Die ganze welt ist Spaß. Lotte Ingrisch
Читать онлайн книгу.meines Verlags mit dem passenden Namen Wortmann. »Kommen Sie …« Ich sträubte mich, wahrscheinlich war ich wegen des Hundes bereits halb nackt. Was aber offenbar niemandem auffiel, als Herr Wortmann mich zu einem Apparat drängte. »Hier«, sagte er und zeigte auf einen Schlitz, »werfen Sie Ihre Ein-, Zwei- und Fünfmarkmünzen ein. Und dann warten Sie, was passiert!«
Ich tat es, und was passierte, war tatsächlich erstaunlich. Ich fühlte mich wie das Sterntalermädchen und hielt, um den Geldsegen aufzufangen, beglückt den Rest meines Abendrocks auf. »Gratuliere«, sagte der Regisseur. »Beim Geldwechselautomaten waren Sie ein großer Erfolg!«
PROST!
Die Schüchternheit habe ich von meiner Mutter geerbt und in mehr als drei Jahrzehnten an Gottfrieds Seite so gut wie völlig verloren. Einmal war sie zu einem Begräbnis eingeladen und überlegte nervös, wie man trauernden Hinterbliebenen am passendsten kondoliert? Sie dachte sich eine Menge schöner Sätze aus. Als es aber dann so weit war, hatte sie in ihrer Aufregung alles vergessen und sagte zu ihrem eigenen Entsetzen nur: »Prost!«
Sie war ein junges Mädchen, mollig und scheu. Bis zuletzt. Und bis zuletzt wartete sie auf das Wunderbare, das nie kam. Außerdem, und wirklich nur außerdem, war sie eine früh ergraute Frau, sehr gebildet, sehr bescheiden, geprägt von einem pessimistischen Sinn für die Realität. Der Papa war Miniaturmaler gewesen, die Mama Pianistin und Klavierlehrerin. Sie selbst hatte Singen und Malen gelernt. Dann führte sie den Haushalt und das Büro meines Vaters. Einmal, nur ein einziges Mal wollte sie weiter als ins Waldviertel reisen. Nach Italien, und sie ließ sich für den Pass fotografieren. »Das bin nicht ich!«, sagte sie erschrocken, als sie ihr Bild sah, und zerriss es. Im Waldviertel träumte sie dann von Rom und Florenz.
Lauter aus der Mode gekommene Tugenden hat sie gehabt. Fleiß, Anstand, Gewissenhaftigkeit. »Wenigstens«, sagte sie nach meinem dritten Buch, »lernt die Lotte Maschinschreib’n.« Gerührt lobte sie den Märchendichter Hans Christian Andersen nach der Lektüre seiner Biografie: »Und so brav ist er g’storb’n!« Wie, einige Jahre später, sie selbst.
Der Gottfried hat sie lieb gehabt. Sie führten lange Gespräche über die russische Literatur, und selig kochte sie ihm Kuttelfleck und buk süße Biskuits.
JETZT FÄNGT DAS GROSSE
WETTRENNEN AN
Das sagte mein Vater zu seinem Schwager Alois, als beide vor dem Familiengrab standen, in dem nur noch Platz für eine einzige Leiche war.
Karl Gruber, mein Vater, war nicht nur ein leidenschaftlicher Erfinder von großen und kleinen Maschinen. Er erfand auch, als ich ein Kind war, die wirkliche Welt der Feen, Kobolde und Geister für mich. Ein paar Jahre später schlug er mich grün und blau, aber statt zu weinen lachte ich nur. Ich war äußerst widerspenstig, und die Prügel waren oft verdient und haben mir nie geschadet. Ich habe wenig Verständnis für die heutige Zimperlichkeit.
Meine Mutter allerdings weinte, besonders wegen des Kuckucks, der meistens unter den Möbeln pickte, sogar unterm Klavier. Denn die Erfindungen meines Vaters verschlangen fast das ganze Geld, das er so reichlich mit anderen Unternehmungen verdiente. Sechsunddreißig Patente! Die erste elektrische Kaffeemühle war darunter, die Sämaschine und so fort. Tolle Sachen, doch er gab sie, so sehr die Industrien ihn bedrängten, nicht her. »Ich bin noch nicht fertig«, sagte er und erfand weiter. Ein realistischer Träumer. Einmal gestand er mir, er könne nachts fliegen. Das verstand ich damals noch nicht.
Er kam aus dem einsamen, düsteren Böhmerwald, in den ich später mit Gottfried zurückgekehrt bin. Meine Großmutter war Analphabetin, der Großvater mit vierzig schon tot. Und zwölf Kinder! Zwei Klassen lang durfte mein Vater die Volksschule besuchen, dann wurde er zu einem Bäcker in die Lehre geschickt und fuhr schon um fünf Uhr früh mit dem Hundewagen das Brot aus. Später ist die ganze Familie nach Wien ausgewandert, ihre spärlichen Habseligkeiten in den rot gewürfelten Überzug einer Tuchent gestopft. Mein Vater war klein, dick und zuletzt dünn wie Papier. »Da habt’s mei’ G’wand, i fahr’ in Himmel!«, sang er, als er auf einer Bahre aus der Wohnung getragen wurde. Er starb an Krebs, aber bei dieser Gelegenheit stellten die Ärzte auch gleich mehrere alte Herz- und Lungeninfarkte fest. Er hatte sie nicht einmal bemerkt.
Jedenfalls, das große Wettrennen hat er gewonnen!
DER SCHABRACK
Die Tragödie ereignete sich in der Ramsau am Dachstein, wo Gottfried von Einem ein altes Haus besaß. Nach dem Krieg war er dort, da als Einziger kein Nazi, Sicherheitsdirektor und schrieb seine erste Oper »Dantons Tod«. Als wir später ins Waldviertel zogen, schenkte er das Haus seinem Sohn Caspar.
Damals hatte er eine braune Lederjacke, die er über alles liebte. Er nannte sie »Schabrack« und trug sie das ganze Jahr. Als er eines heißen Sommertags merkte, dass sein Schabrack alt wurde, erschrak er. Eifrig salbte er ihn, der schon tiefe Falten und Risse bekam, mit Butter ein. Vergebens. Statt wieder jung, wurde er ranzig. Gottfried war ratlos. Zum Glück erinnerte er sich an eine große Flasche L’heure bleue, die seiner toten Mama gehört hatte. Über und über begoss er seinen Schabrack mit Parfüm. Die blaue Stunde kämpfte mit der ranzigen Butter, und gemeinsam stanken sie gegen den Himmel. Gottfried fühlte sich verhöhnt, und er raste. Wie eine Mänade zerriss er seinen treulosen Schabrack in lauter Stücke und stopfte sie ins Klo.
Es gab dann noch ein »Röschen«, das aber keine Leidenschaften erweckte, und zu den Geburtstagen noch ein paar Lederjacken von mir. Er schenkte sie sofort weiter. Die Liebe geht, wie man sieht, manchmal seltsame Wege.
DIE REISE NACH NÜRNBERG
Gottfried von Einem war nach Nürnberg gefahren, eine seiner Opern hatte dort Premiere. Ich ging allein über den vorweihnachtlichen Graben. Alexander Lernet-Holenia, einer meiner liebsten Dichter, kam mir entgegen. »Hilf mir«, sagte er. »Ich suche ein Geschenk für die Eva.« Das war seine Frau, eine deutsche Geheimratstochter, Spökenkiekerin und anbetungswürdige Köchin.
Trotz meiner Einwände erstand er für sie einen überaus hässlichen grauen Schal. »Kannst du«, fragte er, »schnurspringen?« »Naja, als Kind«, sagte ich. Er bezahlte an der Kassa. »Gehen wir unter ein Haustor«, schlug er überraschend vor, »und küssen wir uns!«
Liebe Güte, er war schon ein alter Herr, und ich bewunderte ihn so. Nachdem wir uns geküsst hatten, schenkte er mir eine Springschnur. »Ich werde dir zeigen, wie es geht«, sagte er und begleitete mich in die Marokkanergasse. In meinem Zimmer zog er sich die Schuhe aus und sprang, und sprang, und sprang. Maria, unsere Köchin, kam mit einem Stoß gebügelter Wäsche herein. Als sie Herrn von Lernet in Socken vor mir schnurspringen sah, riss sie den Mund auf und ließ die Wäsche fallen.
Daraufhin nahm ich den nächsten Zug nach Nürnberg und kam um drei Uhr früh an. Der Hotelportier wollte mich nicht in Gottfried von Einems Zimmer lassen. »Wir sind verheiratet!« Ich stürmte hinauf. Mein Mann war nicht allein.
Zärtlich hielt er eine Flasche Whisky im Arm. »Ich bin schlecht«, stammelte ich. »Heute Nachmittag hab ich mich mit dem Lernet in einem Haustor geküsst.« »Na und?« Die Whiskyflasche enger an sich pressend, blinzelte Gottfried mich mit unverhohlener Abneigung an. »Merkst du nicht, dass du störst?«
Den Rest der Nacht verbrachte ich am Bahnhof. Der nächste Zug nach Wien ging um zehn.
DAS SOUPER
Wir wohnten noch in der Marokkanergasse, und Maria war unsere Köchin. Gottfried hatte Herrn und Frau Kalmus eingeladen, die Besitzer der Universal-edition, bei der »Dantons Tod« verlegt war. Nach der Suppe gab es Tafelspitz mit Spinat.
Gab es eben nicht. Frau Kalmus suchte die Toilette auf. Fünf Minuten vergingen, zehn Minuten, eine Viertelstunde. Aber weder der Tafelspitz kam, noch die Frau des Verlegers. Beunruhigt machte ich mich auf den