Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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Dor­fes läu­te­te es ge­ra­de zur Mit­tags­stun­de; vor mir, an mir vor­bei, mir nach zo­gen die Dör­f­ler, die vom Fel­de ka­men, Ha­cken oder Spa­ten auf der Schul­ter. Man­che grüß­ten mich, an­de­re sa­hen mich nur mus­ternd von der Sei­te an, wie­der an­de­re schließ­lich stie­ßen sich an, ver­zo­gen die Ge­sich­ter und lach­ten, wäh­rend sie an mir vor­bei­gin­gen.

      Es moch­te ja nur die üb­li­che dörf­li­che kri­ti­sche Ein­stel­lung dem stadt­fein an­ge­zo­ge­nen Frem­den ge­gen­über sein, ich hat­te aber doch den Arg­wohn, dass mir viel­leicht et­was von mei­nem Al­ko­hol­ge­nuss an­zu­mer­ken oder et­was an mei­ner Klei­dung nicht in Ord­nung sei. Ich hat­te es schon er­fah­ren, dass eine der schlimms­ten Ga­ben, die der Al­ko­hol mit sich bringt, die­ses Un­si­cher­heits­ge­fühl ist, ob ir­gen­det­was an ei­nem nicht ganz stimmt. Man kann sich noch so oft im Spie­gel mus­tern, die Klei­dung ab­tas­ten, je­den Knopf nach­prü­fen – nie, wenn man et­was ge­trun­ken hat, ist man ganz si­cher, dass man nicht doch et­was über­se­hen hat, et­was ganz of­fen Zu­ta­ge­lie­gen­des, das man aber doch trotz ge­spann­tes­ter Auf­merk­sam­keit im­mer wie­der über­sieht. Im Traum hat man ganz ähn­li­che Ge­füh­le, be­wegt sich hei­ter in der ge­wähl­tes­ten Ge­sell­schaft und ent­deckt plötz­lich, dass man ver­ges­sen hat, sei­ne Ho­sen an­zu­zie­hen.

      Also, die­ses An­ge­st­arrt­wer­den wur­de mir läs­tig, zu­dem fiel mir ein, dass ge­ra­de die leb­haf­te Mit­tags­stun­de nicht die rich­ti­ge Zeit sein wür­de, mei­ne Hüb­sche auf­zu­su­chen. Ich schlug einen seit­ab füh­ren­den Feld­weg ein und warf mich un­ter ei­nem schat­ten­den Ge­büsch ins Gras. So­fort ver­fiel ich in Schlaf, in je­nen tief­schwar­zen Schlaf, den der Al­ko­hol bringt, wo­bei man ge­wis­ser­ma­ßen aus­ge­löscht ist, einen be­fris­te­ten Tod stirbt. Kei­ne Träu­me gibt es da mehr, kei­ne Ah­nung von Licht und Le­ben – fort ins Nichts! Das ist es.

      Als ich wie­der er­wach­te, stand die Son­ne schon tief, ich muss­te vier, viel­leicht so­gar fünf Stun­den ge­schla­fen ha­ben. Wie im­mer in die­ser Zeit hat­te mich der Schlaf gar nicht er­frischt, ich er­wach­te alt und müde, ein zitt­ri­ges Ge­fühl in den Glie­dern. Mei­ne Kno­chen wa­ren steif, als ich mich auf­rich­te­te, und mit dem Ge­hen kam ich nur schwer zu­recht. Ich wuss­te aber jetzt schon, dass das al­les mit den ers­ten Schnäp­sen, die ich zu mir nahm, sich rasch ge­ben wür­de, und be­eil­te mich dar­um, in den Gast­hof zu kom­men.

      Ich hat­te die Stun­de gut ge­wählt: Wie­der ein­mal war die Schank­stu­be leer, auch hin­ter der The­ke stand nie­mand. Steif ließ ich mich in einen Korb­ses­sel fal­len und hal­lo­te durs­tig nach der Be­die­nung. Erst steck­te sich ein Mäd­chen­kopf durch die Tür­spal­te, es war aber nicht mei­ne blas­se Hüb­sche, son­dern ein zott­li­ges, rot­na­si­ges We­sen äl­te­rer Mach­art, dann sah eine di­cke Frau zu mir hin, rief: »Gleich! Gleich!« und öff­ne­te die Trep­pen­tür, die ich in je­ner Nacht, blind an der Hand ge­führt, hin­auf­ge­stie­gen war.

      »Eli­nor! Eli­nor! Komm run­ter!« rief die Wir­tin, ver­si­cher­te mir noch ein­mal, dass ich gleich be­dient wer­den wür­de, und ver­schwand wie­der in der Kü­che.

      Also Eli­nor hieß sie, da hat­te ich mit El­sa­be nicht ganz schlecht ge­ra­ten. Aber Eli­nor war auch sehr gut, war ei­gent­lich noch bes­ser. Eli­nor pass­te zu ihr. Eli­nor, la rei­ne d’al­cool, wirk­lich sehr hübsch!

      Und da hör­te ich sie auch schon die Trep­pe her­un­ter­kom­men, gar nicht reh­fü­ßig üb­ri­gens; die Tür klapp­te, und sie trat ein. Sie hat­te sicht­lich ge­schla­fen, das Haar war nicht so glatt und or­dent­lich auf­ge­steckt wie sonst, und ihr hel­les Kleid hat­te et­was Zer­drück­tes, Unor­dent­li­ches. Sie stand da einen Au­gen­blick und sah zu mir her­über. Sie er­kann­te mich nicht gleich, sie muss­te ge­gen die Son­ne se­hen. Dann rief sie ganz ver­gnügt: »Ach, das ist ja nur das Vä­ter­chen, das so gern Schnaps trinkt!«, rie­f’s und lief schon wie­der die Trep­pe hin­auf.

      Ich nahm ihr die neu­er­li­chen, für mei­nen Durst ei­gent­lich schmerz­li­chen Wor­te ge­wiss nicht übel, war ich doch nur froh über die­sen un­be­fan­ge­nen Empfang. Ein biss­chen hat­te ich mich doch ge­fragt, wie sie mich nach mei­nem Ab­gang über das Schup­pen­dach in je­ner Nacht auf­neh­men wür­de. Nun aber war al­les gut, und ich war­te­te mit Ge­duld die fünf Mi­nu­ten, bis sie, nun­mehr ge­schnie­gelt und glatt, wie­der auf­tauch­te. Sie kam gleich an mei­nen Tisch, bot mir wie ei­nem al­ten Freund die Hand und sag­te freund­lich: »Ich dach­te schon, Sie woll­ten gar nicht mehr wie­der­kom­men! Was ha­ben Sie denn so lan­ge ge­macht? Sind Sie nun schon ganz bank­rott?«

      »Noch nicht, ma rei­ne«, sag­te ich, auch lä­chelnd. »Vor­läu­fig habe ich erst ein­mal das Ge­schäft mei­ner Frau über­tra­gen, mit der ich üb­ri­gens in Schei­dung lie­ge. Was meinst du dazu, mei­ne Hüb­sche? In acht Wo­chen bin ich viel­leicht schon zu ha­ben! Noch ganz gut er­hal­ten, wie?«

      Sie sah mich einen Au­gen­blick an, dann ver­schwand das Lä­cheln von ih­rem Ge­sicht, und sie sag­te ganz kühl und ge­schäfts­mä­ßig: »Ei­nen Korn, nicht wahr? Oder gleich wie­der eine gan­ze Fla­sche, wie?«

      »Rich­tig, mei­ne Gol­de­ne!«, rief ich. »Gleich wie­der eine gan­ze Fla­sche! Und für dich wie­der­um eine Fla­sche Sekt!«

      »Nicht am Tage«, ant­wor­te­te sie kurz und ging.

      Ei­nen Au­gen­blick spä­ter hat­te ich zu trin­ken, aus­gie­big, von die­sem was­ser­hel­len Stoff, den ich schon mehr lieb­te als den Ko­gnak. Aber sonst kam ich an die­sem Nach­mit­tag nicht auf mei­ne Kos­ten. Eli­nor war stän­dig be­schäf­tigt, in und au­ßer der Gast­stu­be, und wir konn­ten nur dann und wann ein paar Wor­te wech­seln. Dar­über ver­dros­sen, trank ich mehr als ge­wohnt, schon nach an­dert­halb Stun­den muss­te mir Eli­nor eine zwei­te Fla­sche brin­gen, und ich spür­te selbst, dass ich schwer be­rauscht war.

      Dann ka­men ein paar jun­ge Bur­schen, dar­un­ter auch je­ner jun­ge Mau­rer, mit dem Eli­nor so ver­traut ge­spro­chen hat­te; und bloß um das Mäd­chen an mei­nen Tisch zu zie­hen (was aber auch nur für Mi­nu­ten ge­lang), ließ ich sie alle bei mir Platz neh­men und be­stell­te für je­den, was er sich wünsch­te. Schon nach kur­z­er Zeit bot mein Tisch einen wil­den An­blick: Bier- und Schnaps­glä­ser, Wein- und Sekt­fla­schen stan­den in ei­nem wil­den Durchein­an­der auf ihm, und um ihn grup­pier­te sich eine Rot­te wild durch­ein­an­der re­den­der, schrei­en­der, la­chen­der, fuch­teln­der Ge­stal­ten, und ich war eine der wil­des­ten und be­trun­kens­ten von al­len. Ich fühl­te mich ganz los­ge­las­sen, ich war wirk­lich wie ein Stein, der in den Ab­grund stürzt – ich dach­te an nichts mehr.

      Bei un­se­rem Lär­men hat­ten wir es ganz über­hört, dass ein Auto vor­ge­fah­ren war, und auch als zwei Her­ren ein­tra­ten, ach­te­ten wir kaum auf sie. Ich schrie ei­nem Ge­gen­über, der gar nicht auf mich hör­te, wei­ter ir­gend­wel­che Be­teue­run­gen zu – und ver­stumm­te plötz­lich, wie auf den Mund ge­schla­gen, denn ei­ner der bei­den Her­ren, die jetzt an ei­nem Ne­ben­tisch Platz nah­men, hat­te mich mit ei­nem freund­li­chen »Gu­ten Abend!« be­grüßt, und die­ser Herr war Dr. Mans­feld. Den an­de­ren Herrn kann­te ich nicht.

      Auch mei­ne Zech­kum­pa­ne ver­stumm­ten, und auch, als sie sa­hen, dass nichts wei­ter er­folg­te, son­dern dass die Her­ren am Ne­ben­tisch, in ein Ge­spräch ver­tieft, ru­hig ihr Bier tran­ken, kam die alte Lus­tig­keit nicht wie­der auf. Ei­ner nach dem an­de­ren ver­drück­te sich, schließ­lich saß ich al­lein in die­sem wüs­ten To­hu­wa­bo­hu


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