Das Tal der Lieder und andere Schilderungen. Löns Hermann

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Das Tal der Lieder und andere Schilderungen - Löns Hermann


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Und nachmittags kam das Paar, das nach der Kirche zusammengegeben war, daher. Der Bräutigam im hohen Hute und Kirchenrock, den Myrtenstrauß an der Brust, führte die Braut an der Hand, der der Kranz gut zu dem schwarzseidenen Kleide stand. Hinterher gingen die Brautführer, die weißgekleideten Brautjungfern im Arme, und die Verwandtschaft machte den Beschluß. Und alle sangen:

      »Mir gefällt das Eh'standsleben

       Besser als das Klosterzieh'n.

       In das Kloster mag ich nicht,

       Bin ja schon zur Eh' verpflicht',

       Ja, Eh' verpflicht'.«

      So zogen sie dahin in den grünen Berg nach alter Sitte, und alle Vögel sangen dem jungen Paar zu Ehren mit, so laut sie konnten.

      Wie dieser helle Sonntag im Hellental anfing, so wurde er auch beschlossen. Wohin ich kam im grünen Walde, hallte und schallte es von Liedern. Abends aber versammelte sich das ganze junge Volk im Kruge; rund herum saß die Jungmannschaft und in der Mitte zwei Reihen blühender Mädchen, und Stunde auf Stunde klang die Stube von frischem Liederschall. Das ganz junge Völkchen aber, das just die Schule verlassen hatte und noch nicht in den Krug hinein durfte, stand draußen unter den Fenstern und sang die Lieder ebenso mit, wie im vorderen Zimmer die Ehemänner, nachdem ihnen die Karten langweilig geworden waren.

      Am andern Tag hieß es Abschied nehmen. Aber die Räder des Wagens, der mich nach Dassel führte, und die der Eisenbahn, die mich heim brachte, sangen immer noch die Lieder aus dem Hellental mit, und heute noch ist es mir, als sähe ich die Kulturarbeiterinnen hinter den Birken auf dem roten Wege verschwinden, und ihre Stimmen, die singen in einem fort in mir:

      »Im Sachsenlande, da bleib' ich nicht.

       Die langen Kleider, die trag' ich nicht.

       Die langen Kleider und die spitzen Schuh',

       Die kommen keiner Dienstmagd zu.«

Die bunte Stadt am Harz.

       Inhaltsverzeichnis

      Alle Städte den Harz hinauf, den Harz hinab haben ihre Schätze und Kostbarkeiten; keine aber ist so reich und so bunt wie Wernigerode.

      Alles ist da, was das Herz begehrt: lustiges Leben und träumerische Stille, städtische Eleganz und dörfliche Einfachheit, flutender Fremdenverkehr und feststehende Eigenart, neue Bauart und alte Architektur; sie ist die Stadt der bunten Gegensätze, die zu einer stimmungsvollen Einheitlichkeit verschmolzen sind.

      Schon die Lage des Dreistädtegebildes Hasserode-Wernigerode-Nöschenrode ist eigener Art. Zwischen dem fröhlichen Vorharz und dem ernsten Oberharz schmiegt sich die Stadt an der Stelle hin, wo die wildverwegene Holtemme und der stillsinnige Zillierbach ineinanderrinnen, und in beider Flüsse so verschiedenartig gestaltete Täler dringt die Stadt mit ihren stattlichen Töchterstädten hoch in die Berge und tief in die Täler vor und drängt immer mehr nach der bunten Ebene hin.

      So liegt sie da, dem Brocken nahe, dem Hügellande und der Getreideebene, auf der Grenze zwischen Nadelwald und Laubholz, Granit, Schiefer, Kalk, Sandstein und Lehm, zwischen drei verschiedenartigen Floren- und Faunengebieten, auf der Scheide dreier Volksstämme, dreier Sprachgebiete, dreier Temperamente, dreier Baustilarten, und darum ist sie so reich an Reizen, ist sie so bunt und so schön.

      Sie ist eine echte Harzstadt und voll von internationalem Leben; sie ist eine Acker- und Kleinbürgerstadt, aber mit reichem Gewerbe, kräftigem Handwerk und blühendem Handel. Kein Stand, kein Beruf drückt den andern in den Hintergrund, und die große Fremdenkolonie, in der es von alten Namen und Titeln nur so wimmelt, ist durch unzählige Übergänge mit dem alten Bürgertum und der Arbeiterschaft zu einer rißlosen Lebensgemeinschaft verschmolzen. Dürftigkeit ist keine Schande, und der Luxus gilt als Verdienst.

      Es ist gleich, zu welcher Jahreszeit man dort ist; immer ist es dort schön. Klirren die Flüsse durch Ufereis, hüllt der Schnee Berg und Tal, hier drückt der Winter nicht; denn die Luft ist rein, und der Schnee ist trocken. Jedes Wochenende bringt die Schneeschuhläufer und Rodeler von weit und breit her; denn zu bequem ist die Stadt zu erreichen von Halle und Magdeburg, Hannover und Braunschweig, Bremen und Hamburg und Berlin.

      Wunderbar schön ist es wintertags dort, wenn die Fichten Schneemützen tragen und sich demütig vor Sr. Majestät dem Winter beugen, und da die Berge die bösen Winde abhalten, empfindet man die Kälte nicht gar sehr. Wenn die Tauwinde blasen, Holtemme und Zillierbach ihr Randeis zerbrechen und in tollen Sprüngen zu Tale tanzen, wenn die Zeisige und Kreuzschnäbel auf die Höhen fliehen und auf den Brücken und Stegen die Bergbachstelze wieder umhertrippelt, dann kommt die hohe Zeit für die bunte Stadt am Harz.

      Zwei Jahreszeiten sind dann dort dicht beieinander. Die Gärten protzen mit ihrem Vorfrühlingsflor, die Bäume blitzen von vielfarbigen Knospen, Amselsang und Finkengeschmetter erfüllt das Gezweige; aber ein Stündchen bergan, und der Nachwinter herrscht dort noch. Ernst liegt der Schnee im Schatten, keine Knospe lüftet die Hüllen, und nur der reisenden Meisen Stimmen bringen Leben in den verschlafenen Wald, bis auch ihn die Sonne weckt, bis auch dort der Boden sich mit Blumen schmückt und aus allen Wipfeln lustige Lieder erschallen.

      Blumen und Vogellieder, das ist es, was dem Fremden, und sei er noch so sehr Asphaltmensch, zu allererst in Wernigerode auffällt. Die Ebene, das Hügelland und die Berge, sie alle schicken ihre Blumen bis mitten in die drei Orte hinein, und die drei Städte schieben ihre Anlagen und Gärten hoch in die Berge, überall zwischen die Hügel und tief in die Ebene hinab.

      Wo hört die Stadt auf, wo endet der Garten, und wo fängt das Gebirge an und beginnt die wilde Flora? Darauf gibt es keine Antwort. An den Schieferböschungen mitten in der Stadt wuchert ungestört, entzückende Stilleben bildend, allerlei buntes, wildes Gekräut, und wohin man sieht, über und unter der Stadt, vertragen sich die feierlichen Gartensträucher auf das beste mit den wilden Gebüschen, und mit feinem Takte läßt die Stadtverwaltung dem wilden Geblüm an den Böschungen nicht nur seinen Platz, sondern pflanzt besonders schöne Wildblumen an jenen Stellen der Anlagen an, die weniger streng gehalten sind. Auch die Gartenbesitzer freuen sich, wenn Wildrose, Weißdorn und Brombeere und allerlei wilde Blumen auf ihrem Rechte bestehen, und wer Augen hat, zu sehen, der hat seine helle Freude bei jedem Schritt und Tritt.

      Und nun erst die Vogelwelt. Auch bei ihr gibt es keine Grenzen zwischen Stadt und Umgebung. Hier schilpt der Hausspatz, und drüben läutet der Kuckuck, dort zwitschern die Schwalben, und hier schnurrt der Grünspecht hin, wiehernd lachend; auf jedem dritten Baume plaudert ein Girlitz oder Stieglitz oder Grünfink, in allen Büschen schwatzen Zaunkönig und Braunelle und Grasmücke, und Fink, Meise, Gartenrötel, Trauerfliegenschnäpper, Amsel und Singdrossel sind überall zu finden. Im Mühlentale schluchzt abends die Nachtigall, mitten im belebten Konzertgarten schlüpft der Häher durch die Zweige, über den Dächern kreist der Bussard, und wenn der Abend hereinbricht, lassen die Vögel der Nacht ihre Stimme erschallen; der Waldkauz lacht im Baß, das Käuzchen kichert im Diskant, und unheimlich schnarcht die Turmeule.

      Wer die Tierwelt liebt, braucht nicht weit zu gehen hier. In den Gartenstraßen watscheln die schwarzgelben Salamander bedachtsam dahin, in den klaren Flußläufen stehn die Forellen, jagen die Jungen auf Schmerlen und Groppen, und ein bunteres Schmetterlingsgeflatter, wie hier, hat keine Stadt, und keine so viel lustiges Gesumme und Gebrumme über den Blumen. Außerdem, da ist kaum ein Haus, wo nicht unter dem Fenster ein Käfig hängt, und wo man geht und steht, zwitschert und pfeift und schlägt es, gleich als ob das Volk von lustigem Gesange noch nicht genug hätte.

      Das aber ist es, was den Fremden am meisten freut, der heitere Zug, der hier alles beherrscht, der sich in dem bunten Wechsel des Bodens, in dem fesselnden Zusammenfluß von Natur und Stadtleben, in der Blumen Farbenpracht, in dem frohen Tierleben ausspricht und in den Gesichtern der Menschen. Sie haben eine bekömmliche Philosophie, die Leute hier, und die ist: nicht zu philosophieren.


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