Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin

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Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter  Benjamin


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in alter Zeit, als Ferkel Wein tranken und Affen Tabak kauten, es war weder zu eurer noch zu meiner Zeit, doch darauf kommt es nicht an ...«

      »Lieber Himmel, bewahre das Kind!« rief meine geschätzte Freundin. »Was geht in seinem Kopf vor?«

      »Es ist ein Gedicht, Großmutti«, erwiderte Jemmy, sich vor Lachen schüttelnd. An der Schule fangen wir unsere Geschichten immer damit an.«

      »Hat mir einen richtigen Ruck gegeben, Major«, sagte meine geschätzte Freundin, sich mit einem Tellerchen fächelnd. »Ich glaubte, er wäre wirr im Kopf!«

      »In jenen bemerkenswerten Zeiten, Großmutti und Pate, gab es einstmals einen Jungen – nicht mich, müßt ihr verstehen.«

      »Nein, nein«, sagte meine geehrte Freundin, »nicht du. Er nicht, Major, verstehen Sie?«

      »Nein, nein«, sagte ich.

      »Und er ging zur Schule in Rutlandshire ...«

      »Weshalb nicht Lincolnshire?« fragte meine geehrte Freundin.

      »Weshalb nicht, du liebe alte Großmutti? Weil ich in Lincolnshire zur Schule gehe, nicht wahr?«

      »Oh, natürlich!« sagte meine geehrte Freundin. »Und es ist nicht Jemmy, Sie verstehen, Major?«

      »Freilich, freilich«, meinte ich.

      »Nun also!« fuhr unser Junge fort, indem er sich behaglich selbst in die Arme schloß und fröhlich lachte (wobei er sich wieder vertraulich ans Feuer wandte), bevor er aufs neue zu Mrs. Lirripers Gesicht aufblickte. »Und er war fürchterlich in die Tochter seines Schulmeisters verliebt. Sie war nämlich das schönste Mädchen, das man je gesehen hatte. Sie hatte braune Augen und braunes Haar, das wunderschön gelockt war, und eine liebliche Stimme. Sie war ganz und gar lieblich, und ihr Name war Seraphina.«

      »Wie heißt die Tochter deines Schulmeisters, Jemmy?« fragte meine geehrte Freundin.

      »Polly!« erwiderte Jemmy, mit dem Zeigefinger auf sie weisend. »Reingefallen! Ha, ha, ha!«

      Meine geehrte Freundin und er lachten zusammen und umarmten sich, und dann fuhr unser unbestreitbar bemerkenswerter Junge mit großem Behagen fort:

      »Nun gut. Er war also in sie verliebt. Er dachte stets an sie, träumte von ihr, schenkte ihr Orangen und Nüsse und hätte ihr gern Perlen und Diamanten geschenkt, wenn er es von seinem Taschengeld hätte erschwingen können, aber das konnte er nicht. Und ihr Vater – oh, der war ein Tatare. Er hielt die Jungen streng in Zucht, veranstaltete einmal im Monat ein Examen, hielt Vorträge über alle möglichen Gegenstände zu allen möglichen Zeiten und wußte alles auf der Welt aus Büchern. Und dieser Junge nun ...«

      »Hatte er einen Namen?« fragte meine geehrte Freundin.

      »Nein, er hatte keinen, Großmutti. Ha, ha! Wieder reingefallen!«

      Darauf lachten sie und umarmten sich wie vorher, und dann fuhr unser Junge fort:

      »Nun, dieser Junge hatte einen Freund, ungefähr im gleichen Alter, der auf dieselbe Schule ging und der (denn der hatte nun einen Namen) – laßt mich nachdenken – Bobbo hieß.«

      »Nicht Bob«, sagte meine geehrte Freundin.

      »Natürlich nicht«, sagte Jemmy. »Wie kamst du darauf, Großmutti? Und dieser Freund war der gescheiteste und bravste und hübscheste und edelmütigste Freund, den es je gegeben hat; er war in Seraphinas Schwester verliebt, und Seraphinas Schwester war in ihn verliebt, und so wurden sie alle zusammen groß.«

      »Gott behüte!« meinte meine geehrte Freundin. »Das ging aber schnell bei Ihnen.«

      »Sie wurden alle zusammen groß«, wiederholte unser Junge, aus vollem Halse lachend, »und Bobbo und dieser Junge ritten davon, um ihr Glück zu suchen. Sie hatten ihre Pferde halb geschenkt und halb verkauft bekommen. Sie hatten nämlich sieben Schilling und vier Pence gemeinsam gespart, aber da die beiden Pferde, echte Araber, mehr wert waren, hatte der Mann gesagt, er wolle sich, weil sie es wären, damit zufriedengeben. Nun, sie machten also ihr Glück und kamen zur Schule zurückgaloppiert, die Taschen so voller Gold, daß es für immer reichte. Sie läuteten an der Glocke für die Eltern und Besucher (nicht am hinteren Tor), und als jemand kam, verkündeten sie: Genauso wie bei Scharlach! Jeder Junge geht auf unbestimmte Zeit nach Hause. Und da gab es ein großes Hurrageschrei, und dann küßten sie Seraphina und ihre Schwester – jeder sein eigenes Liebchen und auf keinen Fall das des anderen –, und dann ließen sie den Tataren augenblicklich einsperren.«

      »Armer Mann!« sagte meine geehrte Freundin.

      »Augenblicklich einsperren, Großmutti«, wiederholte Jemmy, indem er sich bemühte, streng auszusehen, und sich dabei doch vor Lachen schütteln mußte, »und er durfte nichts zu essen bekommen als das Essen der Jungen und mußte täglich ein halbes Fäßchen von ihrem Bier trinken. So traf man denn Anstalten für die beiden Hochzeiten, und es gab Eingemachtes und Süßigkeiten und Nüsse und Briefmarken und alles mögliche sonst. Und sie waren so fröhlich, daß sie den Tataren herausließen, und er war fröhlich mit ihnen.«

      »Es freut mich, daß sie ihn herausließen«, meinte meine geehrte Freundin, »weil er nur seine Pflicht getan hatte.«

      »Oh, aber er hatte auch ein bißchen zuviel getan!« rief Jemmy. »Und darauf bestieg dieser Junge sein Pferd, mit seiner Braut in den Armen, und galoppierte davon und galoppierte weiter und weiter, bis er an einen gewissen Ort kam, wo er eine gewisse Großmutti und einen gewissen Paten hatte – nicht ihr beide, müßt ihr verstehen.«

      »Nein, nein«, sagten wir beide einstimmig.

      »Und dort wurden sie mit großen Freuden empfangen, und er füllte das Küchenbüfett und den Bücherschrank mit Gold, und er ließ es auf seine Großmutti und seinen Paten herabregnen, weil sie die beiden liebsten und besten Menschen waren, die je auf dieser Welt lebten. Und während sie bis zu den Knien in Gold dasaßen, vernahm man ein Klopfen an der Haustür, und wer sollte es anders sein als Bobbo, der sich ebenfalls zu Pferde mit seiner Braut in den Armen einstellte, und er war um nichts anderes gekommen, als um zu sagen, daß er (für doppelte Miete) alle Zimmer für immer nehme, die dieser Junge und diese Großmutti und dieser Pate nicht für sich brauchten, und daß sie alle zusammen leben und alle glücklich sein wollten. Und das waren sie auch, und ihr Glück nahm nie ein Ende!«

      »Und gab es keinen Zank?« fragte meine geehrte Freundin, während sich Jemmy auf ihren Schoß setzte und sie umarmte.

      »Nein! Niemand gab jemals Anlaß zu Zank.«

      »Und wurde das Geld niemals alle?«

      »Nein! Niemand konnte es jemals ganz ausgeben.«

      »Und wurde keiner von ihnen jemals älter?«

      »Nein! Nach dem wurde keiner mehr älter.«

      »Und ist keiner von ihnen jemals gestorben?«

      »O nein, nein, nein, Großmutti!« rief unser lieber Junge, seine Wange auf ihre Brust legend und sie fester an sich drückend. »Niemand ist jemals gestorben.«

      »Ah, Major, Major!« sagte meine geehrte Freundin, mir gütig zulächelnd, »das ist besser als unsere Geschichten. Wir wollen mit der Geschichte des Jungen schließen, Major, denn die Geschichte des Jungen ist die beste, die je erzählt wurde!«

      Diesem Wunsch von seiten der besten aller Frauen folgend, habe ich die Geschichte hier so getreu aufgezeichnet, wie es meine besten Fähigkeiten, unterstützt von meinen besten Absichten, zuließen, und unterschreibe sie mit meinem Namen.

      J. Jackman

      Mrs. Lirripers Pension.

       Im ersten Stock.

      Die Geschichte des armen Verwandten

      (Charles Dickens)

       Inhaltsverzeichnis

      Es


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