Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer

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Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer - Ludwig  Ganghofer


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Fräulein, ich bitte!« Er nahm ihre Hände. »Und das ›Schweigen‹ dort wollen wir gegen die Wand drehen.«

      »Weshalb?«

      »Es hat in Ihnen die Erinnerung an einen Kummer Ihres Vaters geweckt. Ich weiß nicht, was ich dafür gäbe, wenn Sie das Bild nicht bei mir gesehen hätten! Aber wissen Sie, weshalb ich es kommen ließ? Weil meine erste Begegnung mit Ihnen mich an dieses Bild erinnerte. Da draußen, im Tillfußer Forst! Wissen Sie noch? Jener stille, wundervolle Abend im Schweigen des Waldes? Wie Sie damals geritten kamen und Ihre Augen so tief und ruhig blickten – das war schön! Und weil ich das wieder sehen wollte, hab ich mir das Bild kommen lassen, an das ich bei unserer Begegnung denken mußte. Aber das Bild? Nein! Das ist etwas anderes. Sie haben recht: ich trug in die Auffassung dieses Bildes etwas hinein, was freundlicher und milder ist. Das ist so, wie Sie sind. Und diese Erinnerung, die ich in mir bewahre, vertausch ich nicht gegen alle künstlerische Größe dieses Bildes da!«

      Wortlos stand sie vor ihm, von dunkler Glut übergossen.

      Da tappte der Förster ins Zimmer, und als er sah, daß Ettingen die Hände des Mädchens in den seinen hielt, sagte er lachend: »No also, da kann ich ja gleich mitgratalieren, daß die Gschicht im Griesfeld so glimpflich abgangen is!« Er pries den guten Schutzengel, den der »kleine Herr Petri« haben müsse, und rief dem Patienten von der Schwelle des Schlafzimmers ein paar lustige Worte zu. Aber bei aller Freude, die er über den glücklichen Ausfall der »Gschicht« zum besten gab, fuhr ihm doch immer wieder der Gedanke an die »ausgrutschte« Treibjagd durch den Kopf. Auch während der Mahlzeit sang er noch immer dieses Lied seines Jägerschmerzes: »Drei Hirsch! Sakra, sakra! Drei Hirsch hätten wir haben können! Drunt in der Hütten hockt der Pepperl und macht an Kopf – so hab ich ihn meiner Lebtag noch net gsehen! Wie der sich kränken muß um die drei Hirschen! Dös muß schon schauderhaft sein! Aber Ihnen, Duhrlaucht, merkt man gar nix an. Sie müssen die drei Hirschen leicht verschmerzt haben.« Er fuhr sich mit der Serviette über den Schnauzbart und lachte. »Gwiß wahr, Duhrlaucht, ausschaun tun S' wie 's Leben, und die gsunde Freud lacht Ihnen aus die Augen raus! Gelt, dös müssen S' eingstehn: unser Lüftl daheraußen, dös schlagt Ihnen an!«

      »Ja, lieber Förster! Hier im Bergwald bin ich gesund geworden an Leb und Seele! Glücklich und froh!«

      »Hab ich's net gsagt! Unser Wald! Ui jögerl, unser Wald! Was der alles kann! Duhrlaucht, den müssen wir leben lassen! Unser Wald soll leben!« Lachend hob Kluibenschädl das Glas und stieß mit dem Fürsten an. »Was is denn, Fräulein Lo? Haben S' net ghört? Der Wald soll leben! Wär net ohne, wann Sie da net mittäten! Was is denn? Warum sind S' denn so mäuserlstad? Und heiß muß Ihnen sein! Sie brennen ja wie 's Kerzl von der Mutter Gottes! Soooo! Schön 's Glaserl nehmen! Schön anstößen! Derrrr Wald soll leben!« Die Gläser klangen zusammen, und das heitere Lachen wandelte sich zu einem froh belebten Geplauder, das die ganze Mahlzeit begleitete. Der Förster in seiner vergnügten Laune schmauste dazu mit so gesundem Hunger, daß die Platten leer wurden, obwohl ihn seine Tafelgenossen bei diesem »Schönwettermachen« mangelhaft unterstützten. Sie tranken auch kaum einen Tropfen, diese beiden, und dennoch waren sie in einer Stimmung, als wäre ihnen das Feuer eines köstlichen Trankes ins Blut gedrungen.

      Immer wieder erhob sich Ettingen, um nach dem kleinen Patienten zu sehen und jeden Teller zu begleiten, den Martin ins weiße Zimmer trug. Nach einem solchen Besuche gab er lachend das Bulletin aus: »Fortschreitende Besserung, der hohe Kranke erfreut sich eines gesegneten Appetits.«

      Als das Dessert genommen war, verabschiedete sich der Förster mit einem großen Kompliment und einem kleinen Schwips. Martin brachte die Post, aber Ettingen sagte: »Das hat Zeit, lege nur alles auf den Schreibtisch hinüber!«

      »Es ist eine Depesche dabei, Durchlaucht!«

      »So gib sie her!« Beim Anblick der sechs eng beschriebenen Blätter sagte Ettingen lachend: »Eine Depesche? Das ist ja ein Brief!« Kaum hatte er zu lesen begonnen, als er in freudiger Erregung aufblickte: »Und das muß heute kommen! Gerade heut!«

      »Sie haben eine gute Nachricht erhalten?«

      »Eine gute nur? Mehr als das! Eine Nachricht, die mir doppelte Freude macht, weil sie gerade heute kam, jetzt, während Sie bei mir sind. Denn diese Nachricht, Fräulein, ist auch eine Freude für Sie! Eine große Freude! Hören Sie!« In heißem Eifer schob er alles beiseite, was vor ihm auf dem Tische war, und faßte Lolos Hand. »Aber bevor ich lese, muß ich Ihnen sagen, wie ich zu dieser Nachricht komme. Damals, als ich Sie kennenlernte, draußen beim Sebensee, unter dem klingenden Baum, sprachen wir doch so viel von Ihrem Vater. Das weckte meine Teilnahme für sein Schicksal und seine Kunst. Und als ich heimkam, depeschierte ich an einen Freund in Wien, mir alles mitzuteilen, was er über Emmerich Petri erfahren könnte. Und das ist die Antwort!«

      Zitternd saß sie vor ihm, mit den Augen in banger Spannung an seinen Lippen hängend.

      Ohne ihre Hand zu lassen, begann er zu lesen: »Mein lieber Heinz –«

      »Das ist Ihr Name?«

      »Ja! – ›Mein lieber Heinz! Der Kunstaugur, dem ich die Nachforschungen nach Deinem Emmerich Petri übertrug, war soeben bei mir. Da Deine Anfrage etwas merkwürdig Dringendes hatte, nehme ich in meiner Freundschaft einen Anlauf zur Verschwendung und depeschiere Die ein ganzes Kapitel moderner Kunstgeschichte. Dein Petri stammt aus einer Allgäuer Bauernfamilie, verlor als Knabe die Eltern und bekam zum Vormund einen Pfarrer, der den Erlös des kleinen Bauerngutes auf den Acker der Kirche säen wollte und den begabten Jungen in eine geistliche Präparandenschule steckte. Mit neunzehn Jahren lief Petri der frommen Gesellschaft davon, ein Beweis, daß er zu denken und als Mensch zu empfinden verstand. Er wollte Künstler werden und besuchte zwei Jahre die Akademie. Seine Professoren sprachen ihm alles Talent ab und meinten, er hätte klüger getan, Kaplan zu werden. Mit zähem Ehrgeiz stellte er sich auf freie Füße, ging seine eigenen Wege, arbeitete mit eisernem Fleiß und begann ein paar Jahre später im Münchener Kunstverein auszustellen, ganz wunderliche Bilder, seltsam in Technik und Farbe, befremdend durch ihre Gedanken, kindlich und kühn zugleich, mit einer Vorliebe für fabulöse und didaktische Stoffe, in denen sich Hellenismus und freidenkendes Christentum eigenartig verschmolzen. Man verstand ihn nicht, schüttelte den Kopf und lachte. Ein Jahrzehnt lang kämpfte der Mann erbittert um Anerkennung. Schließlich scheint ihn die Geduld verlassen zu haben. Vor etwa vierzehn Jahren wanderte er mit seiner Familie aus München davon, niemand weiß, wohin. An seiner Kunst verzweifelnd, scheint er aufgegeben zu haben. Man hat seit jener Zeit kein Bild mehr von ihm gesehen. Das ist schade, denn seine Zeit wäre jetzt gekommen.‹«

      Ettingen unterbrach sich, drückte Lolos Hand und stammelte in Erregung: » Seine Zeit! Hören Sie, Lo!«

      Ein Lächeln irrte um ihren Mund; sie konnte nicht sprechen und nickte nur.

      Mit fliegender Stimme las er weiter: »Das ganze Unglück dieses Mannes war, daß er um zwanzig Jahre zu früh geboren wurde und mit den Anfängen seiner eigenartigen Kunst in eine Zeit der ausgetretenen Geleise kam. Die Zeit hat sich geändert, gründlich, und heute verlangt man von der Kunst vor allem Persönlichkeit. Da kommt gerade jener zur stärksten Geltung, der seine eigenen Wege geht und sich vom Gesicht der Durchschnittsmacher unterscheidet. Der Meistertitel wird vor Namen gesetzt, zu denen vor einem Jahrzehnt noch alle Welt den Kopf schüttelte. Einer von diesen spät Erkannten ist Hans Thoma, der auch die Spießrutengasse des Münchner Kunstvereins kennenlernte, und den sie heute mit Ehrfurcht den ›tiefen Träumer‹ nennen. Vor zwei Jahren, in einer kritischen Beleuchtung Thomas, erinnerte sich zum erstenmal ein Münchner Kritikus an einen ›Vorläufer des Meisters‹, an Emmerich Petri. Immer häufiger wurde in der letzten Zeit dieser Name genannt. Von Kunsthändlern wurde das eine und andere seiner Werke ausgegraben und wanderte von Stadt zu Stadt. Im vorigen Sommer erfuhr man, daß ein Frankfurter Kunstfreund, dessen Spezialität das Sammeln künstlerischer Originalitäten ist, im Besitze einer aus siebenundzwanzig Bildern bestehenden Kollektion des neuerkannten Meisters wäre, und im Herbst, Ende September, wurden diese Bilder zu einer ›Separatausstellung von Werken Emmerich Petris‹ nach Berlin gebracht, um die Kunstwelt in Aufruhr und Begeisterung zu versetzen.« Ettingen vermochte nicht weiterzulesen.

      Regungslos,


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