Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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ist, re­det er, er­zählt er, gibt an, ist der große Ga­no­ve und all­be­fah­re­ne Knast­schie­ber, aber al­lein mit sich ist er sehr al­lein, wird klein und ver­zagt.

      Hät­te nicht so sein sol­len zu Wacht­meis­ter Stei­nitz, denkt er. Ge­mein war das. Bloß da­mit die grü­nen Jun­gens, die Stub­ben, se­hen, dass ich ihn in der Ta­sche habe. Es lohnt nicht, al­les ma­che ich ver­kehrt – wie wird’s drau­ßen ge­hen?

      Wenn der Schwa­ger doch erst schrie­be …! Aber so … da ist die Welt drau­ßen, all die­se Städ­te und die Zim­mer, von de­nen man ei­nes mie­ten muss, und die Ar­beits­stel­len und das Geld, das viel zu schnell alle wird – und was dann?

      Er starrt vor sich hin. Kei­ne achtund­vier­zig Stun­den tren­nen ihn vom Ent­las­sungs­ter­min, den er so heiß her­bei­ge­sehnt hat seit fünf Jah­ren. Nun ist ihm angst. Hier ist er gern ge­we­sen, er hat sich rasch ge­fun­den in den Ton und die Art, er hat schnell ge­lernt, wo man de­mü­tig sein muss und wo man frech wer­den kann. Sei­ne Zel­le ist im­mer blank ge­wie­nert ge­we­sen, sein Kü­bel­de­ckel hat stets ge­glänzt wie ein Spie­gel, und den Ze­ment­bo­den sei­ner Zel­le hat er zwei­mal die Wo­che mit Gra­fit und Ter­pen­tin ge­putzt, dass er ge­schim­mert hat wie ein Af­fe­narsch.

      Sein Pen­sum hat er im­mer ge­strickt, oft zwei, manch­mal so­gar drei, er hat sich Zu­satz­le­bens­mit­tel kau­fen kön­nen und Ta­bak. Er ist in die zwei­te Stu­fe ge­kom­men und in die drit­te, ein ver­trau­ens­wür­di­ger Mus­ter­ge­fan­ge­ner, in des­sen Zel­le die Kom­mis­sio­nen ge­führt wur­den und der stets an­ge­mes­sen und be­schei­den geant­wor­tet hat.

      »Ja, ich füh­le mich sehr wohl hier, Herr Ge­heim­rat.«

      »Nein, ich mer­ke, es tut mir gut, Herr Ober­staats­an­walt.«

      »Nein, ich habe über nichts zu kla­gen, Herr Prä­si­dent.«

      Aber manch­mal – jetzt grinst er, er denkt dar­an, wie er den klei­nen Stu­den­tin­nen, die Wohl­fahrts­für­sor­ge­rin­nen wer­den woll­ten und ihn so gie­rig nach sei­ner Straf­tat frag­ten, wie er de­nen de­mü­tig statt Un­ter­schla­gung und Ur­kun­den­fäl­schung geant­wor­tet hat: »Blutschan­de. Hab mit mei­ner Schwes­ter ge­schla­fen. Lei­der.«

      Er denkt an das ent­zückt über die­sen Witz grin­sen­de Ge­sicht des Po­li­zei­in­spek­tors und an die eine Stu­den­tin, die ihm mit flam­men­dem Blick im­mer dich­ter auf den Leib rück­te. Net­tes Mäd­chen, hat ihm gu­ten Stoff für man­ches Ein­schla­fen ge­lie­fert.

      Und die fei­ne Zeit, als er beim ka­tho­li­schen Pfaf­fen im­mer den Al­tar rüs­ten muss­te, trotz­dem der sich hef­tig ge­gen einen »Evan­ge­li­schen« ge­wehrt hat­te. Aber es gab »kei­ne ver­trau­ens­wür­di­gen Ka­tho­li­ken« im Bau, das war ein Hieb der evan­ge­li­schen Be­am­ten ge­gen den ka­tho­li­schen Pfar­rer.

      Wie er da hin­ter der Or­gel ge­stan­den und Luft in die Bäl­ge ge­pus­tet hat­te, und der Kan­tor gab ihm je­des Mal eine Zi­gar­re, und ein­mal war der ka­tho­li­sche Kir­chen­chor oben, und die Mä­dels schenk­ten ihm Scho­ko­la­de und fei­ne Toi­let­ten­sei­fe. Hin­ter­her nahm sie ihm frei­lich der Haupt­wacht­meis­ter Rusch wie­der ab. »Puff! Puff!« hat­te er in Ku­falts Zel­le ge­schnup­pert, »riecht hier wie Puff.« Und hat­te so lan­ge ge­sucht, bis er sie ge­fun­den hat­te und die olle So­da­sei­fe wie­der Trumpf war.

      Nein, eine gute Zeit hat­te er ge­habt, al­les in al­lem, ei­gent­lich kam die Ent­las­sung et­was Hals über Kopf. So recht vor­be­rei­tet war nichts, er wür­de ganz ger­ne noch so sechs oder acht Wo­chen blei­ben, sich auf die Ent­las­sung rüs­ten. Oder war es, dass er auch schon me­schug­ge war, zu spin­nen an­fing …? Er hat­te es ja hun­dert­mal er­lebt, die Ver­nünf­tigs­ten, die Ru­higs­ten wur­den kurz vor der Ent­las­sung durch­ge­dreht, fin­gen an zu spin­nen. War er auch so­weit?

      Vi­el­leicht ja, das mit dem Net­ze­meis­ter und dem di­cken Ju­den, da so ein­fach in die Zel­le, das hät­te er frü­her nicht ris­kiert, und das mit Wacht­meis­ter Stei­nitz auch nicht.

      Wenn nur erst der Schwa­ger schrie­be! Hat­te der Haupt­wacht­meis­ter heu­te schon die Post ver­teilt? Schwein das, auf den konn­te man sich auch nie ver­las­sen, hat­te er kei­ne Lust, gab er drei Tage kei­ne Post aus!

      Ku­falt macht ein paar Schrit­te und stutzt. Er hat doch die Wasch­schüs­sel stets so auf dem Schränk­chen ste­hen, dass ihr Rand mil­li­me­ter­ge­nau mit der Schrank­kan­te ab­schnei­det? Und jetzt steht sie min­des­tens einen Zen­ti­me­ter zu­rück?

      Er öff­net die Schrank­tür.

      Kie­ke da, der hat mei­ne Zel­le durch­ge­filzt, das olle Stiel­au­ge, der Net­ze­meis­ter! Hat die Hoff­nung noch nicht auf­ge­ge­ben auf sei­nen Hun­der­ter! Na, war­te, mein Jun­ge, wenn du dich da man nicht schnei­dest!

      Ku­falt wirft einen arg­wöh­ni­schen Blick ge­gen den Spi­on und greift dann rasch an sein Hals­tuch. Es knit­tert be­ru­hi­gend dar­in. Aber nun fällt ihm ein, dass in spä­tes­tens ei­ner hal­b­en Stun­de Vor­füh­rung beim Arzt ist, und da muss er sich aus­zie­hen und darf also den Hun­der­ter nicht bei sich ha­ben. Das weiß der Net­ze­meis­ter auch, dann wird er die Zel­le noch mal fil­zen …

      Ku­falt zieht grü­belnd die Stir­ne in Fal­ten. Er weiß na­tür­lich, dass es in der Zel­le kein Ver­steck gibt, das die Be­am­ten nicht ken­nen. Die ha­ben da vor­ne eine Lis­te, ein Wacht­meis­ter hat es ihm mal er­zählt; zwei­hun­der­telf Mög­lich­kei­ten gibt es, in dem Dreck­ding von Zel­le was zu ver­ste­cken.

      Aber für ihn han­delt es sich jetzt nur dar­um, ein Ver­steck zu fin­den, das an­dert­halb Stun­den vor­hält. Län­ger dau­ert die Vor­füh­rung beim Arzt nicht, und län­ger hat der also auch kei­ne Zeit zu su­chen.

      Im Rücken vom Ge­sang­buch? Nein, das ist schlecht. In der Ka­pok­ma­trat­ze? Das wäre nicht dumm, aber da­für ist die Zeit jetzt zu kurz, er kann nicht auf­tren­nen und zunä­hen in der hal­b­en Stun­de bis zur Vor­füh­rung. Au­ßer­dem müss­te er sich erst das pas­sen­de Garn von den Satt­lern be­sor­gen.

      Nun zeigt es sich, dass es dumm war, den Kü­bel zu lee­ren, an­dert­halb Stun­den in dem Dreck auf dem Bo­den zu lie­gen, das hät­te dem Hun­der­ter nichts ge­scha­det, das wäre wie­der raus­zu­krie­gen ge­we­sen, aber nun war der Kü­bel leer.

      Un­ter den Tisch kle­ben?

      Am bes­ten un­ter den Tisch mit Brot­kru­men fest­kle­ben!

      Er dreht schon an den Kü­gel­chen, aber dann lässt er es wie­der: Es ist zu be­kannt, und ein Blick ge­nügt. Lie­ber nicht.

      Ku­falt wird ner­vös. Es klin­gelt schon zum Schluss der letz­ten Frei­stun­de, in ei­ner Vier­tel­stun­de geht die Vor­füh­rung los. Ob er den Schein doch mit zum Arzt nimmt? Er könn­te ihn ganz fest zu­sam­men­rol­len und sich hin­ten rein­ste­cken. Aber viel­leicht gibt der Net­ze­meis­ter dem Haupt­bul­len vom La­za­rett einen Wink, und dann wird er so ge­filzt – die sind im­stan­de und un­ter­su­chen ihn auf Mast­darm­krebs!

      Er ist rat­los. Es ist ge­nau, wie wenn er raus­kom­men wird. Da sind auch so vie­le Mög­lich­kei­ten, und bei al­len ist ein »Aber« da­bei. Man muss sich ent­schei­den kön­nen, aber das eben kann er nicht. Wie soll er auch? Die ha­ben ihm doch hier fünf Jah­re lang jede Ent­schei­dung ab­ge­nom­men. Die ha­ben ge­sagt: »Friss!«, und da hat er ge­fres­sen. Die ha­ben ge­sagt: »Geh durch die Tür!«, und da ist er durch­ge­gan­gen, und: »Schreib


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