Kindheit, Jugend und Krieg. Theodor Fontane

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Kindheit, Jugend und Krieg - Theodor Fontane


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Stunden um waren, konnte der prachtvoll gebräunte, zugleich zackenreiche Baumkuchen von dem Holzkegel heruntergenommen werden. Alles dabei war von symbolischer Bedeutung. An das volle Gelingen dieses Pracht- und Schaustücks knüpfte sich das Vertrauen auf das Gelingen des Festes überhaupt. Der Baumkuchen stellte dem Ganzen das Horoskop.

      Über die Küchentätigkeit des eigentlichen Gesellschaftstages geh ich hier hinweg und führe statt dessen lieber das Fest selbst herauf. Es wurde dann – ein anderer Raum stand nicht zur Verfügung – ein langer Ausziehtisch in den Salon meiner Mutter geschafft, und alsbald zog sich an dem gelben Moirésofa mit den dreihundert Silbernägeln entlang die wohlgedeckte Tafel hin. Erst wenn die Lichter brannten, schritt man zu Tische. Der der Tafel Präsidierende kehrte dem großen Spiegel aus der Schinkelzeit jedesmal den Rücken zu, während alle anderen Gäste sich in dem Spiegelglase mehr oder weniger bequem betrachten konnten.

      Meiner Erinnerung nach waren es immer Herrendiners, zwölf oder vierzehn Personen, und nur gelegentlich erschien auch wohl meine Mutter mit bei Tisch, meist begleitet von ihrer auch zur Winterzeit oft monatelang auf Besuch bei uns weilenden, damals noch sehr jungen und hübschen Schwester. Diese letztere passend zu plazieren, erwies sich immer als besonders schwierig, und nur wenn der alte von Flemming und Hofrat Dr. Kind zugegen waren, war einigermaßen Sicherheit vor extremen Huldigungen gewährleistet. Sich vor solchen Huldigungen zu schützen, entzog sich beinahe der Möglichkeit. Man respektierte viel leicht Tugend, wiewohl mir auch das noch zweifelhaft ist, aber Tugendallüren waren abgeschmackt, und wo lag immer die Grenze zwischen Sein und Schein. Daß sich die Damen gegen Ende der Tafel zurückzogen und nur noch auf eine kurze Viertelstunde wieder erschienen, um beim Kaffee die Honneurs zu machen, versteht sich von selbst.

      Ich habe weiter oben von der Kochkunst der guten Frau Gaster gesprochen, aber dieser Kochkunst unerachtet war die Bewirtung eigentlich einfach, namentlich gemessen an dem Raffinement, das jetzt bei Gastmählern vorherrscht. Einfach, sage ich, und dabei stabil. Keiner wollte zurückbleiben, aber auch nicht über den andern hinausgehen. Auf die Suppe folgte ein Fisch, dann (feststehend) Teltower Rübchen und Spickgans, dann ein ungeheurer Braten und zum Schluß eine süße Speise samt Früchten, Pfefferkuchen und Königsberger Marzipan. Eine fast noch größere Einfachheit herrschte hinsichtlich der Weine; nach der Suppe wurde Sherry gereicht, dann aber trat ein Rotwein von mäßigem Preis und mäßiger Güte seine Herrschaft an und hielt sich bis zum Kaffee. Das Besondere, das diese Festlichkeiten hatten, lag also nicht im Materiellen, sondern, sonderbar zu sagen, in einem gewissen geistigen Element, in dem Ton, der herrschte. Dieser war, auf Anfang und Ende hin angesehen, ein sehr verschiedener. Den Anfang machten fein stilisierte Toaste, mitunter – namentlich wenn das Fest zugleich noch ein Familienfest, also Geburtstagsfeier oder dem Ähnliches war – auch Verse, die, was Formgewandtheit und glückliche Pointen angeht, nichts zu wünschen übrigließen. Ich habe noch vor kurzem wieder einiges derart unter den Papieren meines Vaters gefunden und bin erstaunt gewesen, wie gut das alles war. Humor, Witz, Wortspiele fehlten nie, bei besondern Gelegenheiten aber kam auch das Gefühlvolle zum Ausdruck, und die, die einem richtigen Gefühl am fernsten, dem Delirium aber am nächsten standen, erhoben sich dann regelmäßig von ihren Plätzen und gingen auf den Redner zu, um diesen zu umarmen und zu küssen. Dies Küssen bezeichnete jedesmal den Beginn der zweiten Hälfte des Festes. Je weiter dann die Tafel gedieh, je freier wurde die Tafelberedsamkeit die nun, vor nichts mehr erschreckend, alsbald zu den übermütigsten, oft derb zufassenden Hänseleien oder, wo sich diese verboten, wenigstens zu persönlichen Schraubereien hinüberleitete. Genau das, was man jetzt »uzen« nennt. Eines der auserlesensten Opfer dieser Lieblingsbeschäftigung der ganzen Tafelrunde war, wie schon in frühern Kapiteln angedeutet, mein Papa. Längst wußte man, daß er, auf Konversation hin angesehen, drei Steckenpferde hatte: die Rang- und Ordensverhältnisse des preußischen Staats, die Einwohnerzahl aller Städte und Flecken unter Zugrundelegung der neuesten Zählung und die Namen und Herzogstitel der französischen Marschälle, einschließlich einer Unsumme napoleonischer Anekdoten, die letzteren meist in Originalfassung. Mitunter wurde diese Fassung auf Satzbildung und Grammatik hin beanstandet, worauf mein in die Enge getriebener Papa mit unverbrüchlicher Ruhe antwortete: »Mein französisches Gefühl lehrt mich, daß es so heißen muß, so und nicht anders«, ein Ausspruch, der natürlich den Jubel nur steigerte.

      Ja, Napoleon und die Marschälle!

      Das Wissen meines Vaters nach dieser Seite hin war geradezu stupend, und ich verwette mich, daß es damals keinen Historiker gab und auch jetzt nicht gibt, der, was französische Kriegs- und Personalanekdoten aus der Zeit von Marengo bis Waterloo angeht, auch nur entfernt imstande gewesen wäre, mit ihm in die Schranken zu treten. Wo er alles her hatte, ist mir rätselhaft. Ich kann es mir nur so vorstellen, daß er in seinem Gedächtnis ein Fach hatte, drin, wie von selber, alles hineinfiel, was er bei seiner unausgesetzten Lektüre von Journalen und Miszellensammlungen in ebendiesen als seiner Passion dienend vorfand.

      Obenan auf dem von ihm beherrschten Gebiete stand natürlich Napoleon selbst, an dem er übrigens merkwürdigerweise die Sankt-Helena-Tage vor den Tagen seines soldatischen Ruhmes bevorzugte. Dann folgte Ney, sein ganz besonderer Liebling, beinah Abgott. Nach diesem aber, in einer Art von Salto mortale, sprang er über alle weiteren, mehr oder weniger berühmten Marschälle, für die er samt und sonders nicht allzuviel übrig hatte, hinweg und wandte sich sofort den Größen zweiten und dritten Ranges zu, also Männern wie Rapp, Duroc, Nansouty, Cambronne, Friant, Lannes. Diesem letzteren, der schon 1809 bei Groß-Aspern fiel, war er fast so zugetan wie seinem Lieblinge Ney. »Ja, dieser Lannes, dieser Herzog von Montebello! Sonderbar. Er soll sehr beschränkt gewesen sein. Aber am Ende, was tut das? Ney war auch beschränkt.« Und so bewies er aus der Beschränktheit des einen die Größe des andern oder stellte wenigstens die Bedeutungslosigkeit der ganzen Beschränktheitsfrage fest. In seiner Hinneigung zu den kleinen Größen lag aber nichts von Zufall oder Laune, ganz im Gegenteil, er wußte das »Warum« recht gut; mitunter waren es nur Äußerlichkeiten, und ihn beispielsweis über Nansouty, der eine Kürassierdivision kommandierte, sprechen zu hören, war ein vollkommener Hochgenuß. Nansouty stand dann leibhaftig vor einem. Ich war in diesen Dingen schließlich selber so zu Hause, daß ich hätte soufflieren können. Woher das so kam, davon erzähl ich an andrer Stelle, wenn ich von meines Vaters »sokratischer Methode« spreche.

      Vorläufig aber nach diesem Exkurse zurück zu den Gesellschaftsabenden selbst, deren zweite Hälfte regelmäßig die Komödie des Neckens und Aufziehens heraufführte. Selbst als Wirt war mein Vater nicht sicher dagegen, eher, daß sich das Necken dabei verdoppelte.

      Von einem dieser Abende, der mir noch besonders lebhaft im Gedächtnis ist, weil seiner, auch in späteren Jahren noch, öfters und in allerhand Einzelheiten gedacht wurde, will ich hier erzählen. Man war schon beim Dessert und sang eben ein Lied, das Konrektor Beda, ein Stiefsohn der in einem früheren Kapitel erwähnten schönen Frau gleichen Namens, nach der Melodie von »O, Schill, dein Säbel tut weh« gedichtet hatte. Meine Mutter und deren Schwester – die Kaffeestunde rückte bereits heran – hatten wie herkömmlich auf dem gelben Moirésofa Platz genommen, ich selber aber war auf gut Glück mit hereingeschlüpft und hielt mich in Nähe von Konsul Thompson, der sich denn auch ein Vergnügen daraus machte, mir zum Ärger meiner Mutter immer neue Massen von Traubenrosinen zuzustecken. Thompson, bequem in allem, sang das Schill-Lied nicht mit, und nur immer, wenn der Refrain kam, fiel er mit aller Macht ein. Am obren Ende der Tafel aber saß Kommerzienrat Krause und sagte, während er sich, als das Lied schwieg, zu meinem Vater wandte: »Sage mir, lieber Bruder, bei diesem Liede von Schill oder doch nach der Melodie von Schill ist mir mit einem Male wieder ›Bertrands Abschied‹ eingefallen. In welchem Zusammenhange, weiß ich nicht und ist auch am Ende gleichgültig; ich mochte nur wissen, ist dieser Bertrand in ›Bertrands Abschied‹ derselbe, der mit auf Sankt Helena war?«

      »Gewiß ist es derselbe. Es gibt nur einen. Er war, glaube ich, mit in Saint-Cyr und hatte die schwärmerischste Liebe für Napoleon, noch mehr als General Rapp.«

      »Das muß wohl so sein, denn ich habe da heute in der Times einen Artikel über die nun Gott sei Dank zurückliegenden Sankt-Helena-Tage gelesen und bei der Gelegenheit, ich muß doch sagen, zu meinem Staunen, erfahren, daß Bertrand in zu weit gehender Liebe zu seinem Kaiser diesem seine ihm angetraute Frau zeitweilig abgetreten haben soll, so daß Napoleon gewissermaßen


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