Gesammelte Erzählungen von Klabund. Klabund
Читать онлайн книгу.fallen ein, Meine Augen sind rosa entzündet.
Ich sitze im Keller und sehe des Nachts meine Uhr leuchten.
Manchmal ziehe ich sie auf, damit mein Herz nicht stehen bleibt.
Kleine Wanderung
1.
Ein rotbärtiger Bezirksfeldwebel erteilt mir höflich einen dreimonatlichen Urlaub. Auf dem Polizeipräsidium stellt man mir einen Paß aus. Ich lasse ihn vom österreichischen Konsul visieren. Der Konsul visiert ihn. Und mich. Er nimmt mich aufs Korn. Man beginnt auf der Stelle militärisch zu denken. Man erinnert sich seiner preußischen Abstammung und steht stramm. Das blaue Auge des Konsuls glänzt milder. Wien lächelt in seinem Blick. Und Budapest. Man rührt sich, ein wenig verlegen, und verneigt sich verbindlich. Der Konsul ist Ungar. Alle österreichischen Konsuln sind Ungarn. Ich denke an den Tag der Kriegserklärung Österreichs an Serbien. Es war in Leipzig. Wir zogen unter Führung eines Bäckergesellen nach dem österreichischen Konsulat. Wie in silberner Rüstung schritt der Bäckergeselle vor uns her, eine improvisierte schwarzgelbe Fahne schwingend. Der Konsul sprach vom Balkon. Oder aus dem Fenster. Er sang mehr als er sprach: viele O- und R-Laute. Es war ein Ungar. Der Bäckergeselle fuhr später, von der Menge bejubelt, in einer Droschke nach Hause. Er mußte noch zum Nachtbacken zurecht kommen.
2.
Ich packe meinen Rucksack. Es ist kein richtiger Rucksack: es ist ein kleiner federleichter brauner Tornister, der sich in der Stadt auch als Handkoffer tragen läßt. Es geht viel in ihn hinein. Ich ziehe ein paar starke Schuhe an und nun kann ich fortbleiben, so lange ich will: drei Tage ... oder drei Wochen ... oder drei Monate.
3.
Ein paar weiße Wolken sind über den blauen Himmel geklext. Es ist nicht so heiß wie die letzten Tage. Der Frühzug nach Garmisch ist besetzt wie sonst. Wie im Frieden. Tannengrüne Touristen klappern mit beschlagnen Stiefeln durch die Halle. Ältere wohlgekleidete Herren schreiten behutsam mit eleganten Handtaschen. Sie nehmen den Tag bedächtig wie ihre Handtasche zwischen die Finger. Frauen in lockeren Blusen lachen und winken. Es ist wie sonst. Der Zug geht pünktlich ab. Wie sonst. Er fährt keine Viertelminute länger wie sonst. Diese zwei Worte: wie sonst – sind sie nicht auch ein Erfolg deutscher Gewissenhaftigkeit und deutschen Gewissens, und nicht der geringste? Mag unser Sinn bedrängt oder unser Herz erschüttert sein: es ist doch (im Grunde) alles wie sonst. Die Welt. Und die Sonne. Und der Mensch. Auch im Frieden bebt die Erde. Speit der Vesuv Feuer. Verschlingt eine Springflut Galveston. Eisberge treiben auf dem Ozean. Und die Titanic sinkt. Automobile fallen in die Spree und die Seine. Raubmörder schleichen mit tückischen Messern durch verkommene Straßen. Eine Kugel tötet im Kriege. Und im Frieden ein Ziegelstein, ein Blitzstrahl oder ein böses Wort. Vielleicht sind Worte überhaupt viel mächtiger als Taten. Sie machen die Taten erst sichtbar. Was ist der größte Feldherr ohne den Ruhm? Seinen Ruhm schafft das Wort. Und das Wort schafft der Schreiber. Wer wüßte von Achilles, wenn Homer nicht wäre?
4.
Wir sind nicht schwächer wie sonst. Und nicht stärker.
Das Korn steht hoch. Rot blüht der Mohn. Wie Kinder in kleinen Röcken laufen die Birken am Wege. Der Starnberger See schlägt sanfte Wellen. Das Gebirge ist morgendunstig leicht in die Decke des Himmels gestickt. Die Sonne schwingt den goldnen Schild überm Herzogstand. Der See glitzert. Und es steigt ein Tag empor, wie es deren viele gab, und immer geben wird. Es gibt nur eine Sonne. Und sie scheint über Gerechte und Ungerechte: in Polen, in Flandern, in Italien, in New-York. Glaube niemand, er habe die Sonne gepachtet und sie sei engagiert, für ihn zu leuchten. Wir haben alle Platz an der Sonne.
5.
Da ist Murnau. Und der Staffelsee. Hier zweigt die Bahn nach Oberammergau ab. Schon fünf Jahre ist es her, daß sie die Passion spielten. Damals sprach man nur englisch in Oberammergau. Johannes, der Lieblingsjünger des Herrn, ging mit einem Buch herum: Do you speak english? und deklinierte: die Lady, der Lady ... Pontius Pilatus versuchte sich in einem verstörten Hochdeutsch. Christo hätten die Gentlemen nach der Vorstellung am liebsten die Pferde seiner Droschke ausgespannt, wenn er eine gehabt hätte.
Jetzt liegt Johannes vor Ypern und verwertet in anderer Weise wie früher seine englischen Sprachkenntnisse. Petrus hört in Petrikau die Hähne krähen ... und Magdalena weint ...
Mittenwald
Man liegt in Decken gehüllt auf der Veranda. Es ist zehn Uhr abends. Das Karwendel schwimmt wie ein großer Dampfer in Dunkel und Wolken. Am Tage sieht es wie ein Tier aus: wie eine riesige ruhende Kuh. Aus Mittenwald, aus dem Tale herauf, äugen zwischen niedrigen steinbelegten Dächern ein paar verschlafene goldene Lichter. Zuweilen leuchtet ein kleiner Mond wie mit einer elektrischen Taschenlampe über die Felsen am Karwendelabsturz. Als wolle er einen Verstiegenen suchen. Oder ein verscheuchtes Reh.
Von fern klingt eine Glocke: sehr hoch und leise. Wie ein Vogel zwitschert sie aus den Wäldern. Sie läutet schon jenseit der Grenze. Aus Scharnitz vielleicht. Oder ist es die Eisenbahn?
Ein Bach, eine Grille und ein Stern tönen.
Nebenan im Zimmer lacht ein Kind. Scheppernd und fast wie ein alter Herr.
Es wird immer dunkler, und man denkt an seine Mutter. So oft es dunkel wird, denkt man an seine Mutter. Am Morgen, wenn es wieder hell wird, denkt man an seinen Sohn. Daß man einen haben möchte: einen schlanken, blonden. Eine Brille soll er nicht tragen. Und Förster soll er werden. Oder Steward auf einem Ozeandampfer.
Ein Wind weht in den Bäumen auf. Die schmale Fahne am Giebel knattert.
Um vier Uhr kam die Nachricht, daß Brest-Litowsk fiel. Von den Hügeln wurde über das Tal hin Salut geschossen, den die Wände des Karwendel knallend zurückgaben. Dann läuteten alle Glocken im Tal. Das große Geläut! Es vermischte sich mit dem Geläut der vom Lautersee heimkehrenden Herden. So läutete es zugleich Krieg und Frieden.
Es schlägt elf Uhr. Ein paar Wolken fallen von den Bergen und es beginnt zu regnen ...
Neun Monate bist Du schon im Krieg, mein Bruder, neun Monate, und wir wissen so wenig von Dir. Siebzehn Jahre bist Du alt. Bei den ...ern stehst Du. Im Osten. Als Gefreiter. Von der Sekunda in den Krieg.
Deine Karten sind kurz wie Telegramme.
»Heute habe ich in der Bzura gebadet. Gruß, Hans.«
Oder:
»Auf der Verfolgung. Gestern 1600 Russen gefangen. Ganz Polen steht in Rauch und Brand. Hans.«
Lieber Bruder – wen hab ich wohl lieber als Dich! Du weißt es nicht, denn Du bist zu jung, es zu wissen. Nun hast Du den Sturm auf Warschau mitgemacht und liegst verwundet in einem Warschauer Lazarett. »Leicht verwundet an Kopf und Auge durch Schrapnellschuß,« schreibst Du.
Aber Du schreibst keine Adresse. Wie soll ich wissen, wo Du liegst, in welchem Lazarett und ob man Dir etwas schicken darf. Zigaretten. Oder Schokolade. (Die hast Du ja doch lieber.)
Wenn Dir diese Zeilen zu Gesicht kommen sollten, so schreib sofort Deine Adresse. Vergeßlicher Junge! Und denk einmal an Deinen Bruder, der immer an Dich denkt. Und dem Krieg und Du dasselbe ist ...
Herbst
Die vierzehn Tage, daß ich nicht draußen war, ist es Herbst geworden.
Knallgelbe Bäume stehen an den Wegen. Und andere ockerhell, wie Indianer. Sträucher blühen über und über violett oder brombeerblau oder ziegelrot.
Die