Gesammelte Werke von Gustave Flaubert. Гюстав Флобер

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Gesammelte Werke von Gustave Flaubert - Гюстав Флобер


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      »Laßt ihn doch nur in Ruhe!« sagte er zur Löwenwirtin. »Mit euren Salbadereien macht ihr den Mann nur verdreht!«

      Aber die gute Frau wollte davon nichts hören. Er und kein anderer sei ja an der ganzen Geschichte schuld! Und auch rein aus Widerspruchsgeist hing sie dem Kranken zu Häupten einen Weihwasserkessel und einen Buchsbaumzweig auf.

      Allerdings nützten offenbar weder der kirchliche noch der chirurgische Segen. Unaufhaltsam schritt die Blutvergiftung vom Beine weiter in den Körper hinauf. Man versuchte immer neue Salben und Pflaster, aber der Fuß wurde immer brandiger, und schließlich antwortete Bovary mit einem zustimmenden Kopfnicken, als Mutter Franz ihn fragte, ob man angesichts dieser hoffnungslosen Lage nicht den Doktor Canivet aus Neufchâtel kommen lassen solle, der doch weitberühmt sei.

      Canivet war Doktor der Medizin, fünfzig Jahre alt, ebenso wohlhabend wie selbstbewußt. Er kam und entblödete sich nicht, über den Kollegen geringschätzig zu lächeln, als er das bis an das Knie brandig gewordene Bein untersuchte. Sodann erklärte er, das Glied müsse amputiert werden.

      Er suchte den Apotheker auf und wetterte gegen »die Esel, die das arme Luder so zugerichtet« hätten. Er faßte Homais am Rockknopf und hielt ihm in seiner Apotheke eine Standpauke:

      »Da habt Ihr so ‘ne Pariser Erfindung! Solchen Unsinn hecken die Herren Gelehrten der Weltstadt nun aus! Genau so steht es mit ihren Schieloperationen, Chloroform-Betäubungen, Blaseneingriffen! Das ist alles Kapitalunfug gegen den sich der Staat ins Zeug legen sollte! Diese Scharlatane wollen bloß immer was zu tun haben. Sie erfinden die unglaublichsten Verfahren, aber an die Folgen denken sie nicht. Wir andern aber, wir sind rückständig. Wir sind keine Gelehrten, keine Zauberkünstler, keine Salonhelden. Wir haben unsre Praxis, wir heilen lumpige Krankheiten, aber es fällt uns nicht ein, Leute zu operieren, die kerngesund herumlaufen! Klumpfüße gerade zu hacken! Du lieber Gott! Ebenso könnte man auch einem Buckligen seinen Höcker abhobeln wollen!«

      Homais war bei diesem Erguß gar nicht besonders wohl zumute, aber er verbarg sein Mißbehagen hinter einem verbindlichen Lächeln. Er mußte mit Canivet auf gutem Fuße bleiben, dieweil dieser in der Yonviller Gegend öfters konsultiert wurde und ihm dabei durch Rezepte zu verdienen gab. Aus diesem Grunde hütete er sich, für Bovary einzutreten. Er vermuckste sich nicht, ließ Grundsätze Grundsätze sein und opferte seine Würde den ihm wichtigeren Interessen seines Geschäfts.

      Die Amputation des Beines, die der Doktor Canivet ausführte, war für den ganzen Ort ein wichtiges Ereignis. Frühzeitig waren die Leute schon auf den Beinen, und die Hauptstraße war voller Menschen, die allesamt etwas Trübseliges an sich hatten, als solle eine Hinrichtung stattfinden. Im Laden des Krämers stritt man sich über Hippolyts Krankheit. Ans Kaufen dachte niemand. Und Frau Tüvache, die Gattin des Bürgermeisters, lag vom frühen Morgen in ihrem Fenster, um ja nicht zu verpassen, wenn der Operateur ankäme.

      Er kam in seinem Wägelchen angefahren, das er selber kutschierte. Durch die Last seines Körpers war die rechte Feder des Gefährts derartig niedergedrückt, daß der Wagenkasten schief stand. Neben dem Insassen auf dem Sitzpolster stand eine rotlederne Reisetasche, deren Messingschlösser prächtig funkelten. In starkem Trabe fuhr Canivet bis vor die kleine Freitreppe des Goldnen Löwen. Mit lauter Stimme befahl er, das Pferd auszuspannen. Er ging mit in den Stall und überzeugte sich, daß der Gaul ordentlich Hafer geschüttet bekam. Es war seine Gewohnheit, daß er sich immer zuerst seinem Tier und seinem Fuhrwerk widmete. Er galt deshalb im Munde der Leute für einen »Pferdejockel«. Aber gerade weil er sich darin unabbringbar gleichblieb, schätzte man ihn um so mehr. Und wenn der letzte Mensch auf Gottes ganzem Erdboden in den letzten Zügen gelegen hätte: Doktor Canivet wäre zunächst seiner kavalleristischen Pflicht nachgekommen.

      Homais stellte sich ein.

      »Ich rechne auf Ihre Unterstützung!« sagte der Chirurg. »Ist alles bereit? Na, dann kanns losgehen!«

      Der Apotheker gestand errötend ein, daß er zu empfindlich sei, um einer solchen Operation assistieren zu können. »Als passiver Zuschauer«, sagte er, »greift einen so was doppelt an. Meine Nerven sind so herunter….«

      »Quatsch!« unterbrach ihn Canivet. »Mir machen Sie vielmehr den Eindruck, als solle Sie demnächst der Schlag rühren. Übrigens kein Wunder! Ihr Herren Apotheker hockt ja von früh bis abends in Eurer Giftbude. Das muß sich ja schließlich auf die Nerven legen! Gucken Sie mich mal an! Tag für Tag stehe ich vier Uhr morgens auf, wasche mich mit eiskaltem Wasser…. Frieren kenne ich nicht, Flanellhemden gibts für mich nicht, das Zipperlein kriege ich nicht, und mein Magen ist mordsgesund. Dabei lebe ich heute so und morgen so, wie mirs gerade einfällt, aber immer als Lebenskünstler! Und deshalb bin ich auch nicht so zimperlich wie Sie. Es ist mir total Wurst, ob ich einem Rebhuhn oder einem christlichen Individuum das Bein abschneide. Sie haben mir neulich mal gesagt, der Mensch sei ein Gewohnheitstier. Sehr richtig! Es ist alles bloß Gewohnheit….«

      Ohne irgendwelche Rücksicht auf Hippolyt, der nebenan auf seinem Lager vor Angst schwitzte, führten die beiden ihre Unterhaltung in diesem Stile weiter. Der Apotheker verglich die Kaltblütigkeit eines Chirurgen mit der eines Feldherrn. Durch diesen Vergleich geschmeichelt, ließ sich Canivet des längeren über die Erfordernisse seiner Kunst aus. Der Beruf des Arztes sei ein Priesteramt, und wer es nicht als das, sondern als gemeines Handwerk ausübe, der sei ein Heiligtumschänder.

      Endlich erinnerte er sich des Patienten und begann das von Homais gelieferte Verbandszeug zu prüfen. Es war dasselbe, das bereits bei der ersten Operation zur Stelle gewesen war. Sodann erbat er sich jemanden, der das Bein festhalten könne. Lestiboudois ward geholt.

      Der Doktor zog den Rock aus, streifte sich die Hemdsärmel hoch und begab sich in das Billardzimmer, während der Apotheker in die Küche ging, wo die Wirtin sowie Artemisia neugierig und ängstlich warteten. Die Gesichter der beiden Frauen waren weißer als ihre Schürzen.

      Währenddessen wagte sich Bovary nicht aus seinem Hause heraus. Er saß unten in der Großen Stube, zusammengeduckt und die Hände gefaltet, im Winkel neben dem Kamin, in dem kein Feuer brannte, und starrte vor sich hin. »Welch ein Mißgeschick!«

      seufzte er. »Was für eine große Enttäuschung!« Er hatte doch alle denkbaren Vorsichtsmaßregeln getroffen, und doch war der Teufel mit seiner Hand dazwischengekommen! Nicht zu ändern! Wenn Hippolyt noch stürbe, dann wäre er schuld daran! Und was sollte er antworten, wenn ihn seine Patienten darnach fragten? Sollte er sagen, er habe einen Fehler begangen? Aber welchen? Er wußte doch selber keinen, so sehr er auch darüber nachsann. Die berühmtesten Chirurgen versehen sich einmal. Aber das wird kein Mensch bedenken. Sie werden ihn alle nur auslachen und in Verruf bringen. Die Sache wird bis Forges ruchbar werden, bis Neufchâtel, bis Rouen und noch weiter! Vielleicht würde irgendein Kollege einen Bericht gegen ihn veröffentlichen, dem dann eine Polemik folgte, die ihn zwänge, in den Zeitungen eine Entgegnung zu bringen. Hippolyt könnte auf Schadenersatz klagen.

      Karl sah sich entehrt, zugrunde gerichtet, verloren! Seine von tausend Befürchtungen bestürmte Phantasie schwankte hin und her wie eine leere Tonne auf den Wogen des Meeres.

      Emma saß ihm gegenüber und beobachtete ihn. An seine Demütigung dachte sie nicht. Ihre Gedanken arbeiteten in andrer Richtung. Wie hatte sie sich nur einbilden können, daß sich ein Mann seines Schlages zu einer Leistung aufschwänge, wo sich seine Unfähigkeit doch schon mehr als ein dutzendmal erwiesen hatte!

      Er lief im Zimmer auf und ab. Seine Stiefel knarrten.

      »Setz dich doch!« sagte sie. »Du machst mich noch ganz verrückt!«

      Er tat es.

      Wie hatte sie es nur fertig gebracht – wo sie doch so klug war! – , daß sie sich abermals so getäuscht hatte? Aber ja, ihr ganzer Lebenspfad war doch fortwährend durch das traurige Tal der Entbehrungen gegangen. Wie vom Wahnwitz geleitet! Sie rief sich alles einzeln ins Gedächtnis zurück: ihren unbefriedigten Hang zum Lebensgenuß, die Einsamkeit ihrer Seele, die Armseligkeit ihrer Ehe, ihres Hausstandes, ihre Träume und Illusionen, die in den Sumpf hinabgefallen waren wie verwundete Schwalben. Sie dachte an alles das, was sie sich ersehnt, an alles, was sie von sich gewiesen, an alles, was sie


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