Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer
Читать онлайн книгу.d' Schildwachen aufgstellt hat am Wehr, hat er sich gahlings verfärbt, und seine Knie haben auslassen. Es wird gleich wieder besser, hat er gmeint und hat sich an Trunk Wein von der Fräuln geben lassen die so verschrocken war, daß ihr 's Gsicht ganz weiß worden is. A halbs Stündl hat er noch ausghalten. Nacher hat ihn 's Fräuln heimgführt auf'm Muli. Und da hat's kein Helfen nimmer geben. Lungenentzündung, hat der Doktor gsagt. Die ganze Nacht sind d' Leut ums Haus rum gstanden und haben gmeint, es müßt und müßt ihm wieder besser gehn. Auf Mittag um elfe hat er sein letzten Schnaufer gmacht. Und der Doktor hat mir gsagt: so hätt er noch nie kein Menschen net sterben sehen! Im ärgsten Fieber hat er die Bsinnung net verloren, hat bloß allweil dös arme Frauerl tröstet, hat plauscht mit'm Büberl, als ob gar nix wär, und 's Fräuln hat er allweil bei der Hand ghalten und hat's anglacht ein ums andermal. Z'letzt hat er noch von seim Gartl draußen am Sebensee gredt. Und dös sind seine letzten Wörtln gwesen: ›Meine Blumen!‹ Nacher hat er aufgschnauft und d' Augen zugmacht wie einer, der weiß: jetzt fahr ich grad auf in Himmel, jetzt geht's mir gut!«
Ettingen sagte leise vor sich hin: »Wer so zu leben wüßte, um sterben zu können wie dieser Mann!«
»Ja, Duhrlaucht, recht haben S'! So sollt sich der Mensch sein Leben einrichten, daß er d' Augen zumachen könnt in jeder Stund und lachen dabei! Aber der Mensch is so viel dumm. Und leben heißt narrisch sein. Was den richtigen Wert hat, schlagt man um kein Kreuzer net an, und für jeden nixigen Pfifferling legt man seim Leben a Zentnergwicht auf'n Buckel. Bagaschi überanand! Und ich ghör selber dazu!«
Der Pfad hatte im Wald auf eine Höhe geführt. Man sah in ein schmales Tal hinunter, aus dem drei große Weiher mit sonnglänzendem Spiegel durch die Bäume heraufleuchteten. Ein sanftes Murmeln klang von den Teichen her wie das Geplätscher vieler Quellen.
Der Förster blieb stehen und spähte durch den Wald hinunter. »Da, Duhrlaucht! Da schauen S' abi: bei die Ursprüng drunten malt d' Fräuln Petri an ihrem Taferl!«
Ettingens Augen leuchteten auf, und ohne ein Wort zu sagen, stieg er rasch durch den Wald hinunter gegen die Weiher.
Neuntes Kapitel
Als der Wald ein wenig lichter wurde, konnte Ettingen zwischen den Weihern ein großes Blockhaus sehen, eine Schilfhütte, und am Ausgang des schmalen Tales ein villenartiges Gebäude.
Das wäre die Fischzuchtanstalt, erklärte der Förster und meinte: »Weil wir schon grad da sind, dös müssen S' Ihnen anschauen, Duhrlaucht! Wie die jungen Fischerln gfüttert und aufzogen werden, dös is lieb zum Betrachten. Wenn S' Lust haben, lauf ich und schau, daß ich an Fischknecht find, der Ihnen rumführt.« Er wartete eine Antwort nicht ab und eilte schräg durch den Wald davon.
Ettingen blieb unter den letzten Bäumen stehen. Doch er schien kein Auge für das liebliche Bild des kleinen Tals zu haben. Und das hätte doch einen Blick verdient. Von stillem Fichtenwald begrenzt und von blumigen Grasborten umzogen, lagen drei Weiher mit glitzernden Spiegeln stufenförmig übereinander, so daß sich aus dem einen das Wasser mit blitzendem Gefäll in den anderen ergoß. Weiße Seerosen und grüne Blätter schwammen in sachter Bewegung im Wasser, und bald hier, bald dort sprang eine silberne Forelle auf.
Vom obersten Weiher zog sich gegen den Wald eine schräge Felswand hin, die in allen Farben schimmerte und gleich einem Sieb von hundert Löchern durchbrochen war, aus deren jedem ein weißes Brünnlein sprudelte. Dieses sonnige Waldidyll mit allem Gefunkel und Lichtgezitter des rauschenden Wassers gab ein Bild, das einen Künstler zur Nachgestaltung reizen konnte. Und Lolo Petri saß auch vor der Staffelei so ganz in ihre Arbeit vertieft, daß sie die Schritte nicht hörte, die sich ihr näherten.
Sie trug jenes ländliche Gewand, das sie damals an jenem ersten Abend getragen hatte, im Tillfußer Wald.
Ettingen war dich zu ihr herangetreten und sah ihr über die Schulter auf die kleine Leinwand, die einen Teil der Felsplatte mit den sprudelnden Quellen in fast vollendeter Arbeit zeigte; es war kein Bild, das hier entstehen sollte – nur ein Versuch, das Lichtgefunkel des über die rauhen Felsformen rinnenden Wassers festzuhalten. Und dieser Versuch war ihr gelungen. Wie diese Farben leuchteten! Wie sie zitterten und zu rinnen schienen! Ettingen staunte über die Kraft des Lichtes und über die Wahrheit in dieser verblüffenden Wiedergabe der Natur. Wie hatte dieses Mädchen ihm sagen dürfen, daß sie keine Künstlerin wäre? Hatte sie das aus übertriebener Bescheidenheit getan? Das sah ihr nicht ähnlich. Also legte sie einen überstrengen Maßstab an sich selbst, während sie von anderen Menschen so nachsichtig dachte? Oder kannte sie ihr eigenes Talent nicht? Sollte ihr Vater dafür kein Auge gehabt, ihr das nie mit einem Worte gesagt haben? Denn sie war doch seine Schülerin? Bei diesem Gedanken fiel ihm auf, daß ihre Art zu malen auch nicht die leiseste Ähnlichkeit mit der Art des Vaters hatte. Da war nichts Absonderliches und Befremdendes, keine erträumte Farbe, keine fabulierte Linie. Was die Leinwand zeigte, war nichts anderes als eine treue Wiederholung der Natur.
Plötzlich, als hätte sie seinen Atem gehört oder seine Nähe empfunden, blickte sie auf. Leichte Röte huschte ihr über die Wangen, und sie erhob sich.
»Herr Fürst –«
Er grüßte und sah ihr in die Augen, noch ganz unter dem Eindruck, den er aus ihrem Hause mit fortgetragen hatte und der ihm von der Erzählung des Försters zurückgeblieben war. »Sehen Sie, Fräulein, damals am Sebensee, das war nicht umsonst gesagt: Auf Wiedersehn!«
Sie hatte nach der ersten leichten Verwirrung ihre ruhige Sicherheit wiedergefunden und reichte ihm die Hand. »Ja! Und heute weiß ich auch, wer Sie sind. Jetzt hab es noch an jenem Morgen erfahren, von einem Ihrer Jäger. Und dann war's mir leid, daß ich Ihren Namen überhörte. Hätte ich damals am Sebensee gewußt, wer Sie sind, dann hätt ich die gute Gelegenheit gleich benutzt und hätte eine Bitte ausgesprochen, mit der ich ohnehin zu Ihnen kommen mußte.«
»Zu mir? Mit einer Bitte? Die ist bewilligt, liebes Fräulein, bevor ich sie kenne.«
»Sie ist auch nicht unbescheiden. Es handelt sich um unser Häuschen draußen am See. Papa hätte, bevor er damals vor acht Jahren baute, den Grund gerne gekauft. Aber das ging nicht. Der Grund ist ärarischer Boden. Papa mußte zufrieden sein, daß er wenigstens die Erlaubnis bekam, zu bauen, auf Widerruf und unter der Bedingung, daß der Jagdpächter seine Erlaubnis gäbe.«
»Und diese Erlaubnis meines Vorgängers soll ich wiederholen?«
»Ja, ich bitte darum.«
Ettingen hielt noch immer ihre Hand in der seinen. »Schade, daß ich mein Plazet nicht mit irgendeiner besonderen Feierlichkeit erteilen kann! Solange ich Pächter der Jagd bin, und ich hoffe, das noch lange zu bleiben, sollen Sie ungestört bei Ihren Blumen wohnen.« Seine Stimme und seine Augen wurden ernst. »Und bei Ihren Erinnerungen!«
»Ich danken Ihnen.«
»Aber eine Bedingung muß ich stellen.«
Ihre Hand befreiend, blickte sie zu ihm auf.
»Die Bedingung, daß Sie gute Nachbarschaft mit mir halten wollen. Und daß es mir vergönnt ist, ab und zu ein Stündchen bei ihnen zu rasten und mich wohlzufühlen – bei Ihren Blumen?«
»Daß ich Ihnen das verwehren könnte«, sagte sie lächelnd, »das haben Sie doch nicht im Ernst gemeint?«
»Nein! Aber Sie stehen, Fräulein, und ich bitte sehr, daß Sie sich durch mich nicht in Ihrer Arbeit stören lassen. Darf ich Ihnen ein wenig zusehen?«
»Gern. Ich fürchte nur, Sie werden dabei nicht viel zu sehen haben.« Sie nahm die Palette und ließ sich vor der Staffelei auf den kleinen Feldstuhl nieder.
Als er sie eine Weile schweigend beobachtet hatte, wie sie aufmerksam die Felswand mit den Quellen betrachtete und dann die kleinen weißen Lichter in den Goldglanz des fließenden Wassers setzte, sagte er: »Wissen Sie auch Fräulein, daß Sie sich neulich vor mir verleugnet haben?«
»Ich?