Das Tal der Lieder und andere Schilderungen. Löns Hermann
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Hermann Löns
Das Tal der Lieder und andere Schilderungen
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2021
EAN 4064066112745
Inhaltsverzeichnis
Das Tal der Lieder.
Über den Wolfskuhlen ging die Sonne zur Rüste und lachte zum Abschiede den hannoverschen Berg so herzlich an, daß selbst die ernsten Tannen freundlicher aussahen. Die grünen Buchen aber strahlten nur so.
Auf dem Wege, der sich als feuerrotes Band durch die Wiese zog, stiegen Frauen herab, tief gebückt unter den Traglasten von Leseholz auf ihren Rücken. Kinder, die Hände voller Blumen, sprangen ihnen singend und lachend entgegen.
Noch schlugen die Finken und pfiffen die Meisen; doch immer mehr kamen die Drosseln zu Wort hüben und drüben am hellen hannoverschen und dunklen braunschweiger Berge, und die Rotkehlchen mengten ihre süßen Lieder zwischen die lauten Klänge, zu denen der Teufelsbornbach im Grunde vergnügt die Begleitung brummte.
Da schallten klare Stimmen aus dem Walde heraus. Unter den Hängebirken her, die die rote Fahrstraße begleiteten, tauchte ein Trupp junger Kulturarbeiterinnen auf. Leichtfüßig trotz der derben Schuhe und der Rucksäcke und der anstrengenden Arbeit, die hinter ihnen lag, kamen sie daher und sangen, daß es nur so schmetterte:
»Hab' ich kein Geld auf dieser Welt,
Hab' ich einen Schatz, der mir gefällt.
Er ist so weit über Berg und Tal,
Daß ich ihn gar nicht sehen kann.«
Ich nickte ihnen zu. Lustig erwiderten sie den Gruß, ohne sich stören zu lassen; ja, mir wollte es scheinen, als hätten sie nur um so frischer weitergesungen, um mir zu zeigen, daß die Mädchen von Hellental die schönsten Stimmen haben weit und breit. Zehn verschiedene Stimmen waren es, und doch nur ein einziger Klang.
Ich sah ihnen nach, bis sie hinter der Wegkrümmung verschwanden, und als sie schon weit weg waren, hörte ich es noch schallen:
»Und als ich kam in die Großstadt hinein,
Da stand mein Schatz am Fensterlein.
Mir tat mein Herz in der Brust so weh,
Dieweil mein Schatz muß Schildwach stehn.«
Langsam ging ich den Weg entlang, zwischen den Wiesen hin, wo die stolzen Kuckucksblumen bei den bescheidenen Grasnelken standen, hörte den Ringeltäuber drüben am Berge rucksen und den Hohltäuber hüben heulen, sah die goldenen Lichter auf dem Bache verlöschen und den grünen Hang seinen Schein verlieren, und ging weiter, immer weiter unter dem Gatter her, über dem oben auf dem Lichtschlage Rotwild entlang zog, bis es aufwarf und in die Dickung polterte; dann wieder kam Gesang mir entgegen. Waldarbeiter waren es. Hart klangen ihre Nagelschuhe auf dem Steinschotter, aber weich klang es durch den dämmernden Wald:
»Morgens früh an schönen Tagen,
Wenn das Gras am grünsten steht,
Muß ein jeder Jäger wissen,
Wo das schönste Wildbret geht.
Hirsch und Hasen muß man schießen,
Eh' sie laufen in den Wald;
Schöne junge Mädchen muß man lieben,
Eh' und eh' sie werden alt.«
Der Waldkauz in den Buchen fing vor Neid an zu wimmern, so sangen die Männer, und die Ohreule in den Fichten seufzte hinter ihnen her. Ich aber stieg den Berg empor, bis die letzte Drossel ausgesungen hatte, und dann in das Dorf hinab, dessen steile Straße voll von lautem Leben war. Und als ich dann später unter der Hängelampe saß, kamen sie an, die Gehrmanns, Eikenbergs, Roloffs und wie sie alle hießen, lauter Waldarbeiter mit harten Händen und freundlichen Augen, und ein Wort gab das andere, bis erst der eine und dann der andere eine der Wilddiebsgeschichten zum besten gab, die er von seinem Vater gehört hatte, der die Zeiten miterlebt hatte, als das Wild noch nicht hinter den Gattern stand, sondern Nacht für Nacht auf den Feldern zu schaden ging und jeder dritte Mann in der Gegend ein Freischütz war. Lustig und traurig waren die Geschichten, die ich hörte, und wild und wehmütig die Lieder, die wir sangen, und schließlich ließ sich Vater Timmermann, unser Wirt, bewegen, und holte die Forke hervor, den alten einläufigen Vorderlader, mit dem so mancher Hirsch heimlicherweise gefällt war, und der nun schon über ein Menschenalter hahnlos und rostverbrannt im Schranke staubte als Angedenken an die alten schlimmen Tage.
Es war schon spät, als ich in das Bett kam; aber trotzdem war ich früh auf. Die Frühsonne kam blank hinter dem Heukenberge her und schien in mein Fenster, und helle Stimmen klangen hinein; das junge Volk machte seinen Sonntagsfrühgang in den Berg. Lustig klang es von dem einen Berg herüber:
»Es wollte ein Jäger wohl jagen,
Dreiviertel Stunde vorm Tagen,
Ein Hirschlein oder ein Reh,
Ein Hirschlein oder ein Reh,«
und von dem andern her:
»Und jetzt nehm' ich meine Büchse
Und geh' in den Wald
Und schieße mir ein Hirschlein,
Sei es jung oder alt.«
Die Spatzen lärmten, und die Schwalben zwitscherten, die Finken schlugen, die Drosseln pfiffen, und wieder war das ganze Hellental voll von Gesang und frohen Stimmen.
Ich zog dann auch bald hinaus bis dahin, wo das Tal endigte und der Bach in ihm in den Grund fällt, sah die Blumen winken und die Falter fliegen, hörte dem Rauschen der Buchen zu und den Vögeln, die in ihren Zweigen sangen. Aber ab und zu, bald hier, bald da, klangen frohe Menschenstimmen dazwischen; von hüben, von drüben kamen lustige und wehmütige Lieder herab in den Wiesengrund, und als ich zum Dorfe ging, schallten vor mir und hinter mir alte, schöne, liebe Weisen, die sich hier in diesem weltfernen Waldwinkel gehalten haben, aber anderswo meist schon längst vergessen sind.
Als ich in das Dorf hinein kam, kam mir