Die Entdeckung des Nordpols. Robert E. Peary

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Die Entdeckung des Nordpols - Robert E.  Peary


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ist es aus dem Traum, ein Heros zu werden – an American Hero –, kein Humboldt und kein Lesseps, kein Weltbaumeister und kein Forscher, sondern ein Held-an-sich, ein Macher – entwachsen aus betörender Rede ... eine Fleisch gewordene Sagengestalt.

      Nein, Nicaragua bot trotz seines martialischen Ambientes kein Vorfeld zur Vergötterung! Das Aufmarschrevier lag dort, wohin der Polarstern im Wappen von Maine wie ein Lockmittel weist: im Norden. Also tat Peary zwar fürs Erste seinen Job im Urwald und kehrte sogar im November 1887 für mehrere Monate dahin zurück; doch was ihn seit jenem Abend vor San Salvador bewegte und beherrschte, besessen und verrückt machte, das war der Trieb, das Reich des Saturn aufzusuchen.

      Der Grönland-Trip von 1886 auf der »Eagle« wurde ein Testlauf: der Prolog zu einem rätselvollen Abenteuer – und vorausdeutend! Denn nachdem Peary heimgekehrt war und 1887 im Bulletin of the American Geographical Society geschildert hatte, wie er mit dem Dänen Kristian Maigaard oberhalb der Disko-Bai einhundertsechzig Kilometer ins Inlandeis gewandert war, ergab die Überprüfung der Auskünfte des Landvermessers a. D. durch Fridtjof Nansen, dass die relevanten Informationen durchweg nicht stimmten. Im zweiten Band seines Berichts Auf Schneeschuhen durch Grönland (1890) bemängelte er, dass Pearys Längenberechnungen – die sage und schreibe lediglich an einem einzigen Tag gemacht worden waren! – wohl »nur auf einigen Höhenobservationen« beruhten; dass die benutzten Fachausdrücke »nicht ganz deutlich« waren; dass – als Pearys Chronometer stehen geblieben war – die Messungen nicht mit einer Ersatzuhr abgeglichen worden waren; dass ergo die Daten über die zurückgelegte Strecke »nicht als ganz genau betrachtet werden« können. Fazit: »Pearys Angaben in Bezug auf Entfernungen und Höhen sind leider mangelhaft.«

      Peary war auf Nansen nicht mehr gut zu sprechen – zumal der Norweger seine Kompetenz bei der Durchquerung Grönlands gewonnen hatte: bei einer Unternehmung, mit der er einem Vorhaben des Amerikaners zuvorgekommen war ... um nicht zu sagen: mit dem er in Pearys Domäne gewildert hatte!

      Denn das war nun entschieden: dass Robert Edwin Peary das Podium gefunden hatte, auf dem er das einspielen wollte, was ihn wie nichts im Leben sonst bewegte. An Mary Peary schrieb er am 27. Februar 1887 – als ob sie’s nicht schon oft genug gelesen hätte: »Denke daran, Mutter, ich muss Ruhm erringen.«

      Wenig später teilte er der alten Dame im Übrigen mit, dass er seine Zukünftige gefunden hätte, Josephine Diebitsch, eine Professorentochter aus Washington: »Dass sie mich liebt, weiß ich; dass sie mich glücklich machen kann, denke ich schon; außerdem vertraue ich darauf, dass sie mir weniger hinderlich sein wird als jede andere Frau, die ich bisher kannte oder die ich künftig kennen lernen dürfte.«

      Das Paar heiratete am 11. August 1888.

      »INVENIAM VIAM AUT FACIAM« – ODER: WIE MAN SICH IN ERFOLGSZWANG BRINGT

      Und Mrs Peary machte sich nützlich. Denn als ihr Gatte am 6. Juni 1891 zu seiner zweiten Grönland-Reise aufbrach, stand sie ebenso auf der Teilnehmerliste wie der Farbige Matthew Alexander Henson, Pearys Faktotum auf Jahre hinaus, und der New Yorker Arzt Dr. Frederick Albert Cook. Aber mochte an diesem Nachmittag um fünf, als die »Kite« in Brooklyn die Leinen kappte, seine Gemütsverfassung noch so heiter und das vielstimmige »Farewell thee well« noch so ermutigend sein: Zur selbigen Stunde begann ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Cook und Peary, dessen Ausgang bis heute unbekannt ist.

      Wer konnte es ahnen? Verlief doch die Expedition äußerst erfolgreich. Peary und seine Crew errichteten eine Hütte am McCormick-Fjord am oberen Zipfel der Baffin-Bai, »Red Cliff House«; sie befreundeten sich mit einigen Eskimos, die in der Nähe siedelten; und lernten, in der Arktis zu überstehen und sich zu bewegen – vor allem Hunde-Schlitten zu führen. Gut vorbereitet gelang Peary mit dem Norweger Eivind Astrup zwischen dem 3. Mai und dem 6. August 1892 eine mehr als zweitausend Kilometer lange Hin- und-Rücktour bis zu der – von ihnen so getauften – Independence-Bai, einer Bucht im Nordwesten Grönlands, die als solche ein Argument für den Inselcharakter von dessen Landmasse liefert.

      Als die Depeschen im September Pearys Heimkunft meldeten, setzte sich in Kristiania – dem heutigen Oslo – Fridtjof Nansen an den Schreibtisch und gratulierte dem Kollegen zu seinem Erfolg. Er selbst sei schließlich »einer von denen, die ein bisschen vom Inlandeis gesehen haben«. Daher könne er die Leistungen Pearys beurteilen und ihn mit Fug und Recht als sein »Bewunderer« grüßen.

      Nach diesem Ritterschlag durch einen der prominentesten Polarexperten seiner Zeit fühlte sich Peary umso mehr dazu befähigt, der von ihm selbst an sich ergangenen Berufung zu folgen. Das Marineministerium stellte ihn abermals unter voller Beibehaltung seiner Bezüge von seinen Dienstpflichten frei. Was gleichwohl fehlte, war Geld zur Finanzierung der nächsten Expedition. Die Mitwirkung an George Eastmans etwas verwegen betitelter Werbebroschüre The Kodak at the North Pole (»Die Kodak [-kamera] am Nordpol«, 1892) brachte nicht allzu viel ein. Daher ging Peary zusammen mit Henson ein Engagement als Showstar ein. Windmaschine an! Und Vorhang auf! Eingemummelt in einen dicken Pelz arbeitete sich Peary wie durch einen Schneesturm zur Mitte der Bühne vor, woraufhin Henson unter Peitschenknallen mit einem Hundegespann folgte. Dann legten sich die Huskys vor die Füße des immer ärger ins Schwitzen geratenden Vortragskünstlers, bis sie auf ein verstohlenes Zeichen zum Eisberg- oder Steinerweichen ein gespenstisches Geheul anstimmten. Vorhang zu! Und Windmaschine aus! There’s no business like snowbusiness ...

      Denn es lohnte sich: Als Peary am 23. Juni 1893 auf der »Falcon« zu seiner dritten Grönland-Fahrt von Philadelphia abdampfte, war er vorbereitet, zwei Jahre auszubleiben. Trotzdem stand das Ganze vom Anfang bis zum Ende unter einem fatalen Omen – nicht zuletzt, weil Dr. Cook es abgelehnt hatte, sich erneut dem monomanen Habitus des Chefs zu unterwerfen. Er, dessen »Professionalität« noch vor einem Jahr nach Pearys Zeugnis maßgeblich zum Gelingen der zweiten Grönland-Mission beigetragen hatte, fehlte nun in einem Trupp, dem einfach nichts mehr glücken wollte.

      Die neuerliche Rekognoszierung der Nordkante von Grönland scheiterte zunächst; und als sie dann 1895 gelang, brachte sie nichts anderes als das Wiedersehen mit etwas Bekanntem. Ein Lichtblick war zwar die Geburt von Pearys Tochter Marie Ahnighito am 11. September 1893 in der »Anniversary Lodge« oberhalb des 77. Breitengrades gewesen – nur: Musste man für dergleichen eine Expedition ins Polarmeer abhalten? »Dieses Satanszeug arktische Forschung«, das Peary jetzt verfluchte, wurde auch dadurch bloß geringfügig aufgewertet, dass er bei seiner Heimkehr im Sommer 1895 zwei vermeintliche Meteoriten präsentieren konnte, die er in Grönland ausgegraben hatte.

      Den dritten und massigsten Eisenklumpen zu bergen gelang ihm erst 1897. Da hatte Peary schon zwei weitere Exkursionen nach Grönland unternommen, die so belanglos waren, dass sie sein penibler Biograf Wally Herbert in The Noose of Laureis (»Die Lorbeerschlinge«, 1989) in einem Halbsatz abtut.

      Robert Edwin Peary war jetzt einundvierzig Jahre alt, ein Medienstar, zweifellos, »The Hero of Heroes«, als der er vor jedem Auftritt angekündigt wurde – und gestresst. Denn seine Zugkraft schwand: Vier der sechs Eskimos, die er – Menschen, Iglus, Sensationen! – exportiert hatte, waren in New York an Lungenentzündung gestorben, die ›Meteoriten‹ hatte »Jo« dem American Museum of Natural History verkauft, im eigentlichen Sinne entdeckt hatte er nichts (nicht einmal die himmlischen Gesteinsbrocken: die kannte schon John Ross 1818) und keinen Rekord aufgestellt; vom Skandal seines Ehebruchs mit der Eingeborenen Aleqasina war noch nichts verlautet. Kurzum: Das hoch geschätzte Publikum erwartete eine neue Attraktion.

      Also gab der Äquilibrist – die Wendung sei erlaubt – dem Affen Zucker, indem er kundtat, dass der Hauptzweck aller seiner Anstrengung die Einnahme des Nordpols sei. Und damit auch jeder, Yankee oder Südstaatler, den Stellenwert ermaß, den er der Sache zuschrieb, verließ er 1898 den Hafen von New York am 4. Juli, dem amerikanischen Nationalfeiertag.

      Die Parole für das Bevorstehende hatte er – in Abwandlung auf die eigene Person – der Tragödie Hercules furens (um 50 n. Chr.) des römischen Dramatikers Lucius Annaeus Seneca entnommen: »Inveniam viam aut faciam« ... »Ich werde einen Weg finden oder mir einen bahnen.«

      Der Ausspruch sollte in


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