Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin

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Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter  Benjamin


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sie sicherlich auch nicht nein, noch deutete sie es irgendwie an.

      Tackleton lachte – ja er schrie förmlich, so laut lachte er. John Peerybingle lachte ebenfalls, aber in seiner gewöhnlichen gutmütigen und zufriedenen Weise, sein Lachen war ein Flüstern im Vergleich zu dem von Tackleton.

      »Und trotzdem«, sagte dieser, »habt ihr nicht anders können. Ihr konntet uns nicht widerstehen, seht ihr! Da habt ihr uns nun! Wo sind nun eure vergnügten, liebenswerten, jungen Bräutigame?«

      »Einige von ihnen sind tot«, entgegnete Dot, »und andere vergessen. Wenn jetzt einer von ihnen in diesem Augenblick in unserer Mitte erschiene, er würde gar nicht glauben, daß wir dieselben Geschöpfe sind; nicht glauben, daß das, was er sähe und hörte, Wirklichkeit sei und daß wir sie so hätten vergessen können. Nein, nichts würden sie davon glauben!«

      »Aber Dot!« rief der Fuhrmann. »Kleine Frau!«

      Sie hatte mit solcher Lebhaftigkeit und solchem Feuer gesprochen, daß sie ohne Zweifel zu sich selbst zurückgerufen werden mußte. Die Unterbrechung ihres Mannes geschah sehr sanft, denn er mischte sich nur ein, wie er glaubte, um den alten Tackleton zu schützen; aber er erreichte seinen Zweck, denn sie schwieg und sagte kein Wort weiter. Doch lag selbst in ihrem Schweigen eine ungewöhnliche Aufregung, wie der schlaue Tackleton, der sein halb geschlossenes Auge auf sie gerichtet hielt, sehr wohl merkte, um sich bei guter Gelegenheit daran zu erinnern.

      May sagte kein Wort, weder ein gutes noch ein böses, sie saß da ganz still, die Augen niedergeschlagen, und legte durch kein Zeichen irgendwelches Interesse an dem, was gesprochen worden war, an den Tag. Aber die gute Dame, ihre Mutter, mischte sich jetzt hinein, indem sie erstlich bemerkte, Mädchen seien Mädchen, und was geschehen sei, sei geschehen, und solange junge Leute jung und leichtsinnig seien, würden sie sich wahrscheinlich auch wie junge, leichtsinnige Leute betragen. Nachdem sie zweitens und drittens noch einige andere Behauptungen von nicht weniger tiefer und unumstößlicher Weisheit aufgestellt hatte, machte sie dann mit frommer Miene die Bemerkung, sie danke dem Himmel, daß sie allzeit in ihrer Tochter May ein pflichtgetreues und gehorsames Kind gefunden habe, was sie sich nicht als Verdienst anrechne, obgleich sie allen Grund habe zu glauben, daß sie es nur ganz sich selbst zu verdanken habe. Was Herrn Tackleton betreffe, so sagte sie, vom moralischen Gesichtspunkte sei er ein unleugbares Individuum und vom Gesichtspunkt einer Heirat aus ein durchaus wünschenswerter Schwiegersohn, das könne kein vernünftiger Mensch bezweifeln. (Hier wurde sie sehr emphatisch.) Was die Familie angehe, in die er nach einigem Werben aufgenommen worden sei, so glaube sie, es sei Herrn Tackleton nicht unbekannt, daß dieselbe, obgleich den Reichtum betreffend ein wenig zurückgekommen, immerhin Ansprüche auf vornehmen Stand habe: und wenn gewisse Umstände, die dem Indigohandel nicht ganz fern lägen – denn sie wolle den Ursprung des Übels nur andeuten, ohne sich jedoch in die Einzelheiten der Frage einzulassen –, ganz anders gekommen wären, so hätte die Familie vielleicht ein ansehnliches Vermögen besessen.

      Dann bemerkte sie, von der Vergangenheit wolle sie nicht sprechen und nicht daran erinnern, daß ihre Tochter eine Zeitlang die Anträge des Herrn Tackleton zurückgewiesen und daß sie noch eine große Anzahl anderer Dinge unberührt lassen wolle, was sie aber dennoch in aller Ausführlichkeit tat. Endlich behauptete sie als das Ergebnis ihrer Beobachtung und Erfahrung, daß diejenigen Ehen, in denen es sich am wenigsten um das handle, was man romantischer-und törichterweise Liebe nenne, stets die glücklichsten seien; und daß sie darum bei demjenigen Paar, dessen Hochzeit bevorstehe, die größtmögliche Summe von Glück voraussehe – nicht jenes verzückte Glück, sondern den soliden, gangbaren Artikel. Sie schloß damit, daß sie der Gesellschaft mitteilte, morgen sei der Tag, für den sie ausschließlich gelebt habe, und daß, wenn er vorüber, sie nichts weiter wünsche, als eingepackt und an irgendeinem netten Kirchhofsplätzchen untergebracht zu werden.

      Da auf diese Bemerkungen gar nichts zu antworten war – das glückliche Vorrecht aller Bemerkungen, die sich möglichst weit von der Sache halten –, so änderte man den Lauf der Unterhaltung und lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Kalbs-und Schinkenpastete, die Hammelkeule, die Kartoffeln und die Torte. Damit die Bierflaschen nicht vernachlässigt wurden, brachte John Peerybingle auf den morgigen Tag, den Hochzeitstag, einen Toast aus und forderte alle auf, ein volles Glas darauf zu leeren, bevor er seine Fahrt fortsetze.

      Denn ihr müßt wissen, daß er hier nur haltgemacht hatte, um sein altes Pferd zu füttern. Er hatte noch etwa eine Stunde weit zu fahren, und wenn er abends zurückkam, so holte er Dot ab und machte noch einmal halt, bevor er heimkehrte. Dies war die Tagesordnung bei allen Picknicks, und sie war seit Einrichtung derselben immer getreulich beobachtet worden.

      Es waren außer Braut und Bräutigam noch zwei Personen zugegen, die dem Trinkspruch kaum Ehre erwiesen. Die eine war Dot, die zu sehr erregt und beunruhigt war, um an den kleinen Zwischenfällen des Festes teilzunehmen, die andere Bertha, die hastig vor den andern aufstand und den Tisch verließ.

      »Auf Wiedersehen!« sagte der robuste John Peerybingle, seinen allem trotzenden Flausrock anziehend. »Zur gewöhnlichen Zeit werde ich wieder hier sein. Laßt es euch allen inzwischen gut gehen!«

      »Auf Wiedersehen, John!« antwortete Kaleb.

      Er sagte das mechanisch, und auch mit der Hand winkte er nur gleichsam unbewußt; denn er beobachtete Bertha mit einem ängstlich staunenden Gesicht, das seinen Ausdruck kaum änderte.

      »Adieu, kleines Bürschchen!« sagte der lustige Fuhrmann, indem er sich herabneigte, um das Kind zu küssen, das Tilly, jetzt ausschließlich mit Messer und Gabel beschäftigt, schlafend – und ausnahmsweise ohne Schaden! – in ein kleines, von Bertha möbliertes Häuschen gelegt hatte. »Adieu! Hoffentlich kommt einmal die Zeit, wo du, mein kleiner Freund, hinausziehst in Wind und Wetter, um deinen alten Vater hinter dem Ofen seine Pfeife rauchen und seinen Rheumatismus pflegen zu lassen, he? Wo ist Dot?«

      »Hier bin ich, John!« sagte sie, indem sie erschrak.

      »Weiter, weiter!« erwiderte der Fuhrmann, indem er kräftig in die Hände schlug. »Wo ist die Pfeife?«

      »Die Pfeife habe ich ganz vergessen, John.«

      »Die Pfeife vergessen! Hat man je so etwas erlebt! Sieh! Dot! die Pfeife vergessen!«

      »Ich … ich will sie gleich stopfen. Es ist bald geschehen.«

      Es war jedoch nicht so bald geschehen. Sie war an ihrem gewöhnlichen Platze – in des Fuhrmanns Flausrocktasche – neben dem kleinen Tabaksbeutel, einem Werk ihrer Hände, aus dem sie die Pfeife zu stopfen pflegte; aber ihre Hand zitterte so sehr, daß sie nicht hineinkommen konnte (und doch war diese Hand wahrhaftig klein genug, um ohne Mühe herauszukommen), und so stümperte sie bei ihrer Arbeit. Das Stopfen und Anzünden, kurz all die kleinen Dienste, die sie meiner Meinung nach, wie ihr euch erinnern werdet, so vorzüglich verstand, wurden miserabel ausgeführt von Anfang bis zu Ende. Während des ganzen Verfahrens sah Tackleton sie mit dem halbgeschlossenen Auge boshaft an, und dies, wenn es den ihren begegnete – oder es auffing; denn man kann schwerlich sagen, daß es je einem andern Auge begegnete, war es doch vielmehr eine Art Falle, worin andere sich fingen – so vermehrte das ihre Verwirrung in durchaus merkwürdiger Weise.

      »Na, was für eine ungeschickte Dot du heute nachmittag bist!« sagte John. »Ich glaube wahrhaftig, ich selber hätt’ es besser gemacht!«

      Mit diesen gutmütigen Worten schritt er von dannen, und man hörte ihn bald in Gemeinschaft mit Boxer und dem alten Pferd und dem Wagen eine fröhliche Musik die Straße hinunter machen.

      Und inzwischen beobachtete Kaleb noch immer seine blinde Tochter mit demselben gedankenvollen Ausdruck in seinem Gesicht. »Bertha«, sagte er sanft. »Was ist geschehen? Wie hast du dich, mein gutes Kind, in ein paar Stunden – seit heute früh – verändert! Den ganzen Tag bist du traurig und still gewesen! Was fehlt dir? Sage es mir!«

      »O Vater, Vater!« rief das blinde Mädchen, in Tränen ausbrechend. »O mein hartes, grausames Schicksal!«

      Kaleb fuhr sich mit der Hand über die Augen, bevor er antwortete.

      »Aber denke doch daran, Bertha, wie fröhlich und glücklich


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