G. K. Chesterton: Krimis, Aufsätze, Romane und mehr. Гилберт Кит Честертон
Читать онлайн книгу.großen Quadern des Flußquais kamen Syrne so düster als gigantisch vor. Klobig und schwarz gegen den auffammenden Tag. Er vermeinte ge-rad, an der Riesensteintreppe eines ägyptischen Palastes zu landen – um dann die trotzigen Throne schrecklicher heidnischer Könige zu erschüttern. Er sprang aus dem Kahn auf eine schaumbedeckte Stufenwehr und stand da, ein düsteres dünnes Männchen, mitten unter himmelan getürmtem Mauerwerk. Die beiden Leute kehrten um und strebten wieder auf den Strom hinaus … sie hatten nicht ein Sterbenswörtldin all die Zeit mit ihm gesprochen…
Das fünfte Kapitel.
Das Festmahl unter hundert Ängsten
Erst war es Syme, als gehörte die Steintreppe einer schier aus aller Welt liegenden Pyramide an. Aber noch bevor er die Spitze erstiegen, war da auf einmal ein Mensch, lehnte sich an ein Geländer und sah geradaus über den Fluß hin. Ein Mensch – ein ganz herkömmlicher, üblicher Mensch, einen Seidenhut auf, in einem zweireihigen Gehrock mit Schößen, der mit der Mode mitlaufen konnte, und eine rote Blume im Knopfloch. Der, wie ihm Syme Schritt vor Schritt näher kam, nicht eine Miene verzog … Wie Syme nah genug war, konnte er durch das trübe, blasse Morgenlicht bemerken, daß dieses Menschengesicht lang war, blaß und gescheit, und nach unten zu, gerad um die Kinnwende, in einen dünnen, dunklen Spitzbart auslief, sonst überall sauber rasiert. Und daß dies Schnitzelchen Haar beinah wie ein Versehen war, so sehr war alles übrige auf das penibelste rasiert – in diesem scharf geschnittenen, asketischen, auf eigene Weise vornehmen Gesicht … Und dann zogs Syme noch näher – und er ersah all dies noch genauer – und die Gestalt rührte sich noch immer und immer nicht.
Zuerst fiel es Syme instinktiv bei, daß dies der Mann sein müsse, den er treffen solle. Dann aber, wie der Kerl sich gar nicht muckste, schloß er: daß er es nicht sein könne. Und aber zuletzt wieder wurde ihm gewiß, daß der doch etwas mit seinem verrückten Abenteuer zu tun haben müsse, denn er verhielt sich regungsloser, als sich jeder x-beliebige Unbekannte und Unbeteiligte verhalten hätte, dem man derart beinah auf die Zehen trat. Er war so reglos als wie aus Wachs und schien auch gerad solche Nerven wie eine Wachsfigur zu haben. Syme schaute immer und immer und immer wieder in dies blasse, vornehme, angenehme Gesicht – aber dieses Gesicht – sah je und je und je über den Fluß hinüber. Da nahm Syme das Papier von Buttons aus der Tasche, das seine Wahl beurkundete, und hielt es dem schönen Schwerenöter unter die Nase. Und da lächelte der Mann; und dies Lächeln konnte machen, daß dich der Schlag traf; denn dieses Lächeln war immer nur auf einer Seite, – es stieg die rechte Backe empor und die linke Backe herunter.
An und für sich würde das einem ja keinen solchen Schrecken einjagen. Es gibt genug Leute, die alle einen solchen nervösen Tic, ein solches verdrehtes Lächeln haben. Und darunter sind welche, denen das sogar reizend ansteht. Aber in den Umständen, in denen Syme sich befand – ums Morgengrauen auf so tödlichem Sendbotenweg über triefende ungeheuere Steinstufen – da konnte einem das schon ein wenig auf die Nerven gehn. Der schweigende Muß, der schweigende Mensch mit dem klassischen Gesicht, der Totentanz der vergangenen Nacht und dazu dieses krumme Lächeln … Dieser Lächelkrampf währte übrigens nur einen Moment – und das Gesicht des Mannes verfiel wieder in seine harmonische Melancholie. Und der Mann sprach – frei von jedem Unterton eines Mißtrauens oder Verdachts – gerad wie zu einem alten Kameraden. »Wenn wir in der Richtung auf Leicester Square gehen«, sprach er, »werden wir just zum Frühstück da sein. Sonntag will immer, daß recht früh gefrühstückt wird… Haben Sie geschlafen?«
»Nein«, sagte Syme.
»Ich auch nicht«, antwortete der Mann in ganz alltäglichem Ton. »Ich werde versuchen … und mich nach dem Frühstück ein wenig aufs Bett legen.«
Durchaus gebildet, fein klangs – und doch so tot, daß es auffallend mit seinen fanatischen Gesichtszügen kontrastierte. Es schien fast: als ob all seine freundlichen Worte nur aus lebloser Konvenienz wären – und sein wirkliches Leben der Haß sei. Nach einer Pause sprach der Mann weiter:
»Selbstverständlich sagte Ihnen der Sekretär der Filiale alles, das sich irgend nur sagen ließ. Eines aber konnte er Ihnen nicht sagen: und das ist der letzte Einfall des Präsidenten. Denn seine Einfälle schießen aus ihm heraus, wie ein Wald in den Tropen. Da Sie das also nicht wissen können, so sage ich Ihnen, daß sein neuester Einfall darin besteht: uns zu verbergen, indem wir uns überhaupt nicht mehr verbergen. Ursprünglich tagten wir natürlich ebenso unterirdisch wie Ihre Filiale. Dann wollte Sonntag, daß wir ein Vereinslokal in einem gewöhnlichen Restaurant mieteten. Wo kein Versteck ist, sagte er, da ist auch keine Jagd. Nun … er ist ein einziger Mensch auf Erden … ich weiß; aber zuweilen ist mir, als ob sein ungeheurer Kopf ein bißchen verdreht würde mit dem Alter. Denn … augenblicklich . . tun wir uns direkt vor aller Oeffentlichkeit hervor. Wir frühstücken auf einem Balkon – auf einem Balkon, bitte – der direkt auf Leicester Square herausgeht.«
»Und was sagen die Leute dazu?« fragte Syme. »Das ist furchtbar einfach, was sie sagen«, antwortete sein Führer, »wir seien lauter fidele Häuser, die behaupteten, daß sie Anarchisten seien.« »Das scheint mir eine sehr nette Idee«, sagte Syme.
»Nett!? Der Teufel hole Ihre Dreistigkeit! Nett!« schrie da mit einem Male der andere laut auf, und das war ebenso erschreckend und aus allem Zusammenhang heraus wie jenes schiefe Lächeln. »Sowie Sie Sonntag auch nur eine tausendstel Sekunde lang gesehen haben werden, werden Sie sich hüten mit nett!«
Unterdem kamen sie aus einer engen Straße heraus, und da lag Leicester Square in vollem frühem Sonnenlicht. Du verstehst es eigentlich nie so recht, wieso dieser Platz so ausländisch, so gar nicht insular, sondern so gar viel kontinental aussehen soll. Du weißt nicht, ob es nun sein fremdes Aussehen ist, das die Fremden anzog, oder obs die Fremden sind, davon er sein fremdes Aussehen erhielt. Heute aber, diesen einen besonderen Morgen, war die Wirkung eine besonders lebendige und unmittelbare. Der offene Platz … die Sonne … die Statue … das Sarazenische des Umrisses der Alhambra …, es war die Kopie eines französischen oder spanischen öffentlichen Platzes. Und diese Wirkung ward, in Syme aufs neue zur Sensation, die in so vielerlei Form durch sein ganzes Abenteuer ging, zu der Sensation: ich geriet da in eine neue; Welt …! Tatsache war, daß er rund um diesen Leicesterplatz herum seit seinen Knabenjahren überall schlechte Zigarren einkaufen gegangen war – – aber als er nun um die Ecke bog und die Bäume und die maurischen Kuppeln sah, hätte er schwören mögen, er bog in einen unbekannten Placede Soundso oder anderswo in irgendeiner fremden Stadt ein.
Aus einem Winkel des Platzes sprang eine Art Ecke eines guten, aber stillen Hotels heraus, das mit seiner Front einer Seitenstraße zugehörte. Und ein breites, bis auf den Boden der Etage herabgehendes Fenster war da ausgehauen – das Fenster eines Kaffeehauses offenbar. Und vor der Fenster-Türe, auf den Platz heraus, ein lebensgefährlich ausgehängter Balkon, groß genug, um einen Speisetisch drauf zustellen. Und in der Tat – da stand ein Mittagstisch drauf, oder, um es richtiger zu sagen, ein Frühstückstisch. Und rund um den Frühstückstisch, erschimmernd im Sonnenlicht und geradaus im Freien und über der Straße und über dem Platz, eine Gruppe von lärmenden redseligen Herren, alle auf das neumodischste angezogen, mit weißen Westen und kostspielig gefüllten Knopflöchern. Manche ihrer Spaße hörte man schier über den ganzen Platz. Und da lächelte der ernste Sekretär sein unnatürlich Lächeln, und da wußte Syme: diese laute öffentliche Frühstücksgesellschaft war das stille geheime Konklave der Europäischen Diener des Dynamits.
Dann, wie Syme dies Bild weiter anstarrte, sah er etwas, das er erst nicht sehen konnte. Das er erst nicht – übersehen konnte, indem es zu weitläufig war … Am Balkonende, das Syme zugewendet war, da verbaute gut den halben Teil der Aussicht der Rücken – eines Berges von einem Manne! Als Syme dies Ungetüm gewahrte war sein erster Gedanke der: jetzt stürzt – vor lauter Gewicht –- der steinerne Balkon ein. Und all die Ungeheuerlichkeit bestand nicht etwa ausschließlich in einer unnormalen Länge und ganz und gar unglaublichen Feistigkeit: dieser Mann war von absoluten Proportionen und nur eben meisterlich in Ueberüberlebensgröße so wie eine Kolossalstatue ausgehauen. Sein