Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer

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Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer - Ludwig  Ganghofer


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sonnverbranntes Gesicht hatte so gesunde Farbe, als hätte er nie die Luft der Krankenstube geatmet und als wäre auch die letzte Erinnerung an allen Sturm und Schmerz, vor dem er in die Einsamkeit der Berge geflohen, in ihm versunken und erloschen. Und wie kräftig sein Schritt war, wie frei seine Haltung! Als hätte ein neuer und heißer Trieb des Lebens jeden Tropfen seines Blutes befeuert. Er selbst schien der Wandlung, die sich in ihm vollzogen hatte, mit keiner Frage nachzuspüren. Er fühlte sie nur, wie man mit geschlossenen Augen die Sonne fühlt, war heiter und zufrieden, dachte mit keinem Gedanken an das Gewesene, hatte keinen Wunsch an die Zukunft und freute sich in dieser lächelnden Ruhe jeder Stunde, wie sie kam und ging.

      Der folgende Tag aber brachte ihm den Lebensgewinn, den er im Frieden des Waldes gefunden hatte, doch zum Bewußtsein. Da kam mit der Post ein Brief. Als Ettingen an der Adresse die Schrift des Freundes erkannte, an den er in jener ersten Nacht die lange Epistel gerichtet hatte, zögerte er einen Augenblick, den Brief zu erbrechen. Dann schüttelte er lachend den Kopf. »Mein Wald hat mich gesund gemacht!« Was dieser Brief auch enthalten mochte – es konnte seine Ruhe nicht mehr stören, keine Bitterkeit in seiner Seele wecken. Er hatte überwunden und vergessen, war geheilt und frei. Wie auch die häßliche Katastrophe jener Tollheit ausklingen mochte, er konnte das so ruhig und gleichgültig anhören wie das schale Ende einer Geschichte, die ein anderer erlebt hatte.

      Er öffnete den Brief und las:

       »Wien, den 30. Juli.

      Mein lieber Heinz!

      Die weißt, wie stark ich unter Umständen für andere sein kann. Meinen eigenen Wünschen gegenüber bin ich ein Schwächling. Und mein Wunsch wär es, Dir für Deinen lieben langen Brief recht ausführlich zu danken, mit Dir zu plaudern, Dich zu warnen, Dir zu raten. Das muß ich mit für den Tag versparen, der mich zu Dir führt. Ich hoffe, das wird bald geschehen. Für heute geht's nicht, man tut mir Gewalt an. Vor kaum einer Minute hab ich mich zum Schreiben gesetzt, und da trommeln sie schon wieder an meine Tür und schreien: ›Onkel Goni, was machst du? Onkel Goni, wo bleibst du? Onkel Goni, so komm doch!‹ Seit drei Tagen hab ich ›Familie‹. Meine Schwester, deren Mann zu den Jagden nach Steiermark absauste, hat ihre vier Jungen aus den weißen Pfoten der Jesuiten in Empfang genommen. Da ist mir nun die liebe Seele mit ihrem tollen Viergespann unvermutet ins Haus gefahren, und die Jungen stellen mir meine friedliche Hütte auf den Kopf. Aber ich lasse mich geduldig martern. Jugend zu sehen, das ist für mich immer wie eine neue, große Entdeckung. Das nimmt meiner Borstigkeit jeden scharfen Stachel. Aber es macht mich auch schwermütig. Nicht, weil ich die eigene Jugend zurücksehne. Kein Kluger will ein zweites Mal leben. Nur, weil ich fühle, wie wenig mir von der Jugend geblieben ist. Graue Haare, die ›einstens‹ braun gewesen – sonst nichts. Warum ich nicht glücklich wurde? Das weiß ich. Aber warum ich nicht geheiratet habe? Das ist mir dunkel. Tu es, Heinz! Tu es! Und werde Vater! Mir scheint, als wäre in dieser Schatztruhe, die man Leben nennt, die Freude am Kind der einzig wirkliche Wert, auch wenn seine Süßigkeit sich ›mengt mit Bitternis‹! Oder glaub ich das nur, weil das am Leben das einzige ist, was mir fremd geblieben? Alles andere kenn ich. Und weiß, daß es die Spesen der Erfahrung nicht aufwiegt. Aber nein! Dieser einzige Lebensglaube – der Glaube an einen Gott, zu dem ich niemals beten durfte – soll mir bleiben für den Rest meiner Tage. Ich habe Deiner Mutter Freude an Dir gesehen. Und ich begriff, daß sie um dieser einzigen Freude willen alles andere verschmerzen konnte. Im kleinen seh ich es auch an meiner Schwester. Wenn die vier Fohlen sie gepeinigt haben, daß sie vor Wut und Verzweiflung heult – fünf Minuten später spielt sie ›Mutter der Gracchen‹ und sagt mit Aplomb und strahlenden Augen: ›Meine Söhne!‹ Da nasch ich nun ein bißchen an ihrer Freude mit, bin ›Onkel Goni‹ und lasse mich schinden, daß ein ehrgeiziger Märtyrer von mir lernen könnte. Ich tu es, weil ich Zeit habe. Denn meiner Freundschaft für Dich sind die Hände gebunden. Ich bin in der Schlichtung Deiner Affäre zu einem far niente verurteilt, das mir durchaus nicht ›süß‹ erscheint.

      Wohl habe ich das möglichste versucht, um eine Auseinandersetzung herbeizuführen. Aber sie macht sich unsichtbar. Ihre Villa in Hietzing hat scheinbar im Sommerschlaf die Augen geschlossen, und der Portier schwört falsche Eide, daß die gnädige Baronin ›unbekannten Aufenthaltes. Aber sie macht sich unsichtbar. Ihre Villa in Hietzing hat scheinbar im Sommerschlaf die Augen geschlossen, und der Portier schwört falsche Eide, daß die gnädige Baronin ›unbekannten Aufenthaltes‹ wäre. Ihr Anwalt erklärte, daß er ›keinerlei Auftrag‹ hätte, und ›vermutet‹, daß sie in Ostende wäre. Aber sie ist hier, in ihrer Villa. Gestern früh brachte mir mein Agent die Mitteilung, daß am 28. abends neun Uhr ein Kupee vor der Villa angefahren wäre und eine Stunde gewartet hätte. Und weißt Du, wem das Kupee gehörte – am 28. Juli ein geschlossenes Kupee? –, dem ›süßen kleinen Mucki‹! Dem Sensburg! Er brachte ihr wohl die Neuigkeit, daß er Dich in Innsbruck traf. Hoffentlich hast Du ihm nicht klipp und klar gesagt, wohin Du fährst? Na also, gestern mittag fuhr ich zu ihm, mit den vier Jungen im Wagen. Ausrede: ob er nicht einen jungen Engländer wüßte, der meine neveus im Tennis perfektionieren könnte. Den wußte er natürlich. Und dann fragte ich so nebenbei: ob er nicht bei der Pranckha gewesen wäre. Er wurde rot und leugnete. Das wunderte mich. Nicht, daß er log. Aber daß diese abgelaufene Gesellschaftswanze noch erröten kann. Und das ist alles, was ich Dir zu berichten haben. Aber ich warne Dich, lieber Heinz! Was sie mit diesem monatelangen Blindekuhspiel bezweckt, versteh ich nicht. Irgend etwas plant sie. Daß sie Dich ›friedlich ziehen‹ läßt, das bilde Dir ja nicht ein! Fürst Ettingen zu Bernegg ist ein liebes Hühnchen, das allzu schöne Federn besitzt. Sie wartet nur den günstigen Augenblick ab, um Dich wieder einzufangen. Daß sie dabei mit Deinem Herzen rechnen kann, das brauch ich wohl nicht mehr zu befürchten. Aber sie wird ihren Kalkul auf Dein Blut setzen. Ich warne Dich, Heinz! Wenn Dir die schöne Katze mit süßem Schnurren an den Hals springt – schüttle sie ab! Gleich! Nur in der ersten Sekunde wirst Du die Kraft dazu haben. Nicht mehr in der zweiten Minute. Da hat sie Dich.

      Hörst Du: sie trommeln schon wieder! ›Onkel Goni, du bist unausstehlich!‹ Diesen Vorwurf muß ich entkräften. Also Schluß!

      Dein ›Schweigen‹ sollst Du in wenigen Tagen bekommen. Ich habe eine herrliche Radierung aufgetrieben und einen richtigen Künstler beauftragt, dem Blatt einen Hauch Farbe nach dem Original zu geben. Morgen oder übermorgen wird das Bild an Dich abgehen. Am liebsten wär's mir, ich könnt es Dir selber bringen. Aber sobald ich die vier Jungen wieder los bin und sehe, daß ich Deinem ›Frieden‹ hier in Wien nicht weiter nützen kann, dann komm ich. Und dann wollen wir selbander schöne Klapphornverse erleben:

      Zwei Knaben gingen durch einen Wald,

       Der eine jung, der andre alt –

      Die heitere Pointe wird sich finden. Bis dahin mit Gruß, mit herzlicher Treu, aber auch in Sorge

      Dein alter

       Goni Sternfeldt.«

      Als Ettingen gelesen hatte, trat er, den Brief noch in der Hand, zum offenen Fenster und blickte lächelnd über den Bergwald hinaus.

      »Sorge? Nein!«

      Eine Stelle des Briefes las er ein zweites Mal: »Dein ›Schweigen‹ sollst Du in wenigen Tagen bekommen –«

      Nun bemerkte er erst, daß die letzte Seite des Briefes noch eine Nachschrift hatte:

      »Soeben kommt Deine Depesche. Emmerich Petri? Wo hast Du nur diesen Namen so plötzlich aufgefischt? Auf der Gemspirsche? Ist das einer, von dem die Steine reden, da die Menschen von ihm schweigen? Ich habe in einem Lexikon der ›Kunstentwicklung des 19. Jahrhunderts‹ nachgeschlagen. Der Name fehlt. Doch glaub ich mich dunkel zu erinnern, daß ich diesen Namen während des letzten Winters mehrmals in Künstlerkreisen nennen hörte. Aber dieser Winter! Da hatte ich doch meine liebe Sorge mit Dir und Deinem Wahnsinn! Wie wäre ich da kapabel für Kunstgespräche gewesen! Emmerich Petri? Der Name klingt mir im Ohr, doch meine Erinnerung ist leer. Aber ich fahre noch heut ins Künstlerhaus, um einen Augur in moderner Kunstgeschichte zu erfragen, und dann will ich sehen, was sich erfahren läßt.« –

      Mit der gleichen Post, die diesen Brief gebracht hatte, war auch ein anderer gekommen – an Martin. Und sein Inhalt versetzte den sonst so gemessenen Herrn in solche Erregung,


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