Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt

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Carl Maria von Weber in seiner Zeit - Christoph  Schwandt


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schon sein Vorgänger aufgelöst, wodurch ihr enttäuschter Kapellmeister Franz Anton von Weber 1781 sein Amt verlor, wenn auch mit Anspruch auf eine Altersversorgung, was der Grund für seine gelegentliche und nun vermeintlich längere Wiederkehr war.

      Der Vater: Franz Anton von Weber (1734-1812)

      Die Mutter: Genovefa von Weber (1764-1798)

      Einen katholischen Geistlichen, der den Sohn der Webers hätte taufen können, gab es weit und breit nicht: Auch wenn die Maxime »cuius regio eius religio« schon lange nicht mehr überall und uneingeschränkt galt, und Friedrich der Große, der drei Monate vor der Geburt des kleinen Weber gestorben war, in Preußen jeden nach seiner Façon hatte selig werden lassen, war das Bekenntnis des Landesherrn noch immer richtungsweisend. Und in dem aus mehreren nicht zusammenhängenden Teilgebieten bestehenden Fürstbistum Lübeck war man eben evangelisch; man hatte die Reformation mitgemacht und dennoch die tradierte Staatsform beibehalten. Also taufte in der Eutiner Hofkapelle am 20. November 1786 der protestantische Hofprediger Georg Heinrich Albert Ukert den katholischen Knaben auf den Namen Carl Friedrich Ernst von Weber. Anders als der Tag der Geburt ist dieses Datum ganz gewiss. Gewiss ist auch, dass Franz Antons Jüngster wie schon seine beiden großen Söhne, die im katholischen Hildesheim getauft worden waren, als letzten von mehreren Vornamen den Namen Maria hätte bekommen sollen. Doch das konnte man von Hofprediger Ukert, der der Nachwelt als Luther-Biograf bekannt werden sollte, natürlich nicht verlangen. Es gab zwar noch kein Namensrecht, aber auf die sonderbare Idee, einen Knaben in einem protestantischen Gotteshaus auf den Namen Maria taufen lassen zu wollen, wäre niemand gekommen. Wenigstens stand zur Genugtuung des Vaters das Adelsprädikat unbeanstandet im Eutiner Kirchenbuch. Ob zu Recht, war sozusagen eine Glaubensfrage – und Franz Anton Weber versicherte stets glaubwürdig, von Adel zu sein, schließlich konnte er ein »von Webersches Wappen« vorweisen. Das war links gelb und rechts blau, auf der einen Seite war ein nach innen blickendes Halbmondgesicht, auf der anderen ein edelweißförmiger Stern. So unübersichtlich wie die Landkarte dessen, was sich Heiliges Römisches Reich deutscher Nation nannte, so schwer war es damals, fern von deren Heimat echte Edelleute von Hochstaplern zu unterscheiden. Falsche Freiherrn und Komtessen waren nicht selten, und es gab noch keinen Behördenstaat, der Klarheit hätte schaffen können. Bei Künstlern nahm man es ohnehin nicht so genau.

      Franz Anton Weber aus Zell im Wiesental berief sich auf einen gewissen Johann Baptist Baron von Weber aus dem Niederösterreichischen, wenn er auf seinen Adel angesprochen wurde. Verwandt mit ihm war er mitnichten. Sein heraldisches Kennzeichen hatte er wahrscheinlich in Siebmachers Wappenbuch von 1605 gefunden. Immerhin hatten diese Wappen-Webers Latifundien im schwäbischen Krumbach gehabt, sodass die Verwandtschaft nicht so weit hergeholt aussah; glücklicherweise waren sie aber auch längst ausgestorben. Obwohl sein Bruder Franz Fridolin, dessen Tochter Constanze seit 1782 Wolfgang Amadé Mozarts Frau war, und auch die vielen anderen in der Öffentlichkeit künstlerisch wirkenden Webers aus Zell im Wiesental, die bekanntermaßen mit Franz Anton verwandt waren, sich schlicht Weber ohne »von« nannten, drückte man allerorten ein Auge zu. Denn beweisen konnte man nichts, und auf vielen Dokumenten – wie nun auch im Eutiner Kirchenbuch – stand ja schwarz auf weiß zu lesen: »von Weber«.

      Der Pate: Landgraf Carl von Hessen-Kassel (1744-1836)

      Wer keine Verwandtschaft am Ort hatte, legte besonderen Wert auf namhafte Paten. Für den Täufling Carl Friedrich Ernst fanden sich Ulrike Friederike Wilhelmine, die 65-jährige Witwe des Fürstbischof-Herzogs Friedrich August (der die Eutiner Hofkapelle aufgelöst hatte), und Carl von Hessen-Kassel, ein Sohn ihres Cousins, des unlängst verstorbenen Kasseler Landgrafen. Katholisch waren beide nicht. Der 41-jährige »nicht regierende Landgraf« Carl von Hessen-Kassel amtierte als Statthalter der dänischen Krone zu Schleswig und zu Holstein, zu dem das ostholsteinische Eutin allerdings nicht gehörte. Die dänische Königin war seine Tante, während er wiederum der Onkel des englischen Königs Georg III. war. Er war auch eine führende Figur der norddeutschen und dänischen Freimaurerei. Von dieser prominenten Patenschaft sollte der neue Erdenbürger im Laufe seines Lebens häufiger profitieren. Beim Taufgottesdienst für den Musikantenspross ließen sich die adligen Hessen allerdings durch rangniedere Hofleute vertreten. – Wäre es dem Kindsvater nicht in erster Linie um das gesellschaftliche Drumherum mit Hofprediger und Aristokratie gegangen, sondern bloß um die Aufnahme seines Sohns in den Schoß der römischen Kirche, hätte er es einfacher haben können: Nach der katholischen Lehre ist da, wo kein geweihter Priester zur Verfügung steht, die Taufe durch eine beliebige Person möglich.

      Dass dort, wo heute Deutschland ist, damals eine Vielzahl von Fürstbistümern – das von Lübeck war das einzige nicht katholische –, Herzogtümern, Landgrafschaften, Kurfürstentümern und Reichsstädten existierte, prägte die politische Lebenswirklichkeit, in die der Täufling hineingeboren wurde, dessen Vater – auch darüber stutzt man beim Blick auf eine heutige Landkarte – Österreicher war: Zell im Wiesental, heute im badenwürttembergischen Landkreis Lörrach, also im Südschwarzwald, wenige Kilometer von der Schweizer Grenze, dem Rhein, gelegen, war damals Vorderösterreich, der westlichste Teil des habsburgischen Territoriums. Luftlinie von Eutin: fast 800 Kilometer. Ein Vogel, unterwegs von Eutin nach Zell im Wiesental, hätte zuerst die Landesgrenze des dänischen Holstein, dann die von Hamburg, Hannover, Braunschweig, Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt, Kurmainz, der Kurpfalz, der Markgrafschaft Baden, des herzoglichen Württembergs und schließlich hohenzollerisches Gebiet überflogen, wobei in dieser Aufzählung einige ganz besonders kleine Staaten ausgelassen sind.

      Seine Flugroute mag den Vogel auch über einen Zipfel des Fürstbistums Hildesheim geführt haben. Dort, auf Burg Steuerwald, war Franz Anton von Weber ab 1758 als Hofkammerrat des Bischofs, das heißt, in der Finanzverwaltung, tätig gewesen. Womit er vor der Hildesheimer Zeit sein Geld verdient hatte, liegt im Dunkel. Bis 1754, da war er 20, hatte er in Freiburg Schulen besucht und von seinem Vater musikalischen Unterricht bekommen. Vielleicht war er danach in Mannheim, vielleicht aber auch nicht. 1768 wurde Franz Anton von Weber aus den fürstbischöflichen Diensten entlassen, blieb aber in Hildesheim, weil zumindest die Kinder noch durch seinen Dienstherrn unterstützt wurden, und die Familie seiner ersten Frau vor Ort war. Er privatisierte, trat gelegentlich als Musiker auf und engagierte sich bei den Freimaurern, die für reisende Künstler eine wichtige Verbindung zur Gesellschaft an ihren häufig wechselnden Wirkungsorten waren. 1776 schloss er sich als Bratschist und Kapellmeister der Schauspielergesellschaft von Johann Friedrich Stöffler an, mit der er die nächsten Jahre unterwegs war. Eine strapaziöse Angelegenheit, nicht zuletzt wegen der Verkehrsmittel: Kutsche oder Binnenschiffe. Letztere waren zwar langsamer, aber für reichlich Musikanten- und Komödiantengepäck geeigneter und preiswerter. Für die Benutzung besser ausgebauter Straßen war nämlich eine Maut, das »Chauseegeld«, zu entrichten. Mit Stöffler kam Weber nach Braunschweig, Celle, Hannover und Lüneburg; die Truppe spielte aber auch in Hildesheim, wo seine Familie wahrscheinlich immer verblieb. 1779 gastierte die Truppe in Lübeck, wo er die Kontakte knüpfte, die zu seinem ersten Engagement in Eutin führten.

      Seine zweite Eutiner Stelle verlieh Vater Weber das fürstbischöfliche Privileg, in der Stadt öffentlich Musik zu machen, das heißt, Feierlichkeiten auszugestalten und zum Tanz aufzuspielen. Er war damit privater Subunternehmer für musikalische Dienstleistungen, für die man kein festes Orchester finanzieren wollte, auf die man aber nicht verzichten wollte, und die in erster Linie von Bürgersleuten in Anspruch genommen wurden. Die Musiker, die er dazu brauchte – wohl eher Musikanten –, wurden von ihm ausgezahlt, während er selbst nach einer festen Gebührenordnung abrechnete. Da blieb nie viel für die Webers übrig. Prächtige mehrtägige Hochzeitsfeiern mit abendlicher Serenade waren die Ausnahme, Bauernhochzeiten draußen auf dem Lande überwogen. Im Winter 1784/85 hatte es immerhin das Gastspiel einer Theatertruppe gegeben, die in dem winzigen und dem Hof vorbehaltenen Eutiner Bühnengebäude aufgetreten war. Franz Anton hatte als Kapellmeister ausgeholfen und seine großen Söhne Fridolin und Edmund im Orchester gesessen. Doch die anspruchsvollere Musik spielte jetzt in Oldenburg. »Keine Comödie, kein Ball, kein Concert, wozu ich gefordert werde! Ja, in der Taxe, die mir jetzt Höchst vorgeschrieben ist, wird dieser


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