Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin

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Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter  Benjamin


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Bündel, Joe«, sagte die erste.

      Joe kniete nieder, um bequemer das Bündel öffnen zu können, und nachdem er eine Menge Knoten gelöst hatte, zog er eine große und schwere Rolle dunkeln Tuchs hervor.

      »Was ist das?« fragte Joe. »Bettgardinen.«

      »Ja«, rief das Weib lachend und neigte sich vor, »Bettgardinen!«

      »Ihr wollt doch nicht behaupten, Ihr hättet sie abgenommen, während er dort lag?« sagte Joe.

      »Aber freilich«, sagte das Weib. »Warum denn nicht?«

      »Ihr seid geboren, Euer Glück zu schmieden, und Ihr werdet es auch.«

      »Ich werde denn doch wirklich meine Hand nicht ruhig einstecken, wenn ich sie nur auszustrecken brauche, um etwas zu bekommen, und das wegen eines solchen Mannes, wie der war. Nein, wirklich nicht, Joe«, antwortete das Weib ruhig. »Laßt kein Öl auf die Bettdecken fallen.«

      »Seine Bettdecke?« fragte Joe.

      »Von wem soll sie sonst herrühren?« antwortete das Weib. »Er wird auch ohnedem nicht frieren, meine ich.«

      »Er starb doch nicht etwa an einer ansteckenden Krankheit?« sagte der alte Joe, seine Beschäftigung unterbrechend und sie ansehend.

      »Deswegen braucht Ihr keine Sorge zu haben«, antwortete die Frau. »Ich hatte ihn nicht so lieb, daß ich dann bei ihm geblieben wäre, bloß wegen solcher Dinge. Ach, Ihr könnt durch das Hemd gucken, bis Euch Eure Augen brennen, Ihr findet kein Loch drin und keine dünne Stelle. Es ist das beste, was er hatte, und sein ist es auch. Sie hätten es verdorben, wenn ich nicht da gewesen wäre.«

      »Was nennt Ihr: es verderben?« fragte der alte Joe.

      »Nun, ihm das Hemd für das Grab anziehen, was sonst?« versetzte die Frau lachend.

      »Es war irgendwer närrisch genug, es ihm anzuziehen. Aber ich zog es ihm wieder aus. Wenn Kattun zu so etwas nicht gut genug ist, weiß ich nicht, zu was er sonst ausreichte. Es kleidet eine Leiche ebenso gut. Er kann nicht häßlicher aussehen, als er darin aussah.«

      Scrooge hörte das Gespräch voller Grauen an. Als sie da um ihre Diebsbeute in dem kümmerlichen Schein der Lampe des Alten saßen, betrachtete er sie mit einem Ekel und Abscheu, der nicht größer hätte sein können, wenn es abscheuliche Vampire gewesen wären, die um die Leiche selbst handelten.

      »Hi, hi!« kicherte dieselbe Frau, als der alte Joe, eine alte wollene Geldbörse hervorholend, jedem den Preis des Raubes auf den Fußboden hinzählte. »Das ist das Ende von der Geschichte, seht ihr! Er jagte jeden von sich, solange er lebte, um uns zu nützen, wenn er tot war! Hi, hi, hi!«

      »Geist«, sagte Scrooge, von der Sohle bis zum Scheitel bebend. »Ich verstehe dich. Das Los dieses Unglücklichen vermöchte das meine zu sein. Mein Leben geht jetzt auf dieses Ziel zu. Barmherziger Himmel, was ist das?«

      Er prallte entsetzt zurück; denn die Szene hatte sich verwandelt, und nun stand er dicht vor einem Bette, einem einsamen, das keine Vorhänge hatte, und auf diesem Bett lag unter einer groben Decke etwas Verhülltes, das sich, obgleich es stumm war, doch in grausenerregender Sprache vorstellte.

      Das Zimmer war sehr finster, zu finster, als daß man etwas genau hätte erkennen können. Trotzdem blickte sich Scrooge, einem geheimen Drang gehorchend, voll Begier um; er wollte wissen, was für ein Zimmer es sei. Ein bleiches Licht, das von außen eindrang, fiel gerade auf das Bett, und auf diesem, ausgeplündert und beraubt, unbewacht und unbeweint, ruhte die Leiche eines Mannes.

      Scrooge blickte auf die Erscheinung. Ihre regungslose Hand wies auf das Haupt der Leiche. Die Decke war so lieblos darüber geworfen, daß die geringste Verschiebung, die leiseste Berührung durch Scrooges Finger das Antlitz enthüllt hätte. Er dachte daran, merkte, wie leicht es geschehen könnte, und wünschte, es zu tun; aber er hatte so wenig Macht, die Hülle fortzuziehen, als dem Geist an seiner Seite zu entgehen.

      O kalter, unbewegter, schrecklicher Tod, baue hier deinen Altar auf und umgib ihn mit den Schrecknissen, die du zur Verfügung hast, denn hier ist dein Reich! Aber dem geliebten und verehrten Haupte vermagst du kein Haar zu krümmen, ihm kannst du keine Miene entstellen. Nicht weil die Hand schwer ist und herniederfällt, wenn man sie gleiten läßt, nicht weil Herz und Puls verstummt sind, sondern weil die Hand offen war und warm und gut und der Puls menschlich. Töte, du Schemen, töte! Und sieh, wie seine guten Taten aus der Wunde des Toten hervorströmen, um ewiges Leben in der Welt zu offenbaren.

      Keine Stimme flüsterte solche Worte in Scrooges Ohren; aber trotzdem vernahm er sie, wenn er auf das Bett starrte. Er dachte, wenn dieser Mann jetzt wieder auferweckt werden könnte, was dürfte wohl sein erster Gedanke sein? Geiz, Hartherzigkeit, Gedanken der Habgier? Ein schönes Ziel hatten diese ihm erwirkt.

      Er war aufgebahrt in dem dunklen, öden Haus, und kein Mann, kein Weib oder Kind waren da, die bezeugt hätten: Er war gut gegen mich, und in jedem, und in Gedanken an das eine freundliche Wort will ich bei ihm Totenwache halten. Eine Katze kratzte an der Tür, und Ratten nagten und raschelten hinter dem Ofen. Was sie in dem Gemach des Todes suchten, und warum sie so unruhig waren, mochte Scrooge sich nicht auszumalen. –

      »Geist«, sagte er, »eine entsetzliche Stätte, wenn ich sie verlasse, werde ich ihren Namen nie vergessen, glaube mir. Laßt uns jetzt von hinnen eilen!«

      Immer noch wies der Geist mit unbewegtem Finger auf das Haupt der Leiche.

      »Ich verstehe dich«, antwortete Scrooge, »und ich würde es tun, wenn ich es vermöchte. Aber ich finde nicht die Kraft dazu, Geist. Ich finde die Kraft nicht dazu.«

      Wieder schien der Geist ihn zu durchblicken.

      »Wenn irgendeiner in der Stadt ist, der bei dieses Mannes Tod etwas empfindet«, fuhr Scrooge erschüttert fort, »so zeige ihn mir, Geist, ich bitte dich darum.«

      Da breitete die Erscheinung ihren dunklen Mantel einen Augenblick vor ihm aus wie ein Flügelpaar, und als sie ihn wieder zusammenschlug, erblickte er ein taghelles Zimmer, in dem eine Mutter mit ihren Kindern hauste.

      Sie hoffte auf das Kommen von jemandem in angstvoller Erwartung; denn sie ging im Zimmer auf und nieder, fuhr bei jedem Geräusch zusammen, blickte zum Fenster hinaus und sah nach der Uhr; sie versuchte vergebens zu arbeiten und konnte kaum das Lärmen der spielenden Kinder aushalten.

      Endlich vernahm sie das langersehnte Pochen an der Haustür und begegnete, als sie hinausschauen wollte, ihrem Gatten. Sein Gesicht war traurig und bedrückt, obgleich er noch jung war. Es zeigte einen merkwürdigen Ausdruck, eine Art ernster Freude, deren der Mann sich schämte und die nicht zu zeigen er sich bemühte.

      Er setzte sich zur Mahlzeit nieder, die man ihm warm gehalten hatte; und als die Frau ihn erst nach langem Schweigen fragte, was er für Neuigkeiten habe, schien er keine Antwort zu wissen.

      »Steht es gut oder schlecht?« fragte sie, um ihm die Auskunft zu erleichtern.

      »Schlecht«, antwortete er.

      »Wir sind ganz ruiniert?«

      »Nein, noch ist Hoffnung möglich, Karoline.«

      »Wenn er sich erbitten läßt«, rief sie erstaunt, »dann ist sie noch da! Überall ist noch Hoffnung, wenn ein solches Wunder zu erwarten ist.«

      »Es ist zu spät für ihn, Barmherzigkeit zu üben«, sagte der Gatte. »Er ist tot?«

      Sie war ein sanftes und geduldiges Wesen, wenn ihr Gesicht die Wahrheit sprach. Aber sie war im Innern dankbar, als sie dies vernahm, und sagte das auch mit gefalteten Händen. Sie bat im nächsten Augenblick allerdings den Himmel, daß er ihr verzeihen möge, und bereute es; aber das erste war die Regung ihres Herzens gewesen.

      »Was mir das halb trunkene Weib gestern abend sagte, als ich ihn sprechen und um eine Woche Aufschub bitten wollte, und was ich nur für eine bloße Ausrede hielt, um mich abzufertigen, zeigt sich jetzt als die reine Wahrheit. Er war nicht nur sehr krank, sondern lag schon im Sterben.«

      »Auf wen wird unsere Schuld


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