Gesammelte Werke von Sacher-Masoch. Леопольд фон Захер-Мазох
Читать онлайн книгу.Bedächtig, die Flinten auf der Schulter, schritten wir, der alte Heger und ich, durch den Urwald, welcher in schweren, dunklen Massen am Fuße unseres Gebirges lagert, und seine Riesenglieder weithin in die Ebene streckt. Der Abend ließ das scheinbar unbegrenzte Gebiet schwarzen jungfräulichen Nadelholzes noch finsterer und schweigender als sonst erscheinen; weithin war keine Stimme eines Lebenden, kein Laut, kein Rauschen eines Wipfels zu vernehmen, und weithin kein Licht außer von Zeit zu Zeit ein blasses mattgoldenes Netz, das die scheidende Sonne über Moos und Kräuter gespannt hatte.
Der Himmel, wolkenlos, blaßblau wurde nur in einzelnen Stücken zwischen den unbeweglichen, ehrwürdigen Fichtenhäuptern sichtbar. Ein schwerer Geruch feuchter Fäulniß schwebte in den riesigen Nadeln und Halmen, nicht einmal unter unsern Füßen knisterte es. Wir gingen auf einem weichen nachgiebigen Teppich. Manchmal erblickte man eines jener verwitterten grün überzogenen Felsstücke, wie sie an dem Abhange der Karpathen tief in die Wälder und sogar bis in die getreidegelbe Fläche hinab zerstreut sind; stumme Zeugen jener halbvergessenen Zeit, wo ein großes Meer seine Fluthen gegen die zackigen Ufer unseres Gebirges trieb, und als sollte es uns an jene feierlich monotonen Schöpfungstage mahnen, erhob sich plötzlich ein starker Wind, und jagte seine unsichtbaren Wellen brausend durch die schweren Wipfel, die zitternden grünen Nadeln, die tausend und tausend Gräser und Kräuter, welche sich demüthig vor ihm neigten.
Der alte Heger blieb stehen, strich sich das weiße Haar zusammen, das die wilde strömende Luft verwirrt hatte, und lächelte. Ueber uns im blauen Aether schwebte ein Adler.
Der Alte legte die Hand über die Augen, zog die schweren Brauen zusammen und blickte auf ihn.
»Wollen Sie ihn schießen?« sprach er gedehnt.
»Wie wäre es möglich,« entgegnete ich.
»Der Sturm treibt ihn herab,« murmelte der Alte, ohne seine Stellung zu verändern. Wirklich wuchs der schwarze, geflügelte Punkt über uns von Sekunde zu Sekunde, schon sah ich sein Gefieder glänzen. Wir näherten uns einer Lichtung, welche von düsteren Fichten umsäumt war, zwischen denen einzelne weiße Birken, wie Gerippe eines anatomischen Museums standen, und hie und da rothe Vogelbeeren glühten.
Der Adler kreiste ruhig über uns.
»Nun schießen Sie.«
»Schieße du, Alter.«
Der Heger schloß die Augen halb, zwinkerte eine Weile, nahm dann seine rostige Büchse von der Schulter und spannte den Hahn.
»Soll ich in Wahrheit?«
»Gewiß! ich treffe ihn ohnehin nicht.«
»Nun in Gottes Namen.«
Der Alte legte die Büchse ruhig an die Backe, es blitzte aufwärts, die Waldung gab den Schuß grollend zurück.
Der Vogel schlug die Flügel zusammen und schien einen Augenblick noch von der Luft emporgetragen, dann stürzte er wie ein Stein zur Erde.
Wir eilten hin.
»Kain! Kain!« scholl es uns plötzlich aus dem Dickicht entgegen, ehern, gewaltig wie die Stimme des Herrn, als er im Paradiese zu den ersten Menschen sprach, oder zu dem Verfluchten, der das Blut seines Bruders vergossen hatte.
Und die Zweige theilten sich.
Vor uns war eine Erscheinung von übermenschlicher Wildheit und Seltsamkeit.
Ein Mann stand im Gebüsche hoch aufgerichtet, ein Greis von riesigem Gliederbau, barhaupt, mit wallendem weißen Haupthaar und strömendem weißen Barte und weißen Brauen, und großen, drohenden, finsteren Augen, welche er gleich einem Rächer, einem Richter auf uns haften ließ. Sein härenes Gewand war vielfach geflickt und zerrissen, von seiner Schulter hing eine Kürbisflasche, er stützte sich auf einen Pilgerstab und winkte traurig mit dem Haupte. Dann trat er heraus, hob den todten Adler auf, dessen warmes Blut über seine Finger rieselte, und betrachtete ihn schweigend.
Der Heger bekreuzte sich.
»Es ist ein Wanderer«, flüsterte er mit gehemmtem Athem, »ein Heiliger.«
Hierauf hing er leise seine Flinte um und verschwand zwischen den braunen hundertjährigen Bäumen.
Mein Fuß wurzelte gegen meinen Willen an der Erde, und ebenso beinahe nothgedrungen mußte ich den unheimlichen Greis betrachten.
Ich hatte oft genug von der seltsamen Sekte gehört, zu welcher er sich zählte und die bei unserem Volke in so großem ehrwürdigen Ansehen steht. Nun konnte ich meine Neugierde befriedigen.
»Was hast du jetzt davon, Kain!« sprach der Wanderer nach einer Weile zu mir gewendet, »ist deine Mordlust befriedigt, bist du satt vom Blute deines Bruders!«
»Ist der Adler nicht ein Räuber?« erwiederte ich rasch, »mordet er nicht die kleineren und schwächeren seines Geschlechts, ist es nicht vielmehr ein gutes Werk ihn zu tödten?«
»Ja er ist ein Mörder,« seufzte der absonderliche Alte, »er vergießt Blut wie Alle, die leben, aber müssen wir es deshalb auch? Ich thue es nicht du aber – ja – ja – du bist auch von dem Geschlechte Kains, ich kenne dich, du hast das Zeichen.«
»Und du,« sprach ich betreten, »wer bist denn du?«
»Ein Wanderer.«
»Was ist das?«
»Das ist Einer, der auf der Flucht ist vor dem Leben.«
»Seltsam!«
»Seltsam, aber es ist die Wahrheit,« murmelte der Greis, legte den todten Adler sanft zur Erde und sah mich theilnehmend an, und jetzt waren seine Augen auf einmal unendlich sanft und wohlthuend.
»Geh in dich,« fuhr er mit zitternder, mahnender Stimme fort, »sage dich los von dem Vermächtniß Kains, erkenne die Wahrheit, lerne entsagen, lerne das Leben verachten und den Tod lieben.«
»Wie soll ich der Wahrheit nachfolgen, wenn ich sie nicht kenne. Belehre mich.«
»Ich bin kein Heiliger,« erwiederte er«,wie sollte ich dich die Wahrheit lehren, aber ich will dir sagen, was ich weiß.«
Er ging einige Schritte gegen einen faulenden Baumstamm, der auf der Waldblöße lag, und ließ sich auf demselben nieder und ich setzte mich unweit von ihm auf einen moosigen Stein; er stützte das ehrwürdige Haupt in beide Hände und blickte vor sich, und ich ließ die Arme in meinen Schooß sinken und machte mich bereit ihn zu hören.
»Auch ich bin ein Sohn Kains,« begann er, »ein Enkel Jener, die von dem Baume des Lebens gegessen, und muß es abbüßen und wandern – wandern bis ich frei werde vom Leben. Auch ich habe gelebt und mich meines Daseins thöricht gefreut, und es mit lächerlichen Flittern umgeben, auch ich! Ich habe alles mein genannt, was ein Mensch mit seiner stets unbefriedigten Sehnsucht erfassen mag, und habe erfahren, was im Grunde daran ist. Ich habe geliebt und bin verlacht worden, und mit Füßen getreten, als ich mit ganzem Herzen liebte, und bin angebetet worden, als ich mit Anderer Empfindungen, mit Fremder Glück frevelhaft spielte, angebetet wie ein Gott! Ich habe es erfahren, daß die Seele, die ich mit der meinen verschwistert glaubte, der Leib, den meine Liebe heilig hielt, wie eine Waare in dem abscheulichsten Handel verkauft wurden. Ich habe mein angetrautes Weib, die Mutter meiner Kinder, in den Armen eines Fremden gesehen. Ich war der Sklave des Weibes und Herr des Weibes, und war wie König Salomo, der viele Weiber liebte. Ich bin im Ueberflusse aufgewachsen und hatte keine Kenntniß von der Noth und dem Elend der Menschen, aber über Nacht schwand der Reichthum unseres Hauses, und als ich meinen Vater begraben sollte, war kaum das Geld da für seinen Sarg. Ich habe Jahre gekämpft um das Dasein, habe die Sorge, den Kummer kennen gelernt, und den Hunger und schlaflose Nächte und Angst und Krankheit. Ich habe mit meinen Brüdern um Besitz und Vortheil gerungen, habe betrogen und bin betrogen worden, habe geraubt und bin beraubt worden, habe Anderen das Leben genommen und war selbst dem Tode nahe, Alles um dieses teuflische Gold und Eigenthum, und ich habe den Staat, dessen Bürger ich war, leidenschaftlich geliebt, und das Volk, dessen Sprache ich spreche, und habe Amt und Würde bekleidet und zur Fahne meines Landes geschworen, bin mit