Gesammelte Erzählungen von Klabund. Klabund
Читать онлайн книгу.der polizeilich genehmigten und registrierten Motive ist gering: Mord aus Rache, Eifersucht, Erbschleicherei, Raubmord, Lustmord. Man ist bald am Ende. Wie: wenn es bei einzelnen von uns Motive für unsere Handlungen gäbe, die –- unbürgerlich, verwegen und merkwürdig – außerhalb jeder Berechnung stehen? Müßte ein solches Verbrechen bei einigermaßen geschickter Anlage nicht unentdeckt bleiben, da der Dietrich der üblichen Motivenlehre versagt? Diese Erkenntnis (aus der ein Reformversuch unserer Kriminalwissenschaft und unseres Strafrechtes herzuleiten wäre) dämmert gewiß nicht mir zum ersten Male und ist, irre ich nicht, auch schon in Fachzeitschriften diskutiert worden. Aber ich schweife ab. Ich wollte Ihnen noch eine kleine Geschichte aus dem ersten Balkankrieg erzählen. Die Geschichte illustriert anschaulich meine Thesen und leuchtet gleichsam mit einer Blendlaterne in die Höhle des Ewig-Ungewissen, das wir Seele nennen. Metaphysisch heißt sie – und liegt doch unter der Erde. Ihr Zugang ist durch Gestrüpp versperrt, durch das zur Nachtzeit zuweilen die Hoffnung der Sterne mit goldenen Augen blinkt und mit fernen Glocken läutet.
General S., der Führer unserer ersten Armee, erwies sich als ein ungewöhnlich befähigter Feldherr. Er leitete alle Operationen mit einer trotzigen und selbstsicheren Gelassenheit, die ihn auch in Augenblicken persönlicher Gefahr nicht verließ. Ich erinnere mich noch sehr gut (ich hatte die Ehre, dem Stabe des Generals S. anzugehören), wie ein feindlicher Flieger Bomben auf das Hauptquartier warf. Eine Anzahl Soldaten, Chauffeure und Pferde wurden mehr oder weniger schwer verwundet und getötet. Der General zuckte mit keiner Wimper. Er hob den Feldstecher und beobachtete aufmerksam den Aluminiumvogel, der erregt und zitterig über ihm kreiste.
Dem General S. ist der große Sieg bei L. zuzuschreiben, der auf die Theorie der unbedingten Vernichtungsstrategie aufgebaut, seinen Namen in der Kriegsgeschichte unsterblich machen wird. Ich war bei dieser Schlacht als persönlicher Adjutant zum General befohlen und verbürge mich für die Wahrheit der folgenden Anekdote. Sie ist früher zu Ende, als Sie glauben werden, und eigentlich mit einem Satz zu erledigen.
Der General war den ganzen Tag von einer lebhaften Unruhe befallen. Er saß am Kartentisch, zwirbelte an seinem Bart, sah alle fünf Minuten nach der Uhr, kurz: war sinnlich gereizt und erregt, wie ein junger Mann, der seine Geliebte erwartet. Seine Anordnungen gab er nachlässig und zerstreut. Rapport nahm er entgegen, als höre er gar nicht hin, und wir gerieten in Bestürzung und Furcht, ein uns unerklärliches Leiden, das vielleicht seine Entschlußfähigkeit und sein Dispositionstalent beeinträchtige, möchte den General plötzlich befallen haben. – Der Abend brachte uns einen vollkommenen Sieg. Beide feindlichen Flügel waren eingedrückt. Die Verluste des Feindes an Gefangenen und Kriegsmaterial ungeheuer.
Der General fuhr im Auto aufs Schlachtfeld und ritt zu einer kurzen Besichtigung bis zur ersten genommenen Stellung. Sein Gesicht hatte sich verklärt und erheitert. Seine Augen zeigten einen metallenen Glanz, den wir der Freude an dem eben errungenen Sieg zuschrieben. Seine Nervosität hatte völlig nachgelassen. Er tastete mit uninteressierten Blicken über ein paar gefallene Stafetten, einen Haufen Sandsäcke, ein paar tote Infanteristen. ›Gut, – gut!‹ sagte er, und dann ritten wir zurück. ›Wissen Sie, Leutnant,‹ er warf den Kopf zur Seite und griff in die Tasche, ›ich habe eben noch zu guter Letzt einen Brief erhalten.‹ – ›Von Hause?‹ wagte ich zu fragen. ›Von Hause. Ja. Ich bin so froh. Ich war den ganzen Tag unruhig. Ich habe gewartet auf den Brief – und da ist er.‹ Dann schwieg er und sah in den Horizont. Er seufzte befreit: ›Das Experiment ist gelungen.‹
Ich dachte an die gewonnene Schlacht und wollte den General von neuem beglückwünschen. Da neigte er die Stirn und sagte leise: ›Sie blüht …‹
Ich habe vom General später erfahren, was es mit diesen zwei, mir wie Ihnen im ersten Moment unverständlichen Worten auf sich hatte. Der General ist ein leidenschaftlicher Kakteenzüchter. Da hatte er eine kleine Kaktee zu Hause zurückgelassen, die ungewöhnlich schwer zu züchten und zu ziehen war. Ich kenne ihren botanischen Namen nicht oder habe ihn vergessen, denn ich beschäftige mich in meinen Mußestunden mit Ölmalerei, in der ich es zu einer gewissen Fertigkeit gebracht habe – die Kaktee mußte in diesen Tagen ihre erste Blüte erschließen. Es war ungewiß. Es war kaum zu vermuten und doch so süß zu hoffen. Das Experiment gelang. Die Kaktee blühte. Was war dem General der Ruhm der großen Schlacht? Die Hoffnung auf Unsterblichkeit? Der Dank des Vaterlandes? Er gab sie dahin leichten Herzens, erschüttert und beglückt von dem Ereignis einer blühenden Blume.«
Der Kriegsberichterstatter
Siegfried Silbermann, der schon den Buren-und den Balkankrieg als Kriegsberichterstatter der »Neuen Freien Trompete« mitgemacht hatte, wurde telegraphisch in das Hauptquartier von Exzellenz Eydtkuhnen, Oberbefehlshaber Nordost, berufen – jenes Feldherrn, der erst anläßlich dieses Krieges in so glänzende Erscheinung getreten ist.
Schon ehe er das Auto des Pressestabes bestieg, wurden Siegfried Silbermann mit einem dunklen Tuch wie einem Parlamentär die Augen verbunden, damit er auf der Fahrt nach der Front ja nichts zu sehen bekäme, was sich im geringsten als militärisches Geheimnis darstellen und von ihm vielleicht als Anlaß zu einer seiner hinlänglich bekannten Plaudereien benützt werden könne. Es gehört zur seelischen und beruflichen Eigenschaft des Kriegsberichterstatters, daß er nichts, aber auch rein gar nichts vom Kriege sieht: hin und wieder nur wird ihm die Binde abgenommen, und er fühlt sich erstaunt vor einem toten Pferd oder einem niedergebrannten Haus. Darüber darf er dann als »Augenzeuge« berichten. Wendet er seinen Blick von dem toten Pferd oder dem niedergebrannten Haus ein wenig empor und in die Weite, so sieht er nichts als ein graues, ödes, endloses Feld, das sich viele Meilen bis an den Horizont erstreckt. Das nennt er dann die »Leere des modernen Schlachtfeldes«.
Siegfried Silbermann schlug die Augen auf und fand sich einem ältern, stattlichen Herrn gegenüber, dessen Brust mit Orden und Ehrenzeichen übersät war. Breite rote Feldmarschallsbiesen funkelten herrisch an seinen gestrafften Beinen. Er zwirbelte nachdenklich an seinem braunmelierten, altertümlichen Bart.
Silbermann zog seinen Notizblock und notierte: martialisch.
Exzellenz Eydtkuhnen, der große Feldherr – denn er war es in eigener Person – legte seine große, knochige Hand schwer auf Siegfried Silbermanns schwankende Schulter.
Silbermann zitterte.
Er feuchtere den Tintenstift leise an der Zunge an und notierte: leutselig.
Silbermann wagte endlich, die nähere Umgebung prüfend zu betrachten.
Um ein riesiges rauchiges Lagerfeuer hockte malerisch gekrümmt eine Anzahl höherer und niederer Offiziere. Es war der Stab des Feldherrn. Sie rauchten eine Pfeife, die reihum ging: die sogenannte Friedenspfeife. Über dem Feuer wurde ein Ochse von mehreren Ordonnanzen am Spieß gedreht. Man traf Vorbereitungen zum Mittagsmahl.
»Wollen Sie mit uns speisen?« sagte Exzellenz Eydtkuhnen. Des Feldherrn Stimme rollte in gutturalen Kehllauten.
Silbermann notierte: nicht nur die Tatze, nein, auch die Stimme des Löwen …
»Ich habe mit dem feindlichen Heerführer ausgemacht, daß die Schlacht erst nach dem Mittagessen, sobald der Kaffee abserviert ist, beginnt.«
Silbermann notierte: humane Kriegführung. Es war nur ein Feldstuhl vorhanden.
Silbermann notierte: spartanische Lebensweise …
»Wollen Sie sich nicht setzen?« lächelte Exzellenz Eydtkuhnen. »Das Schreiben und Denken im Stehen ermüdet.«
»Bitte, nach Ihnen, Exzellenz«, verbog sich Silbermann devot.
»Oh,« wehrte die Exzellenz ab, »ich stehe schon so lange im Felde, daß ich ruhig noch ein wenig länger stehen kann.«
Silbermann notierte: Beharrlichkeit … Ausdauer … germanische Zähigkeit … Oben in den Lüften begann es zu pfeifen und zu surren, zu schnauben und zu knallen.
Exzellenz Eydtkuhnen murmelte erheitert: »Feindliche Aeroplane… sie