. Denn dass nach so lan­ger Ab­we­sen­heit ein Be­grü­ßungs­kuss mit Mag­da nicht zu um­ge­hen war, ahn­te ich.

      Sie emp­fing mich freund­lich, aber kühl, sah mich mehr­mals prü­fend an und fand mich stär­ker ge­wor­den, aber so ein we­nig ge­dun­sen im Ge­sicht, wie sie sich aus­drück­te. Das är­ger­te mich, aber ich ließ mir nichts da­von mer­ken, son­dern er­zähl­te mit Ei­fer zu­erst von mei­nem Seil­kauf, dann von der schö­nen Stadt Ham­burg, dem Fried­hof in Ohls­dorf und der Rei­her­stieg­werft, auch von ei­nem Or­gel­kon­zert, das ich (ganz zu­fäl­lig) in der Ni­co­lai­kir­che mit an­ge­hört hat­te. Da­durch be­wies ich, dass ich nicht etwa nur in Schen­ken her­um­ge­ses­sen, son­dern ein in­ter­essan­tes, le­ben­di­ges Da­sein ge­führt hat­te, und ich mun­ter­te die viel zu erns­te Mag­da da­mit auch wirk­lich ein we­nig auf.

      Sie hin­ge­gen be­rich­te­te mir viel von dem Gang der Ge­schäf­te; sie hat­te wie­der et­was Neu­es an­ge­fan­gen. Sie war mit un­se­rem klei­nen Wa­gen fast alle Tage über Land ge­fah­ren und hat­te bei al­len Im­kern Ho­nig auf­ge­kauft, noch vor­han­de­nen, aber auch schon im Voraus den der künf­ti­gen Raps- und Lin­den­blü­te; sie hat­te Glä­ser ge­kauft und woll­te un­se­rer Fir­ma ein großes Ho­nig­ver­sand­ge­schäft di­rekt an die Kund­schaft an­glie­dern. Sie fing an, mit mir von den In­se­ra­ten­tex­ten zu spre­chen und von den Zei­tun­gen, in de­nen un­ser Ho­nig­ver­sand an­ge­zeigt wer­den soll­te.

      Ich aber konn­te kaum noch zu­hö­ren. Ich war nicht ei­gent­lich müde, aber ich war all die­ser Din­ge so müde, die­ser un­er­müd­li­chen Ge­schäf­tig­keit – um gar nichts. Denn was war das, Ho­nig ver­sen­den? Es war nichts, die Leu­te aßen ihn, und dann war es wie­der vor­bei, es war wie Sei­fen­bla­sen, ein schil­lern­des Nichts mit we­nig Luft ge­füllt in sehr viel Licht. Es zer­platz­te, nichts blieb, al­les Täu­schung und Schwar­ze Ma­gie!

      ›Ach, geh doch weg, du! Rede nicht ewig, schwät­ze nicht so viel! Lass mich in Frie­den! Was rennst du dich ab? Es gibt hun­dert­tau­send und Mil­lio­nen Fir­men auf der Welt; glaubst du, dei­ne ist wich­tig? Sie ist ganz schnurz, nicht ein­mal eine Flie­ge küm­mert sich dar­um! Ja, wenn ich jetzt einen Schnaps hät­te, dann könn­te ich dir wie­der mit Auf­merk­sam­keit zu­hö­ren. Ich könn­te wohl einen ha­ben, ich könn­te mir eine gan­ze Bud­del Schnaps durch Else aus der nächs­ten Knei­pe ho­len las­sen, aber ich kann’s nicht tun, weil du hier rum­sitzt und ewig schwätzt. Weil du in mei­nem Le­ben rum­sitzt, dar­um kann ich nicht tun, was mei­nem Le­ben ge­fällt. Nein, nein, es ist na­tür­lich nicht so schlimm ge­meint, ich habe sie schon ganz ger­ne, die Mag­da,


Скачать книгу