Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik. Andreas Suchanek

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Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik - Andreas Suchanek


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Die Welt außerhalb der Disco existierte nicht.

      »Und, schon jemand entdeckt?«, fragte Zac. Der Freund hatte ihn eingeladen. Er war einer der wenigen, die den Absprung aus Brixton geschafft hatten. Eigentlich hatte es eine Feier zu Ehren von Alex' neuem Job werden sollen. Stattdessen sollte es ihn nun trösten.

      Alex nickte zur schmalen Theke, die seitlich der Tanzfläche an der Wand entlanglief. »Die Blonde da drüben. Ihre Freundinnen haben bereits einen Typen abgekriegt, aber sie steht noch ganz alleine da.«

      »Viel Glück, Alter. Ich kümmere mich jetzt um die Zwillinge dort.« Schon war Zac verschwunden, trug zwei Drinks zu den Geschwistern.

      Alex fluchte innerlich. Er hatte sie gar nicht bemerkt. Andererseits war ihm eine heute genug. Er bestellte einen Cocktail, von dem er glaubte, dass er zu der Blonden passte und buchte ihn auf Zacs Karte. Heute ging das in Ordnung. Vorsichtig balancierte er das bauchige Glas, an dessen Rand eine Erdbeere steckte, zum Ziel.

      Er hatte die Blonde fast erreicht, als ein anderer Typ neben sie trat. Beide stießen an.

      Na, super.

      Er versuchte es weiter, doch die kommende Stunde wurde zu einem Debakel. Schließlich gab er auf. Ein Blick zu Zac ließ Neid hochkochen. Der Freund verließ soeben die Disco, eine der Zwillinge an jedem Arm. Das durfte Alex sich dann morgen in allen Details anhören. Er verschwand zur Toilette und betrachtete sich im Spiegel.

      Das Hemd saß, ließ aber einen kleinen Ausschnitt der muskulösen Brust frei. Der Dreitagebart wirkte maskulin, die Haare waren sauber gestylt. Die Jeans symbolisierten ein halbes Monatsgehalt, waren durchsetzt mit künstlichen Rissen; natürlich waren es Markenfälschungen. Andernfalls hätte er sich so etwas nicht leisten können. Trotzdem sahen sie echt aus. Himmel, er hätte sich am liebsten selbst abgeschleppt.

      Was ist heute nur los?

      Normalerweise benötigte er keine zwanzig Minuten, um ein Girl aufzureißen. Wenigstens diese eine Sache in seinem Leben klappte immer. Er hatte schon früh festgestellt, dass Sex von allen Arten an Problemen ausgezeichnet ablenkte.

      Er wandte sich ab.

      Dann eben heute mal nicht. Bei seinem Glück, riss das Gummi oder das Bett krachte zusammen.

      Er schob sich zum Ausgang, knallte die Tür hinter sich zu und verließ die Disco. Vor dem Gebäude stand ein Taxi. Er ignorierte es. Stattdessen sog er tief die kühle Luft ein, kickte einen herumliegenden Stein davon – der mit einem Ping gegen einen frisch lackierten Mercedes SLK prallte – und schlenderte durch das nächtliche London in Richtung Brixton. Der Herbst neigte sich dem Ende zu, der Winter stand bevor.

      Er kam an einem baufälligen Haus vorbei. Die unverglasten Fenster wirkten wie leere Augenhöhlen, die ihn mit ihrem Blick verfolgten. Vermutlich hatte wieder ein Investor die bisherigen Mieter vertrieben, um das Gebäude komplett zu sarnieren und den Mietpreis mal eben zu verfünffachen. Das Geäst der Bäume raschelte im Wind. Blätter wirbelten davon. Leichter Nieselregen setzte ein.

      Natürlich. Vermutlich wird es gleich wieder schütten.

      Tatsächlich prasselte ein Gedanke später eiskalte Nässe herab. Innerhalb von Augenblicken waren seine Jeans, sein Hemd, seine Haare klitschnass. Bis nach Hause musste er gute neunzig Minuten laufen. Unmöglich bei diesem Wetter. Alex verfluchte sich dafür, nicht in das Taxi gestiegen zu sein.

      »Das ist sowas von nicht mein Tag«, fluchte er.

      »Wie recht du doch hast«, erklang eine weibliche Stimme an seinem Ohr.

      Ein Schlag traf Alex zwischen die Schulterblätter, fegte ihn von den Beinen und ließ ihn benommen auf den Gehsteig krachen. Als er den Kopf hob, trat sie gegen sein Kinn. Der plötzliche Schmerz löschte ihm die Sinne aus. Wie durch Nebel sah er sie, schwankend zwischen Wachsein und Bewusstlosigkeit.

      Aber wie war das möglich?

      Die Frau trug einen langen Mantel, hatte einen Schal um den Hals geschlungen. Ihr Gesicht war von Altersfalten bedeckt, das graue Haar zu einem Dutt aufgesteckt. Schwerfällig trippelte sie nun zu ihrer Handtasche, nahm sie auf. Kurz schaute sie hinab auf Alex, bevor sie nach ihm griff. Sie warf ihn sich einfach über ihre Schulter.

      Er wollte sich wehren, was ihm jedoch nur einen weiteren Faustschlag einbrockte.

      »Keine Angst, mein Junge, ich tue dir einen Gefallen«, sagte sie. »Du willst nicht in all das hineingezogen werden.«

      Alex erkannte das baufällige Haus, das auf ihn zukam. Er wurde die Treppe hinaufgetragen, durch die geöffnete Tür, einen Gang entlang. Raue, unverputzte Wände schälten sich aus dem Dunkel, als, wie auf ein geheimes Kommando, Hunderte von Kerzen entflammten. In ihrem düsteren Licht sah er Wasserlachen, Schimmelflecken, aus dem Zement herausragende Eisenstäbe und brüchige Dielenbretter.

      Sie warf ihn zu Boden, als sei er nicht mehr als ein Sack Kartoffeln.

      Plötzlich war er wieder hellwach, die Benommenheit fiel von einer auf die andere Sekunde vollständig von ihm ab. Er sprang auf, wollte sich auf die Alte stürzen, doch eine unsichtbare Barriere hielt ihn zurück.

      Er blickte zu Boden.

      Mit roter Farbe war ein Hexagramm auf die Dielenbretter gemalt worden. Ringsum verliefen winzige Symbole, deren Sprachzugehörigkeit er nicht ansatzweise deuten konnte. Sie glommen in einem düsteren, fast dunklen Licht auf und erloschen wieder.

      Im Takt meines Herzschlags.

      Das Wissen war einfach da. Diese Zeichen hielten ihn – und nur ihn – im Inneren des Hexagramms gefangen.

      »Ah«, kam es von der Alten. »Die geerbte Erinnerung erwacht. Da habe ich dich ja gerade noch rechtzeitig gefunden.« Sie kicherte.

      »Was soll das alles?«, rief er und verlieh seiner Stimme einen schneidenden Ton, über den Freunde immer sagten, dass er Eisen zerteilen könnte. »Lassen sie mich hier sofort raus! Andernfalls rufe ich die Cops.« Er zog das Smartphone hervor.

      Die Alte wirkte völlig unbeeindruckt. Höhnisch lächelnd zeichnete sie ein Symbol. Alex riss die Augen auf. Ihre Finger hinterließen eine schlammgrün leuchtende Spur in der Luft. Im nächsten Augenblick entstand ein einzelnes großes Machtsymbol.

      Machtsymbol? Woher weiß ich das?

      Eine unsichtbare Kraft packte das Smartphone, entriss es seiner Hand. Instinktiv klammerte er sich daran fest. Sein … Geist hielt es umschlungen. Mit offenem Mund starrte er auf das kleine Gerät, das in der Luft schwebte, mal in die eine, mal in die andere Richtung.

      Nun wirkte die Alte geradezu entsetzt. »Du wurdest gerade erst erweckt.« Sie trat näher. »So etwas dürftest du nicht können.« Sie betrachtete ihn wie ein Insekt, das es zu sezieren galt. »Du scheinst anders zu sein als alle vor dir.« Gedankenverloren schritt sie vor dem Hexagramm auf und ab.

      Alex packte sein Smartphone und wählte schnell die Notrufnummer. Erst danach bemerkte er, dass er keinen Empfang hatte.

      »Aber warum dann der Befehl …?«

      Während die Alte weiter vor sich hinbrabbelte, realisierte Alex erstmals, was hier gerade vorging. Unsichtbare Barrieren, schwebende Smartphones, plötzliche Wissensschübe.

      »Ecstasy!« Er schlug die Hand vor die Stirn. »Die haben mir was in den Drink getan. Verdammt!«

      Die Alte schaute ihn verdutzt an. »Du bist ja noch dümmer, als ich dachte.« Mit zwei kurzen Schritten stand sie bei ihm. »Aber gut, testen wir meine Theorie. Dein Sigil ist bereits ausreichend verborgen, da komme ich nicht mehr heran. Mittlerweile hat es sich deinem Ich angepasst und Form und Farbe verändert. Wenn ich nur früher da gewesen wäre.« Sie winkte ab. »Deine Aura muss sichtbar werden. Und das tut weh.« Sie kicherte. »Wenigstens etwas.«

      Ihre Hände durchstießen die Hexagramm-Barriere, berührten sein Hemd auf Brusthöhe.

      Dann kam der Schmerz.

      Alex brüllte,


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