Die ganze welt ist Spaß. Lotte Ingrisch

Читать онлайн книгу.

Die ganze welt ist Spaß - Lotte  Ingrisch


Скачать книгу
ist aber so fad!«

      DIE HOCHZEIT

      Vor dem Frühstück tranken wir Wein, nach dem Frühstück Champagner, und natürlich sagten wir dann auf dem Standesamt Ja. Gottfried gab, damit er keine Rede hält, dem Beamten ein größeres Trinkgeld. Danach fuhren wir mit dem Taxi auf den Hietzinger Friedhof zum Grab seiner ersten Frau. Jetzt liegt er selbst drin, und ich schmücke es mit fröhlichen bunten Tieren und Blumen aus Holz.

      Am Abend waren fünfzig Gäste geladen, und vor beinahe allen habe ich mich gefürchtet. Ich dachte an meine Mutter, die sich jedes Mal ins Kabinett einschloss, wenn Besuch kam, während mein Vater die Tür mit dem Hut auf dem Kopf öffnete und sagte, er gehe gerade fort. Das ganze Fest über saß ich erstarrt neben dem Dichter Alexander Lernet-Holenia auf dem Kanapee. Mitleidig hielt er meine Hand und murmelte von Zeit zu Zeit: »Riesig gemütlich!«

      Helmut Wobisch, Vorstand der Wiener Philharmoniker, blies die Trompete, während der Dirigent Carl Melles versuchte, unsere Köchin Maria ins Stundenhotel abzuschleppen. Frau von Bismarck, Gottfrieds erste Schwiegermutter – im langen schwarzen Kleid und mit weißer Gretchenfrisur –, führte mit eiserner Miene Reigentänze an. Verdutzt starrte der Ehemann auf mein Geschenk: ein Haifischgebiss.

      VENEDIG

      Gottfried von Einem zeigte mir das Land seiner Kindheit, das er liebte und in dem er einst sehr unglücklich war: Schleswig-Holstein. Und irgendwann fuhren wir, es war keine Hochzeitsreise, nach Venedig. Es war wundervoll, und es war schrecklich. Denn ich sprühte noch immer nicht. Ich zermarterte mir in allen Gondeln und Kirchen das Gehirn nach etwas Gescheitem, das ich diesem weltberühmten Mann, mit dem ich jetzt verheiratet war, sagen könnte. Aber mir fiel einfach nichts ein. Nicht einmal etwas Dummes. Überhaupt nichts. Ich sehe mich stumm neben ihm über den Markusplatz gehen, in Harry’s Bar sitzen, Spaghetti essen. Manchmal schaute er mich mehr als nachdenklich an. »Erzähl etwas!«, schlug er vor. »Was hast du erlebt?« Denn er liebte Geschichten. Schuldbewusst ließ ich den Kopf hängen: »Ich weiß nichts.« »Dann erfinde doch was, wozu bist du eine Dichterin?« Ja, wozu?!

      Erst Jahre später erzählte ich ihm meine Familiengeschichten, die ihm so gut gefielen, dass er sie immer wieder hören wollte: Von der taubstummen Cousine Reserl, die meinem Vater jedes Mal, wenn sie Geld von ihm lieh, ihr Gebiss als Pfand übergab. Er sperrte es in die Eiserne Kassa. Vom Rudi-Onkel, der zwar sprechen konnte, aber nie sprach, und sonntags glückselig die Geschlechtsteile von Säuglingen fotografierte. Vom Onkel Paul, dem Cafétier, der das Kleingeld aus den Mänteln seiner Gäste stahl, und der Grazi-Tant’, die ihrer Nachbarin auflauerte, um sie dabei zu ertappen, wie sie ihr die Federn aus der Tuchent stahl. Von meiner besten Volksschulfreundin Rosi Aff, die auf den Strich ging, und ihrem Bruder, dem Mörder. Vom Tröpferlbad und vom Kuckuck, der in meinem Elternhaus – mein Vater war nämlich Erfinder – immer auf allen Möbeln pickte.

      Für den Herrn Baron war die skurrile Welt der Kleinbürger, die er mit mir erheiratet hatte, ein schier unerschöpflicher Quell exotischer Freuden.

      TRAGÖDIE MIT HAPPY END

      Benjamin Britten ist auch schuld. Denn es war sein »Sommernachtstraum«, zu dem Gottfried von Einem das Imbezil einlud. Zu meiner Erleichterung verließen wir schon in der Pause die Oper. Beim »Smutny«, einem Altwiener Beisel, erzählte er mir von Boris Blacher. Im »Weißen Rauchfangkehrer« hielten wir bereits Händchen. Und zuletzt landeten wir im »Turm«, wie Gottfried sein Componierzimmer auf dem Dach der Marokkanergasse 11 nannte.

      Eines Tages holte er mich mit dem Taxi ab. Mit nichts als meiner Handtasche stieg ich ein, und mein zweites Leben begann. Es begann mit einem Schock, denn mein Mann Hugo, der Philosoph, drehte den Gashahn auf. Die Feuerwehr rettete ihn, und eine ganze Weile schwebte er zwischen Leben und Tod. Damals begegnete ich ihm in einem anderen Zustand meines Bewusstseins am Meeresufer. Stumm gingen wir einander entgegen und aneinander vorbei. Der Sand erstrahlte in Farben, so schönen, wie es sie auf dieser Welt gar nicht gibt. Trotzdem …

      Trotzdem heulte ich mir natürlich die Augen aus. Da lag er auf der Psychiatrie, der berühmten Klinik Hoff, und man hatte mir verboten, ihn zu besuchen. Gottfried von Einem rief sofort den Professor an und beschwor ihn, alles Menschenmögliche für den Patienten zu tun. Und so passierte es, dass der ahnungslose Hoff meinem Mann, kaum dass er das Bewusstsein wieder erlangte, »einen schönen Gruß von Herrn von Einem« bestellte, worauf dieser das Bewusstsein sofort wieder verlor.

      Ich saß alle Tage auf dem Gang vor der Krankenzimmertür, und irgendwann bestellte Hoff mich zu sich. Danach traf er sich mit Gottfried von Einem, schüttelte den Kopf und sagte: »Was! Wegen dem Hascherl?«

      Als Hugo nach Wochen aus der Klinik entlassen wurde, rief Gottfried ihn an, bat um ein Gespräch, und sie trafen sich zum Abendessen bei einem Italiener. Es war ihre erste Begegnung. Ich versteckte mich heimlich hinter einem vor dem Lokal parkenden Auto und spähte aufgeregt durch das Fenster. Mein Gott! Als sie einander zum ersten Mal zutranken, und dann immer wieder ... Dass es in Strömen regnete, merkte ich nicht einmal.

      Es war der Beginn einer großen Freundschaft. Hugo hat seine »Philosophie der Vollkommenheit« Gottfried und mir gewidmet, und als er sieben Jahre später eine junge schöne Frau heiratete, auf demselben Standesamt wie zuvor wir, waren wir die Trauzeugen.

      Schon längst ist er ans Ufer mit den Zauberfarben und von dort ins Meer zurückgekehrt. Nicht ich! Es war Gottfried, der ihn manchmal an unseren Rindlberger Feuerkamin kommen sah.

      RATTE UND BÄRENFRÄULEIN

      »Sie ist«, sagte Gottfried von Einem, der mich gern in der dritten Person ansprach, »eine Ratte.« Damals waren wir noch nicht einmal verheiratet, also konnte er es gar nicht wissen. »Wieso? Ich bin«, erklärte ich beleidigt, »ein Einhorn!« Er lachte nur. »Eine Ratte!«, beharrte er. »Schon vom Charakter her.« Ich kränkte mich lange. Später merkte ich natürlich, dass er gern seinen Spaß mit mir trieb. Und auch, dass es ihm Vergnügen bereitete, mich ein wenig zu tratzen.

      Klar, er war schließlich ein Bär. Als Mensch, wie er mir gestand, fühlte er sich nur selten und ungern. Da er aber, im glücklichen Gegensatz zu meinem Vater und meinem ersten Mann, kein Patriarch war, kein Macho, nannte ich ihn gern »Fräulein«. Mein Bärenfräulein.

      »Nicht schwarz, nicht weiß«, sagte er. »Ein Braunbär. Mit sooo kleinen Ohren. Aber manchmal sind sie riesig, dann schleift er sie hinter sich her. Wischt den Staub auf mit ihnen. Wehe dem, der in seine Tatzen gerät!« Und er brummte zum Fürchten.

      Oft verlangte er, wie sein literarischer Bruder Pu, a little something von mir. Schokolade liebte er sehr. Er schleppte Mengen davon in seine Höhle, und es war ein großer Gunstbeweis, wenn er jemandem eine Tafel schenkte. Ich erinnere mich an die Zeit, in der er noch nicht mein Ehemann, sondern der verbotene Liebhaber war. Wann immer ich zu ihm kam, wurde ich mit Schokolade empfangen. Ich hasse Schokolade und aß sie jedes Mal glückselig auf.

      Wie lustig er den Bären, ja wie gern er überhaupt spielte! Hinter Bäumen und Laternen versteckte er sich vor mir, sprang aus finsteren Ecken und freute sich, wenn ich erschrak. Ich weiß nicht genau, wo er sich jetzt gerade versteckt. Doch zweifle ich nicht daran, dass er irgendwann aus dem Dunkel hervorbrechen wird, ganz plötzlich. Aber erschrecken werde ich dann nicht.

      MEIN ERSTES KONZERT

      Meine Großmutter war Pianistin, meine Mutter hat Gesang studiert, und ich ging ins Kino. Ins Theater auch. Nur mit Musik hatte ich nichts im Sinn. Und dann heiratete ich ausgerechnet einen berühmten Componisten. Aber ich war voll guten Willens!

      Zum ersten Mal saß ich neben ihm im Konzert. Die Philharmoniker hoben ihre Instrumente. »Das ist«, klagte ich erschrocken, »aber nicht schön.« »Sei still«, zischte Gottfried von Einem. »Die stimmen die Instrumente!«


Скачать книгу