Gesammelte Werke von Gustave Flaubert. Гюстав Флобер
Читать онлайн книгу.beschriebenes Stück Papier. Es war der Reklame-Aufsatz, den er für den »Leuchtturm von Rouen« verfaßt hatte. Er brachte ihn, um ihn dem Arzte zum Lesen zu geben.
»Lesen Sie ihn vor!« bat Bovary.
Der Apotheker tat es:
»Ungeachtet der Vorurteile, in die ein Teil der Europäer noch immer verstrickt ist wie in ein Netz, beginnt es in unserer Gegend doch zu tagen. Am Dienstag war unser Städtchen Yonville der Schauplatz einer chirurgischen Tat, die zugleich ein Beispiel edelster Menschenliebe ist. Herr Karl Bovary, einer unserer angesehensten praktischen Ärzte,….«
»Ach, das ist zu viel! Das ist zu viel!« unterbrach ihn Karl, vor Erregung tief atmend.
»Aber durchaus nicht! Wieso denn?«
Er las weiter:
»… hat den verkrüppelten Fuß….«
Er unterbrach sich selbst:
»Ich habe hier absichtlich den terminus techicus vermieden, wissen Sie! In einer Tageszeitung muß alles gemeinverständlich sein … die große Masse….«
»Sehr richtig!« meinte Bovary. »Bitte fahren Sie fort!«
»Ich wiederhole:
Herr Karl Bovary, einer unserer angesehensten praktischen Ärzte, hat den verkrüppelten Fuß eines gewissen Hippolyt Tautain operiert, des langjährigen Hausknechts im Hotel zum Goldnen Löwen der verwitweten Frau Franz am Markt. Das aktuelle Ereignis und das allgemeine Interesse an der Operation hatten eine derartig große Volksmenge angezogen, daß der Zugang zu dem Etablissement gesperrt werden mußte. Die Operation selbst vollzog sich wunderbar schnell. Bluterguß trat so gut wie nicht ein. Kaum ein paar Blutstropfen verrieten, daß ein hartnäckiges Leiden endlich der Macht der Wissenschaft wich. Der Kranke verspürte dabei erstaunlicherweise – wie der Berichterstatter als Augenzeuge versichern darf – nicht den geringsten Schmerz, und sein Zustand läßt bis jetzt nichts zu wünschen übrig. Allem Dafürhalten nach wird die vollständige Heilung rasch erfolgen, und wer weiß, ob der brave Hippolyt nicht bei der kommenden Kirmes mit den flotten Urlaubern um die Wette tanzen und seine Wiederherstellung durch muntere Sprünge feiern wird? Ehre aber den hochherzigen Gelehrten, Ehre den unermüdlichen Geistern, die ihre Nächte der Menschheit zum Heile opfern! Ehre, dreimal Ehre ihnen!
Der Tag wird noch kommen, wo verkündet werden wird, daß die Blinden sehen, die Tauben hören und die Lahmen gehen! Was der kirchliche Aberglaube ehedem nur den Auserwählten versprach, schenkt die Wissenschaft mehr und mehr allen Menschen. Wir werden unsere verehrten Leser über den weiteren Verlauf dieser so ungemein merkwürdigen Kur auf dem laufenden erhalten.«
Trotz alledem kam fünf Tage darauf die Löwenwirtin ganz verstört gelaufen und rief:
»Zu Hilfe! Er stirbt! Ich weiß nicht, was ich machen soll!«
Karl rannte Hals über Kopf nach dem Goldnen Löwen, und der Apotheker, der den Arzt so über den Markt stürmen sah, verließ sofort im bloßen Kopfe seinen Laden. Atemlos, aufgeregt und mit rotem Gesichte erreichte er den Gasthof und fragte jeden, dem er auf der Treppe begegnete:
»Na, was macht denn unser interessanter Strephopode?«
Der Strephopode wand sich in schrecklichen Zuckungen, so daß das Gehäuse, in das sein Bein eingezwängt war, gegen die Wand geschlagen ward und entzwei zu gehen drohte.
Mit vieler Vorsicht, um ja dabei die Lage des Fußes nicht zu verschieben, entfernte man das Holzgehäuse. Und nun bot sich ein gräßlicher Anblick dar. Die Form des Fußes war unter einer derartigen Schwellung verschwunden, daß es aussah, als platze demnächst die ganze Haut. Diese war blutunterlaufen und von Druckflecken bedeckt, die das famose Gehäuse verursacht hatte. Hippolyt hatte von Anfang an über Schmerzen geklagt, aber man hatte ihn nicht angehört. Nachdem man nunmehr einsah, daß er im Rechte gewesen war, gönnte man ihm ein paar Stunden Befreiung. Aber sowie die Schwellung ein wenig zurückgegangen war, hielten es die beiden Heilkünstler für angebracht, das Bein wieder einzuschienen und es noch fester einzupressen, um dadurch die Wiederherstellung zu beschleunigen.
Aber nach drei Tagen vermochte es Hippolyt nicht mehr auszuhalten. Man nahm ihm den Apparat abermals ab und war höchst über das verwundert, was sich nunmehr herausstellte. Die schwärzlichblau gewordene Schwellung erstreckte sich über das ganze Bein, das ganz voller Blasen war; eine dunkle Flüssigkeit sonderte sich ab. Man wurde bedenklich.
Hippolyt begann sich zu langweilen, und Frau Franz ließ ihn in die kleine Gaststube bringen neben der Küche, damit er wenigstens etwas Zerstreuung hätte. Aber der Steuereinnehmer, der dort seinen Stammplatz hatte, beschwerte sich über diese Nachbarschaft. Nunmehr schaffte man den Kranken in das Billardzimmer. Dort lag er wimmernd unter seinen schweren Decken, blaß, unrasiert, mit eingesunkenen Augen. Von Zeit zu Zeit wandte er seinen in Schweiß gebadeten Kopf auf dem schmutzigen Kissen hin und her, wenn ihn die Fliegen quälten.
Frau Bovary besuchte ihn. Sie brachte ihm Leinwand zu den Umschlägen, tröstete ihn und sprach ihm Mut ein. Auch sonst fehlte es ihm nicht an Gesellschaft, zumal an den Markttagen, wenn die Bauern drin bei ihm Billard spielten, mit den Queuen herumfuchtelten, rauchten, zechten, sangen und Spektakel machten.
»Wie geht dirs denn?« fragten sie ihn und klopften ihm auf die Schulter. »So recht auf dem Damme bist du wohl nicht? Bist aber selber schuld daran!« Er hätte dies oder jenes machen sollen. Sie erzählten ihm von Leuten, die durch ganz andere Heilmittel wiederhergestellt worden seien. Und zum sonderbaren Trost meinten sie:
»Du bist viel zu zimperlich! Steh doch auf! Du läßt dich wie ein Fürst verhätscheln! Das ist Unsinn, alter Schlaumeier! Und besonders gut riechst du auch nicht!«
Inzwischen griff der Brand immer weiter um sich. Bovary ward fast selber krank davon. Er kam aller Stunden, aller Augenblicke. Hippolyt sah ihn mit angsterfüllten Augen an. Schluchzend stammelte er:
»Lieber Herr Doktor, wann werd ich denn wieder gesund? Ach, helfen Sie mir! Ich bin so unglücklich, so unglücklich!«
Bovary schrieb ihm alle Tage vor, was er essen solle. Dann verließ er ihn.
»Hör nur gar nicht auf ihn, mein Junge!« meinte die Löwenwirtin. »Sie haben dich schon gerade genug geschunden! Das macht dich bloß immer noch schwächer! Da, trink!«
Sie gab ihm hin und wieder Fleischbrühe, ein Stück Hammelkeule, Speck und manchmal ein Gläschen Schnaps, den er kaum an seine Lippen zu bringen wagte.
Abbé Bournisien, der gehört hatte, daß es Hippolyt schlechter ging, kam ihn zu besuchen. Er bedauerte ihn, dann aber erklärte er, in gewisser Beziehung müsse sich der Kranke freuen, denn es sei des Herrn Wille, der ihm Gelegenheit gäbe, sich mit dem Himmel zu versöhnen.
»Siehst du,« sagte der Priester in väterlichem Tone, »du hast deine Pflichten recht vernachlässigt! Man hat dich selten in der Kirche gesehen. Wieviel Jahre lang hast du das heilige Abendmahl nicht genommen? Ich gebe zu, daß deine Beschäftigung und der Trubel der Welt dich abgehalten haben, für dein Seelenheil zu sorgen. Aber jetzt ist es an der Zeit, daß du dich darum kümmerst. Verzweifle indessen nicht! Ich habe große Sünder gekannt, die, kurz ehe sie vor Gottes Thron traten, (du bist noch nicht so weit, das weiß ich wohl!) seine Gnade erfleht haben; sie sind ohne Verdammnis gestorben! Hoffen wir, daß auch du uns gleich ihnen ein gutes Beispiel gibst! Darum: sei vorsichtig! Niemand verwehrt dir, morgens ein Ave-Maria und abends ein Paternoster zu beten! Ja, tue das! Mir zuliebe! Was kostet dich das? Willst du mir das versprechen?«
Der arme Teufel gelobte es. Tag für Tag kam der Seelsorger wieder. Er plauderte mit ihm und der Wirtin, und bisweilen erzählte er den beiden sogar Anekdoten, Späße und faule Witze, die Hippolyt allerdings nicht verstand. Aber bei jeder Gelegenheit kam er auf religiöse Dinge zu sprechen, wobei er jedesmal eine salbungsvolle Miene annahm.
Dieser Eifer verfehlte seine Wirkung nicht. Es dauerte nicht lange, da bekundete der Strephopode die Absicht, eine Wallfahrt nach Bon-Secours zu unternehmen, wenn er wieder gesund würde, worauf der Priester entgegnete, das sei nicht übel. Doppelt genäht halte besser. Er riskiere ja dabei nichts.