Heinrich von Kleist's politische Schriften und andere Nachträge zu seinen Werken. Heinrich von Kleist
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Heinrich von Kleist
Heinrich von Kleist's politische Schriften und andere Nachträge zu seinen Werken
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2021
EAN 4064066113186
Inhaltsverzeichnis
2. Politische Aufrufe und Betrachtungen.
1. Eine Legende nach Hans Sachs. Gleich und Ungleich. (3. November.)
2. Eine Legende nach Hans Sachs. Der Welt Lauf. (8. December.)
Einleitung.
I.
Wehe, mein Vaterland, dir! Die Leier zum Ruhm dir zu schlagen,
Ist, getreu dir im Schooß, mir, deinem Dichter, verwehrt,
schrieb Heinrich von Kleist auf das Titelblatt seines vaterländischen Dramas die Hermannsschlacht, als er es im Jahre 1808 vollendet hatte. Es war eine Grabschrift, die er dem Vaterlande, seiner Dichtung, sich selbst setzte, und in finsterm Haß sich in das Schweigen der Hoffnungslosigkeit zu vergraben, schien der letzte Trost, den das Leben ihm noch nicht geraubt hatte. Voll Liebe zum Vaterlande will er ihm zum Ruhme singen, aber in der Gegenwart sieht er es schmachbedeckt in den Staub getreten; er wendet den Blick rückwärts, der ruhmvollen Vergangenheit entlehnt er den Stoff seiner Dichtung, im Sturme will er sein Volk mit sich fortreißen, aber die Hörer verschließen ihm das Ohr. Für die Enkel ist es gefährlich geworden, dem Heldenliede von den Thaten der Ahnen zu horchen, der Sänger schließt sein „letztes Lied“, „er wünscht mit ihm zu enden, und legt die Leier thränend aus den Händen!“[1] Keine Bühne will sich seinem vaterländischen Schauspiel öffnen. Zurückgewiesen von den Seinen verschließt er einsam den Schmerz und das Elend des eigenen Lebens, die Schmach und den Gram Deutschlands in jene Worte, die zur schwer lastenden Anklage eines selbstvergessenen Volks werden.
Dennoch nennt sich Kleist den Dichter seines Vaterlandes; getreu bleibt er ihm im Schooß, während viele andere, denen es Macht, Ehre, Ruhm gegeben hatte, untreu geworden waren, es durch That, Wort oder verzagtes Schweigen verrathen hatten. Nicht Fürsten und Volksstämme, Generale und Staatsmänner allein, auch Männer der Wissenschaft und Dichter hatten das gethan. In das Unendliche hatte sich die Wissenschaft versenkt und die Welt durchmessen, das Vaterland, in dem sie aufgewachsen war, blieb ihr fast fremd; in Griechenland und Rom lebte die Dichtung, in Deutschland nicht. Weder die eine noch die andere ahnte das Verderben, das sich heranwälzte, bestürzt hatten sie geschwiegen, als es hereinbrach, oder den fremden Gewalthaber als den Vollzieher des Weltgeschicks wohl gar bewundert und gepriesen. Kleist wollte nichts als sein Deutschland, sein oft geschmähtes Brandenburg, ob auch hier „die Künstlerin Natur bei der Arbeit eingeschlummert“, ob es auch gerade jetzt doppelt arm und öde sein mochte; er wollte es, weil es das Vaterland war.[2] Aus ihm sprach die Stimme des lang eingeschläferten Gewissens, das laut mahnte, dem Zwiespalt zwischen Weltbürgerthum und Volkssinn, Staat und Vaterland, Wissenschaft und Leben ein Ende zu machen, und die tiefsten Kräfte zum Kampfe aufzurufen. Jene Verse, wie sein Drama, waren ein erster erschütternder Ausdruck der Wiedervereinigung der Dichtung mit dem Vaterlande, und darum lassen sie selbst in der Hoffnungslosigkeit die Rettung ahnen; es liegt in ihnen der Wendepunkt des deutschen Lebens. Denn anders mußte es werden, sobald diese Ueberzeugung allgemein ward; selbst die höchsten Güter der Menschheit, denen man so lange nachgetrachtet hatte, verloren ihre bildende und heiligende Kraft, wenn sie durch den volksthümlichen Muth nicht mehr geschirmt wurden. Es brach die Zeit an, wo Schleiermacher und Fichte Volksredner waren, Arndt durch Lied und That wirkte und ein jüngeres Dichtergeschlecht heraufwuchs, das nicht mehr classisch, sondern vaterländisch sein wollte, selbst zum Schwerte griff und kämpfend fiel, wie Körner, oder das Glück der Sieger beneidend, den Sieg feierte, wie Schenkendorf und Rückert.
Nicht so glücklich war Kleist; in die Mitte gestellt, zwischen die schonungslose Uebermacht der Gegenwart und die zweifelhafte Zukunft, hat er weder den Kampf noch den Sieg erlebt, und gleichgültig haben sich seine Zeitgenossen von ihm abgewandt. Den Weltklugen zu mystisch, den Frommen zu ruchlos, den Politikern zu unpraktisch, den Zahmen zu wild, dem Meister der Kunst zu roh und formlos, fand er bei seinem Leben nur wenige Freunde, und als der widerwärtige Streit über seinem Grabe verstummt war, ward er im Toben des Volkskampfes, den er erwecken wollte, fast vergessen, und die Kränze, nach denen er gegeizt hatte, wurden andern zu Theil.
Gewiß war er als Mensch weder im Leben noch im Tode frei von schwerer Schuld, aber so oft dies auch gesagt worden ist, dem Dichter ist die folgende Zeit langer Ruhe kaum gerecht, geschweige denn günstig, geworden. Zehn Jahr später hat ihn Tieck in das Gedächtniß des genießenden Geschlechtes, dem die starke, männliche Dichtweise unbequem geworden war, zurückgerufen. Ihm, seiner reinen Anerkennung verdankt man es, wenn Kleist’s Stelle in der Litteraturgeschichte gesichert ist. Auch das ist langsam und zögernd geschehen. In fünfzig Jahren sind nur zwei Gesammtausgaben erschienen, und zwischen beiden liegt ein Menschenalter. Nicht ohne Mühe haben sich drei seiner Dramen auf der Bühne eingebürgert, gerade das vollendetste, das vorzugsweise heimische, mußte, der Gefahr des Unterganges kaum entzogen, am längsten gegen das Vorurtheil kämpfen, und die Hermannsschlacht, die schon vor einem halben Jahrhundert zünden sollte, hat ihre Hörer bis heute nicht gefunden.
Auch die Nachlese, so ergiebig bei andern Dichtern, und die Kunde von seinem Leben ist demselben Mißgeschick verfallen. Einen großen Theil seiner Schriften hat er in selbstquälerischer Verachtung zerstört; was sonst zu hoffen, war verschollen oder in unbekannten Zeitschriften begraben, und erst Julian Schmidt’s Ausgabe hat aus dem Phöbus einen Theil des Vergessenen wieder ans Licht gebracht. Vereinzelt und zufällig