Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin

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Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter  Benjamin


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      Als der Kleine eines Tages draußen auf dem schönen Felde zwischen den Blumen spielte, kam ein sehr heftiger Regenguß aus den Wolken herniedergeprasselt. Sobald der Knabe nun gewahrte, wie groß und schwer die Tropfen waren, die auf die zarten, hilflosen Lilien aufschlugen, schien er sich um seine schönen Lieblinge zu beunruhigen. Er eilte zu der höchsten und schönsten unter ihnen und bog den steifen Stengel, der die Blüten trug, zur Erde hinab, so daß die Regentropfen die untere Seite ihrer Kelche trafen. Und sobald er mit einer Blütenstaude auf diese Weise verfahren war, lief er zu einer anderen hin und bog ihren Stengel in gleicher Weise, so daß alle Blumenkelche der Erde zugewandt waren. Und so machte er es mit einer dritten und vierten, bis sämtliche Blumen des Lilienangers gegen den heftigen Regen geschützt waren.

      Der Kriegsknecht mußte innerlich lachen, als er das Werk des Knaben betrachtete. »Ich fürchte, daß diese Lilien ihm dafür nicht dankbar sein werden,« sprach er. »Natürlich werden alle Lilienstengel umgebrochen sein. Die steifen Gewächse lassen sich doch so nicht biegen.«

      Als jedoch der Regenschauer endlich aufhörte, da sah der Kriegsknecht den kleinen Knaben wieder zu den Lilien eilen, um sie aufzurichten. Und zum maßlosen Staunen des Mannes bog das Kind ohne die geringste Mühe die steifen Stengel gerade. Es erwies sich, daß kein einziger zerbrochen oder beschädigt war. Er lief von Blume zu Blume, und alle die geretteten Lilien erstrahlten bald in vollem Glanze auf der Flur.

      Bei diesem Anblick empfand der Kriegsknecht einen seltsamen Groll. »Sieh einer das Kind!« meinte er. »Es ist doch unglaublich, daß es etwas so Törichtes unternimmt. Was für ein Mann soll aus ihm werden, wenn er es nicht einmal ertragen kann, eine Lilie vernichtet zu sehen? Wie würde es ablaufen, wenn so einer in den Krieg müßte? Wie würde er sich dazu stellen, wenn ihm befohlen würde, ein Haus mit Frauen und Kindern in Brand zu stecken, oder ein Schiff in Grund zu bohren, das mit seiner ganzen Bemannung auf den Wellen treibt?«

      Wieder entsann er sich der alten Weissagung, und es beschlich ihn Furcht, daß nun wirklich die Zeit gekommen sein könnte. »Da nun ein solches Kind geboren ist, mag die schreckliche Zeit vielleicht ganz nahe sein,« meinte er. »Schon herrscht Friede in der ganzen Welt, und gewiß wird niemals wieder ein Tag des Krieges anbrechen. Von nun an werden alle Menschen das gleiche Gemüt haben wie dieses Kind. Sie werden sich scheuen, einander zu verletzen, ja, sie werden nicht einmal das Herz haben, eine Biene oder eine Blume zu zerstören. Mit den großen Heldentaten wird es vorbei sein. Man wird keine herrlichen Siege erringen, und kein glänzender Triumphator wird zum Kapitol hinaufziehen. Es wird nichts mehr geben, was ein tapferer Mann ersehnen könnte.«

      Und der Kriegsknecht, der noch immer gehofft hatte, neue Kriege zu erleben, um sich durch Heldentaten zu Macht und Reichtum emporzuschwingen, war so zornig über den kleinen Dreijährigen, daß er drohend den Speer gegen ihn ausstreckte, als er das nächste Mal an ihm vorbeilief.

      Jedoch an einem anderen Tage waren es weder die Bienen noch die Lilien, denen der Kleine zu helfen suchte, sondern er unternahm etwas, was dem Kriegsknecht noch viel nutzloser und undankbarer erschien.

      Es war ein furchtbar heißer Tag, und die Sonnenstrahlen, die auf den Helm und den Harnisch des Soldaten fielen, erhitzten sie so sehr, daß ihm war, als trüge er eine Rüstung aus Feuer. Für die Vorübergehenden sah es so aus, als müsse er entsetzlich unter der Hitze leiden. Seine blutunterlaufenen Augen traten ihm aus dem Kopf, und die Haut seiner Lippen war eingeschrumpft, aber der Kriegsknecht, der sich in der brennenden Glut der afrikanischen Wüsten stählen gelernt hatte, hielt dies für eine Kleinigkeit, und er dachte keinen Augenblick daran, von seinem gewöhnlichen Platz zu weichen. Er fand im Gegenteil Gefallen daran, den Vorübergehenden zu beweisen, wie stark und ausdauernd er sei, und daß er nicht nötig habe, vor der Sonne zu fliehen.

      Während er so dastand und sich lebendig fast braten ließ, kam der kleine Knabe, der auf dem Felde zu spielen pflegte, plötzlich auf ihn zugegangen. Er wußte ganz gut, daß der Legionär ihm nicht freundlich gesinnt war, und er hütete sich sonst in die Nähe seines Speers zu kommen, aber jetzt lief er dennoch auf ihn zu, blickte ihn lange und aufmerksam an und rannte in vollem Lauf über die Straße. Als er nach einer Weile zurückkam, hielt er seine beiden Händchen wie eine Schale ausgebreitet und hatte so einige Tropfen Wasser mitgebracht.

      »Ist dieses Kind jetzt gar auf den unnötigen Einfall gekommen, für mich Wasser zu holen?« fragte sich der Soldat. »Das hat doch wirklich keinen Verstand. Ein römischer Legionär sollte nicht ein wenig Hitze ertragen können? Wozu muß dieser kleine Bengel umherrennen, um denen zu helfen, die keiner Hilfe bedürfen? Ich mag seine Barmherzigkeit nicht. Ich wünschte, daß er und jeder seinesgleichen vom Erdboden verschwände.«

      Der Kleine kam sehr langsam näher. Er hielt seine Fingerchen fest zusammengepreßt, damit nichts verloren ginge oder überlaufe. Während er sich dem Kriegsknecht näherte, hielt er seine Augen ängstlich auf das wenige Wasser geheftet, das er mitbrachte, merkte also nicht, daß jener mit finster gerunzelter Stirn und abweisenden Blicken dastand. Endlich blieb er dicht vor dem Legionär stehen und reichte ihm das Wasser.

      Auf dem Wege waren ihm seine schweren, blonden Locken immer tiefer über Stirn und Augen gefallen. Er schüttelte ein paarmal sein Köpfchen, um das Haar zurückzuwerfen und aufblicken zu können. Als es ihm endlich gelang und er den harten Ausdruck im Gesicht des Kriegsknechts wahrnahm, war er dennoch gar nicht erschrocken, sondern stand ruhig da und forderte ihn mit einem bezaubernden Lächeln auf, von dem mitgebrachten Wasser zu trinken. Aber der Kriegsknecht verspürte keine Lust, eine Wohltat von diesem Kinde anzunehmen, das ihm als Feind galt. Er blickte nicht in sein schönes Antlitz hinunter, sondern stand starr und unbeweglich da und machte keinerlei Miene, als verstände er, was das Kind von ihm begehrte.

      Aber der Kleine spürte gar nicht, daß dies eine Abweisung sein sollte. Er lächelte immer noch ebenso zutraulich, hob sich auf die Zehenspitzen und streckte seine Aermchen so hoch wie möglich, damit der riesige Soldat das Wasser leichter erreichen könne.

      Der Legionär jedoch empfand es als eine Schmach, daß ein Kind ihm helfen wollte, und hob seinen Speer, um den Kleinen in die Flucht zu jagen.

      Aber gerade in diesem Augenblick trafen die Glut und die Sonnenstrahlen den Kriegsknecht mit solcher Gewalt, daß er rote Flammen vor seinen Augen auflodern sah, und daß ihm war, als schmelze das Gehirn in seinem Kopfe. Er fürchtete, daß die Sonne ihm den Tod bringen könnte, wenn er nicht sofort Erleichterung fände.

      Und ganz verwirrt vor Schrecken über die drohende Gefahr, schleuderte er seinen Speer von sich, umfaßte mit beiden Händen das Kind, hob es zu sich empor und schlürfte das Wasser aus dessen Händchen.

      Es waren zwar nur wenige Tropfen, die er so zu sich nahm, aber weiterer Labung bedurfte er auch gar nicht. Sobald er das Wasser gekostet hatte, durchrieselte wonnige Kühlung seinen ganzen Körper, und er fühlte weder die Glut noch die Schwere von Helm und Harnisch. Die Sonnenstrahlen hatten ihre mörderische Macht verloren. Seine trockenen Lippen wurden wieder geschmeidig, und die roten Flammen tanzten nicht länger vor seinen Augen.

      Ehe er noch Zeit gehabt hatte, all dies zu bemerken, stellte er das Kind wieder auf die Erde, und es lief nach der Wiese, um weiter zu spielen. Dann aber begann der Kriegsknecht sich verwundert selber zu fragen:

      »Was für ein Wasser hat mir das Kind eigentlich dargeboten? Das war ein köstlicher Trank. Ich muß mich ihm wirklich dankbar erzeigen.«

      Da er den Kleinen jedoch haßte, ließ er diese Gedanken bald fallen.

      »Es ist doch nur ein Kind,« sagte er sich, »es weiß nicht, weshalb es so oder so handelt. Es spielt eben das Spiel, das ihm am meisten zusagt. Sind ihm die Bienen oder die Lilien etwa dankbar? Um dieses Bürschlein brauche ich mir keinerlei Ungelegenheiten zu machen. Es weiß nicht einmal, daß es mir geholfen hat.«

      Als er nach kurzer Frist den Anführer der römischen Soldaten, die in Bethlehem lagerten, durch das Tor kommen sah, war er wenn möglich noch ärgerlicher über das Kind.

      »Sieh einer,« sagte er sich, »in welcher Gefahr ich durch den Eifer des Kleinen gewesen bin! Wäre Voltigius ein klein wenig früher gekommen, so hätte er mich mit einem Kinde in den Armen gesehen.«

      Der


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