Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik. Andreas Suchanek

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Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik - Andreas Suchanek


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in New York«, sagte er mit glasigen Augen.

      Er stand auf.

      Jen folgte ihm. Gemeinsam bahnten sie sich einen Weg aus der Disco heraus, fuhren mit einem Taxi zurück nach Chinatown und stellten sich vor das Portal. Der Zugang waberte kurz auf, als Kevin ihn neu justierte.

      »Wohin geht’s?«

      Ohne zu antworten, trat er hindurch. Jen folgte ihm. Augenblicke später wurde sie am Ziel ausgespuckt. Blitzschnell prüfte sie die Umgebung mit ihren magischen Sinnen. Das Portal trug das Signum Berlins.

      Ein Taxi brachte sie an den Stadtrand. Dort blieb Kevin erstmals stehen.

      Vor ihnen lag ein weites Feld. Keine Menschenseele war zu sehen, keine Behausung, nichts.

      »Illusionierungszauber?«, fragte sie.

      »Nein.« Kevin schüttelte den Kopf. »Wir sind an der richtigen Stelle.« Er deutete auf den Boden. »Sie sind tief unter der Erde.«

      Jen nahm ihren Essenzstab. Sie ging in die Knie und zog mit der Spitze Machtsymbole in den Grund. Ein Wabern breitete sich schnell aus und verschwand. »Da ist ein gewaltiger Hohlraum. Es gibt natürliche Zugangsstollen, die von der Stadt bis hierher führen. Aber wir können unmöglich zurück.«

      »Dann durch die Erde.«

      »Falls die Kuppel uns hineinlässt«, sagte sie.

      Kevin trat ganz dicht an sie heran. Gemeinsam schufen sie eine Schutzsphäre, die sie umhüllte. Vorsichtig streckte Jen ihren Essenzstab hindurch und zeichnete neue Symbole ins Erdreich. Im nächsten Moment sauste die Sphäre wie eine Kanonenkugel durch den normalerweise festen Untergrund.

      Materiedurchdringung war etwas, das sie gar nicht mochte. Im Hinterkopf tobte immer der Gedanke, dass die Schutzsphäre kollabieren könnte. Es wäre ihr augenblicklicher Tod. In der Vergangenheit war das tatsächlich vorgekommen. Die Bilder der geborgenen Überreste hätte sie sich lieber nicht ansehen sollen.

      »Wir kommen der Schutzkuppel näher«, sagte Kevin. »Seltsam.«

      »Was meinst du?«

      »Es ist kein Blockadeschild. Unsere Sphäre müsste sie problemlos durchdringen können.«

      Das ergab nun keinerlei Sinn. Jen runzelte die Stirn. Wer erschuf einen solchen Schutz, machte ihn dann aber durchlässig. Das war ja fast eine Einladung. Sie riss die Augen auf. »Wir müssen stoppen!«

      Zu spät.

      Die Sphäre durchdrang die Barriere …

      … und löste sich auf.

      Ein Dämpfungsfeld manifestierte sich um ihr jeweiliges Sigil, erstickte jeden Funken Magie. Kevin und sie fielen dem Erdboden entgegen, der hundertzwanzig Meter tiefer lag. Eine gewaltige Zitadelle ragte vom Untergrund empor, ihre Spitze kratzte fast an der Decke. Jen reagierte instinktiv. Sie streckte die Arme aus, versuchte, einen Vorsprung zu fassen. Eine der Stuckverzierungen. Irgendetwas. Wenige Zentimeter nur verhinderten es.

      Erker mit spitz zulaufenden Dächern rasten auf sie zu.

      Eine Hand packte ihren Arm. Der Ruck ließ sie aufschreien. Kevin hatte Halt gefunden.

      Er zog sie heran. »Das war dann wohl Full Speed.«

      Sie lachte. »So kann man es durchaus nennen. Wo ist Chris?«

      »Ein paar Stockwerke tiefer.«

      Sie kletterten zu einem der Fenster. Die ganze Zeit über spürte Jen den Abgrund, der den Tod barg, in ihrem Rücken. Ein falscher Griff, ein Fußtritt, der Zentimeter danebenging, und sie würde fallen. Ohne Magie. Ein Sturz ins Verderben.

      Mit zitternden Fingern machte sie sich am Fensterverschluss zu schaffen. Am Ende schlug sie es kurzerhand mit dem Ellbogen ein. Keuchend stürzte sie in den Gang. Kevin sank neben ihr zu Boden. Es blieb bei einem kurzen Moment des Durchatmens.

      »Weiter«, sagte Jen.

      Gemeinsam schlichen sie durch die Zitadelle, die Treppe hinab. Auf einer rundum laufenden Galerie standen die Kuttenträger, sangen magische Worte. Am Boden griff Chris einen der Gegner an, wurde gepackt und davongeschleudert.

      »Beende die Verbindung«, haspelte Jen. »Schnell.«

      Kevin hob die Hand. Im gleichen Moment krachte sein Bruder gegen eine Säule und fiel auf die Bodenplatten. Knochen barsten. Aufbrüllend ging auch Kevin in die Knie. Glücklicherweise schien niemand ihn zu hören, der Gesang übertönte alles.

      Unten wurde Alex auf eine Steinplatte gelegt. Einer der Kampfmönche trat heran, zog eine gebogene Klinge hervor, die von innen heraus blau leuchtete. Glyphen funkelten, krochen über die Oberfläche.

      Sie erbleichte.

      Die destruktive Aura, die von der Waffe ausging, machte deutlich, wofür sie geschaffen war.

      Die Zerstörung eines Sigils.

      Angeblich gab es auf der ganzen Welt nur noch eine Handvoll derartiger Artefaktwaffen, die zum Anbeginn der Magie geschmiedet worden waren. Zerstörte man ein Sigil damit, wurde es zu reiner Energie, die im Wall aufging und sich nicht neu manifestierte. So verlor die jeweilige Seite einen Kämpfer. Doch der Preis war hoch, die Gesetze der Magie schufen stets ein Gleichgewicht. Wurde ein Lichtkämpfer mit dieser Waffe getötet, erlosch gleichzeitig das Sigil eines Schattenkämpfers. Und umgekehrt. Es blieb völlig sinnlos, derartige Artefakte einzusetzen. Am Ende schadete man lediglich den eigenen Leuten, entzog Mitstreitern ihre Macht.

      Das schien den Mönchen egal zu sein.

      Jens Blick raste zwischen Chris, Kevin und Alex hin und her.

      Sie besaß momentan keine Magie, keine Unterstützung. Was sollte sie tun?

      »Wer will schon ewig leben?«

      Sie griff an.

      Clara keuchte schwer, als sie mit Max Johannas Büro erreichte. Ohne anzuklopfen, traten sie ein. Ursprünglich hatten sie direkt zu den Katakomben rennen wollen, doch auf dem Weg hatten sie andere Lichtkämpfer darüber reden hören, dass die unsterbliche Rätin zurückgekehrt war.

      Wie stets erzeugte Johannas Büro automatisch ein Gefühl des Wohlbehagens. Durch die Fenster fiel Sonnenlicht herein, trieb ein Schattenspiel mit den Winkeln zwischen den Bücherregalen, dem Ohrensessel, der Leseecke und dem wuchtigen Schreibtisch. Eine alte Weltkarte hing an der Wand, neben Gemälden aus verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte. Lustigerweise war auch eine Mona Lisa darunter. Leonardo hatte das Gemälde noch einmal gemalt und Johanna zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt. Seitdem wollte jeder von ihm wissen, welche Frau als Vorlage gedient hatte. Bisher hatte er die Antwort verweigert.

      In der Luft lag der Geruch von Tee und Honig. Eine halb ausgetrunkene Tasse stand auf dem Tisch.

      Johanna von Orléans blickte auf. »Ich freue mich ja immer über Besuch, aber …«

      »Jen und Kevin verfolgen den Bund des Sehenden Auges. Die haben Alex und Chris entführt«, haspelte Clara hervor. »Ja, wir haben mittlerweile herausgefunden, wie sie heißen. Das ist jedoch leider schon alles. Wir glauben, dass Leonardo in den verbotenen Katakomben ist.«

      »Er hat die Akten über Mark eingezogen. Und uns untersagt, weiter zu ermitteln«, fügte Max hinzu.

      Johanna setzte sich kerzengerade auf. Das Buch vor ihr war vergessen. »Das kann nicht sein.« Sie schob den Stuhl zurück. »Das würde er nicht … Oder doch?« Sie erbleichte.

      Clara schwieg. Nie zuvor hatte sie die sonst so souveräne Rätin derart schockiert erlebt.

      Ein Ruck ging durch Johanna. Mit wenigen Schritten war sie an der Wand, öffnete einen Tresor und entnahm zwei weiße Steine, die an einem Lederband baumelten. »Umlegen«, befahl sie. »Mitkommen.«

      Sie


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