Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer

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Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer - Ludwig  Ganghofer


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der Schloßkirche zu Bernegg wurde das Paar getraut. Außer Frau Petri und Gustl waren nur Graf Sternfeldt und die Beamten des Fürsten bei der stillen Feier zugegen.

      Als die Nachricht von dieser Vermählung in alle Winde hinausflatterte und die Gesellschaft in Verblüffung und Aufruhr versetzte, waren die beiden Glücklichen schon auf dem Weg nach dem Süden.

      Bis Gustls Ferienwoche vorüber war, blieb Frau Petri auf Bernegg. Dann brachte sie den Buben nach Innsbruck und kehrte zurück in ihr still gewordenes Haus. Sei hatte es nicht anders gewollt.

      »Lo, ach ja, die lebt sich ein in das Neue und wird getragen von ihrem Glück. Aber ich alte Frau? Nein! Ich will bleiben, wo ich mich festgewachsen habe durch so viele Jahre, und wo noch alles mit mir lebt, was mein Glück gewesen ist! Und wenn ich einmal die Augen schließe, soll es dort sein, wo ich das letzte Lächeln meines Mannes sah.«

      Allen Bitten ihrer Kinder gegenüber blieb sie fest in diesem Entschluß. Und sie wäre doch nur im Winter allein! Die paar Monate!

      »Im Mai, da kommt ihr. Und dann sind wir beisammen, bis der Schnee fällt.«

      Trotz allem Troste, den sie mit heimbrachte, war ihr während der ersten Tage in dem leeren Haus das Herz zum Springen weh. Sie weinte so viel, daß ihr die Magd einmal sagte: »Frauerl, Frauerl, a bißl was sollten S' noch übriglassen von Ihrene Äugerln!« Diese Mahnung fruchtete nicht. Etwas anderes half. Eines Mittags wurde die Tür aufgerissen, Gustl flog herein und der Mutter jubelnd um den Hals. Ihm folgte ein junger Mann, der eine goldene Brille trug, aber sonst ein ganz vergnügtes Gesicht machte. Er stellte sich vor als Kandidat der Philologie und »Hofmeister des fidelen Jungen da«. Zu dieser Beglaubigung überreichte er einen Brief:

      »Capri, Hotel Quisisana, den 15. November.

      Liebes Muttl! Damit Dir der erste Winter so allein nicht gar zu hart wird, haben wir beschlossen, daß Gustl ein Jahr lang zu Hause lernen soll. Haben wir's recht gemacht? Ja?

      Deine glücklichen Kinder Heinz und Lo.«

      Jetzt war geholfen gegen Tränen und Schwermut. Denn Frau Petri hatte wieder eine Sorge, jeden Tag eine neue. »Ach Gott, der Bub im Schnee! – Ach Gott, der Bub auf dem Baum! – Gustl! Dein Halstuch!«

      Aber dieses Sorgenkind war zugleich auch ein Tröster für die Sorge, die in die Ferne wanderte.

      Wenn der Wintersturm die Mauern umbrauste und alle Fensterläden rasseln machte, dann hieß es: »Ach Gott! Bubi? Glaubst du, daß es in Capri auch so stürmt?«

      »Gottbewahre, Muttl! In Capri ist doch ewige Sonne und immerblaues Meer. Und weißt du, wenn das Meer auch ein bißchen aufgeregt wird, dann liegt doch Capri so hoch, daß die Wellen gar nicht hinaufkönnen. Weißt du, Capri, das ist eine riesig hohe Felseninsel! Ja, du, das war die Lieblingsinsel des römischen Kaisers Tiberius. Du, denk nur, den hat man bisher für den grausamsten unter den römischen Cäsaren gehalten. Aber nach den neuesten Forschungen ist das gar nicht wahr. Er soll sogar ein sehr guter Fürst gewesen sein. Aber weißt du, so gut wie Heinz war er doch nicht. Davon bin ich überzeugt.«

      »Ja! Gut ist er! Von Herzen gut! Lo hat ein rechtes Glück gemacht!«

      Und die Sorge war still – für einen Tag.

      Als es März wurde, gab's eine Aufregung, die durch Wochen dauerte. Die Bilder mußten verpackt werden, um nach München zu wandern. Ehe sie mit Beginn des Mai zur Ausstellung kamen, sollten sie reproduziert werden für die »Kollektion Emmerich Petri«, deren Verlag eine Münchener Kunsthandlung erworben hatte.

      Pepperl zimmerte die Kisten, der Förster half beim Packen, aber an jedem Bild, das in die Bretter gelegt wurde, mußte Frau Petri ihre beiden Hände haben. Und war das Tuch darüber gebreitet und der Kistendeckel zugenagelt, dann fielen zwei schwere Tränen dazu. Mit jedem dieser Bilder schickte sie ein Stück Leben, unruhvolle Tage und schlummerlose Nächte ihres Mannes in die Welt hinaus.

      »Ach ja! – Und die Menschen! – Die Menschen! – Sehen Sie, lieber Herr Förster, ich muß es ja tun, dem Namen meines Mannes zulieb. Aber mir wär's lieber, die Bilder blieben hier! Gefallen sie nicht, dann kränk ich mich wieder und weiß, daß ihm unrecht geschieht. Und haben sie Erfolg, dann tut's mir weh, weil die Ehrung zu spät kommt. Nein, nein, ich geh gar nicht hin zur Ausstellung! Nein, ich kann's nicht! – Ruhm? – Könnt er noch eine Stunde leben und sich an seinen Kindern freuen, das wär ihm lieber als aller Ruhm! Nein! Ich müßte nur weinen. Ich geh nicht hin.« –

      Sie hielt dieses Wort, ließ den Knaben mit seinem Hofmeister nach München reisen und blieb zu Hause, obwohl ihr Lo am ersten Tage der Ausstellung depeschierte: »Komm, Mutter, wir bitten Dich, komm, und freue Dich an Papas Erfolg. Das ist wie ein seliger Rausch für mich, vor seinen Bildern diese Menschen zu sehen, in ihrem Staunen und ihrer Andacht. Den stärksten Eindruck unter allen Bildern macht die ›Versuchung‹. Wie sich die Menschen vor diesem Bilde drängen, das mußt Du sehen. Komm doch, Mutter, komm! Wir alle bitten Dich, Heinz und Gustl und Deine Lo.«

      Als sie gelesen hatte, saß sie lange, lange, immer die Depesche vor sich, und ihre Zähren tropften nieder auf das Blatt.

      »Nein, Kinder, nein! Ich kann nicht. Freut auch nur, ach ja, und laßt mich daheim! Ich kann jetzt diese Menschen nicht jubeln sehen. Ich hab's doch mit erlebt, wie sie gelacht haben über ihn. Und wie er die Nächte lang in meinen Armen lag und weinte, als ob es ihm das Herz zerreißen möchte! Ach, ihr Menschen! Ihr Menschen! Euer Jubel macht ihn mir nicht mehr lebendig!... Nein! Ich geh nicht hin.«

      Die Depesche in der zitternden Hand, stieg sie ins Dachgeschoß hinauf, setzte sich im öden Atelier in einen Winkel und schluchzte.

      »Emmi, Emmi! Mein guter, guter Mann!»

      Ganz erschöpft vom Weinen lehnte sie den müden Kopf an die Mauer und blickte auf eine leere Wand, die ein großes Bild getragen hatte – das Viereck, über dem die Leinwand gehangen, war weiß, wie frisch getüncht, während ringsumher der Kalk vom Lichte schon vergilbt war. Ein großer Haken ragte aus der Mauer.

      Zu so viel hundert Malen hatte sie dieses Bild betrachtet, daß sie es auch jetzt noch sah, mit jeder Linie und jeder Farbe, als ob es wirklich vor ihren Augen hinge:

      Nicht die biblische Wüste. Sondern ein ödes, unwirtbares Seetal zwischen hohen Bergen. Dunkle, starrende Felswände mit kärglichem Wuchs in ihren Schrunden. Das Steinland um den See her wirr mit krüppelhaften Föhren überwuchert, aus deren kriechendem Gezweig verdorrte Stämme sich erheben. Ein einziger Baum nur grünt. Der ist seltsam gewachsen, wie in Form einer Harfe. Über allem ein grauer Abendhimmel, doch die Luft durchsichtig rein, wie nach einem Gewitterregen. Und da scheint alles Ferne nah, jede Farbe leuchtet, auch noch der Schatten und das Grau.

      Inmitten der Wildnis eine blühende Insel, wilde Blumen in Beete gesammelt. Hier hat die Hand eines Gärtners gerodet, gepflanzt und gehegt: der Heiland, der begonnen, die Wüste urbar zu machen. Von der Arbeit des Tages müd geworden, ruht er auf einem Stein. Das blaue Zwilchgewand umhüllt mit harten Falten einen von Entbehrung hager gewordenen Körper. Alles ist menschlich an diesem Leib, menschlich jeder Zug in diesem schmalen Gramgesicht, dessen bleiche Wangen vom vorfallenden Braunhaar halb bedeckt sind. Göttlich sind nur die stillen Augen mit ihrem reinen Licht und das milde Lächeln der Liebe.

      Ein Knabe, gekleidet wie ein armer Hirtenbub der Berge, mit kurzem Lederhöschen und nackten Füßen, mit grau zertragenem Hemd, durch dessen Risse die Brust und die mageren Ärmchen lugen, hat dem milden Gärtner eine ausgerissene Pflanze gebracht, das Stämmlein einer Bergrose, die Blätter schon halb verwelkt, die schwachen Wurzeln schon fast verdorrt.

      Der Heiland schlingt seinen Arm um den Knaben und nimmt aus seiner Hand die dürstende Pflanze. Da tritt der Versucher zu ihm – eine herrliche, kraftvolle Mannsgestalt, die nackten Glieder gebräunt, schwarzes Lockengewirr um den stolzen Kopf, die Stirn umschlungen von einer Krone, deren Zacken goldene Fäuste sind.

      »Du stiller Gärtner! Wirf die Liebe von dir! Sei stark wie ich, und alle Herrlichkeit der Welt ist dein!«

      Die Augen des Versuchers


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