G. K. Chesterton: Krimis, Aufsätze, Romane und mehr. Гилберт Кит Честертон
Читать онлайн книгу.Strafe, Tugend bringt Lohn‹? In der Rede des Kameraden Gregory, da war beileibe keine Silbe, der nicht ein Kurator mit Wollust zugehört hätte (hört, hört!). Aber ich bin kein Kurator (lauter Beifall), und ich habe keineswegs mit Wollust zugehört (erneuter Beifall). Der Mann, der das Zeug zu einem guten Kuratus hat, hat absolut nicht das Zeug zu einem kühnen, gewaltigen und furchtbaren Donnerstag (hört, hört!).
»Kamerad Gregory erzählte uns, in leider nur allzu abbittenden Tönen, wir seien gar nicht die Feinde der bestehenden Gesellschaftsordnung. Ich aber behaupte: wir sinds! – wir sind die Feinde der herrschenden Gesellschaftswillkür … um so schlimmer für sie. Wir sind die Feinde der heutigen Gesellschaftstyrannei, weil die heutige Gesellschaftstyrannei der Feind der Menschheit ist … und das ihr ältester, ihr erbarmungslosester Feind (hört, hört!). Kamerad Gregory erzählte uns, mit eben jener Armesündermiene, wir wären keine Mörder. Wir sind auch keine Mörder, … wir sind Scharfrichter (mächtiger Beifall).«
Derweilen Syme stand und sprach, saß Gregory da und konnte nichts als ihn anstieren – nichts als ihn blödsinnig anstieren. Jetzt aber in der Pause rang es sich, aus seinem wie verstopften und geknebelten Munde – automatisch, tot:
»Sie verfluchter Heuchler Sie!«
Syme suchte stracks den entsetzlichen Blick dieser Augen und hielt ihm furchtlos stand mit seinen eigenen himmelblauen Aeugelein und sagte würdig:
»Kamerad Gregory hat mich soeben einen Heuchler genannt. Er weiß so genau wie ich, daß ich mir meines Eides bewußt bin und nichts als meine Pflicht tue. Ich nehme kein Blatt vor den Mund. Ich nicht, ich nicht. Ich sage: Kamerad Gregory eignet sich nicht zum Donnerstag – um all seiner liebenswürdigen Eigenschaften willen. «Wir wollen einen Erhabensten Anarchistenrat nicht mit sentimentalem Mitleiden infizieren (hört, hört!). Es ist wahrlich keine Zeit zu zeremoniöser Höflichkeit, und es ist wahrlich keine Zeit zu zeremoniöser Bescheidenheit. Ich lehne mich auf wider Kamerad Gregory, wie ich mich auflehnen würde wider alle Regierungen Europas, denn ein Anarchist, der sich der Anarchie ergeben, hat alle Bescheidenheit aufgegeben, ebensosehr wie er alle Eitelkeit aufgegeben hat (lauter Beifall). Ich bin durchaus nicht Mensch, nicht Person hier; ich bin eine Sache, ein Prinzip (erneuter Beifall). Ich stehe hier gegen Kamerad Gregory so unpersönlich und gerad so gelassen, wie ich aus jenem Gestell dort an der Wand die eine Pistole lieber herausnehmen würde als die andere; und ich erkläre, ehe Gregory und seine Milchpantschmethode in den Erhabensten Rat gelangen sollen – eher würd ich mich selber für die Wahl anbieten – –«
Diese letzten Sätze ertranken fast in dem tosenden Meer des Beifalls. Die Gesichter all, die in dem Maße leidenschaftlicher erglühten wie seine Tiraden unnachgiebiger erklangen, entstellten sich bald vor grinsender Erwartung oder spalteten sich vor entzücktem Schreien. Und als er sich gar selbst als Donnerstag vorschlug, da brach ein Sturm der Erregung und Einwilligung aus – ein unerhörter –, und denselbigen Augenblick schoß Gregory empor und jauchzte, Schaum vorm Munde, gegen die Jauchzenden an.
»Halt, halt, Verdammte – Wahnsinnige!« schrie er aus voller, schier platzender Kehle, »halt, halt, ihr – –«
Aber lauter noch als Gregory und lauter als all das Gebrüll im Raum kam nun die Stimme Symes, alles niederdonnernd:
»Ich will nicht in den Rat, um den Schimpf: Mörder, Mörder! zu widerlegen; ich will ihn ernten (nicht endenwollender Beifall). Zu den Pfaffen, die da predigen: diese Männer sind die Feinde der Religion … zu dem Richter, der da verurteilt: diese Männer sind die Feinde des Gesetzes … zu den feisten Parlamentariern, die da reden: diese Männer seien die Feinde der Ordnung und der Sitte … all denen will ich erwidern: ›Ihr seid falsche Könige, aber ihr seid wahre Propheten. Ich komme, euch auszutilgen und eure Prophezeiungen zu erfüllen‹.«
Der ungeheure Tumult erstarb nach und nach, aber noch ehe all die Lungen ganz ausgepumpt waren, war Witherspoon aufgesprungen, und sein Haar sprühte und sein Bart flammte –
»Ich stelle den Verbesserungsantrag, Kameraden Syme zum Donnerstag zu wählen.«
»Hört auf, hört auf, ich sag euch was!« schrie Gregory außer sich, »hört auf, hört auf, es ist ja alles – alles – –«
Da kam die Stimme des Präsidenten daher, – kalt schneidend wie immer –
»Unterstützt wer diesen Verbesserungsantrag?«
Und da konntest du einen baumlangen, schiefen Menschen mit melancholischen Augen und einem amerikanischen Kinnbart, in der hintersten Bank, schwankend aufstehen sehen. Aber Gregory, der eine ganze Zeitlang sinnlos geschrien, änderte den Ton nun und schleuderte heraus, daß es wie ein Steinwurf war:
»Ich mach dem allen ein Ende! Der Mann kann nicht gewählt werden! Er ist ein –«
»Nun«, sagte Syme, auf das ruhigste von der Welt, »was ist er?«
Gregorys Mund arbeitete zweimal schwer, ohne daß ein Ton aus ihm ausging. Dann kroch ihm das Blut langsam in sein Geisterantlitz zurück – »Er ist ein in unserer Sache ganz und gar unbewanderter Mann!« sagte er, und setzte sich unvermittelt nieder.
Ehe er aber ganz so tat, war der baumlange, dürre Mensch aufs neue aufgestanden und wiederholte in seinem hohen monotonen Amerikanisch:
»Ich bitte … ich unterstütze die Wahl des Kameraden Syme.«
»Ueber den Verbesserungsantrag wird, wie üblich, zuerst abgestimmt werden«, sagte Mr. Buttons, der Präsident, mit mechanischer Schnelligkeit. »Es ist also, daß Kamerad Syme – –« Aber da sprang Gregory noch einmal auf und keuchte und tobte:
»Kameraden! Ich bin nicht wahnsinnig!«
»Na, na!« sprach Mr. Witherspoon.
»Ich bin nicht wahnsinnig«, bekannte Gregory in einem so fürchterlich von Herzen gehendem Ton, daß die ganze Versammlung einen Augenblick stutzte. »Aber ich gebe Ihnen einen Rat, den Sie meinetwegen wahnsinnig nennen können. Nein, nein – ich will das keinen Rat heißen, denn ich kann Ihnen keine Gründe dafür angeben. Nennen Sie’s meinetwegen einen hirnverbrannten, total verrückten Befehl – aber handeln Sie danach. Schlagen Sie mich – aber hören Sie auf mich! Töten Sie mich, aber folgen Sie mir! Wählen Sie … wählen Sie den Menschen nicht – –«
Um die Aufrichtigkeit ist es eine Sache. Die siegt, noch in Fesseln. So kam es, daß für einen Augenblick Symes unzulänglicher und durch und durch kranker Sieg wie ein Riedrohr schwankte. Nur in Symes blaßblauen Augen konntest du nichts von all solchem lesen. Der sagte bloß: »Kamerad Gregory befiehlt –«
Und da war der Zauber auch schon wieder gebrochen und ein Anarchist schrie zu Gregory hinüber:
»Wer sind Sie denn? Sie sind nicht der Sonntag!« Und ein anderer fügte noch schwerer hinzu: »Und Sie sind auch nicht der Donnerstag!« »Kameraden!« schrie Gregory da, und in seiner Stimme war etwas von der Stimme eines Märtyrers, der in der Ekstase der Qual weit über alle Qual hinaus ist, »es gilt mir nichts, ob ihr mich nun als einen Tyrannen oder als einen Sklaven verabscheuen wollt. Wenn ihr meinen Befehl nicht annehmen wollt, so akzeptiert wenigstens meine Degradation. Ich liege auf den Knien vor euch. Ich werfe mich zu euren Füßen. Ich beschwöre euch: wählt doch diesen Menschen nicht –«
»Kamerad Gregory«, sprach der Präsident nach einer peinvollen Pause, »das vereint sich nicht sehr mit aller Würde –«
Im folgenden … da war erst für ein paar Sekunden absolute Stille. Dann sank Gregory auf seinen Sitz zurück – »ein toter Mann« – und der Präsident wiederholte, wie ein Uhrwerk wiederholt:
»Es ist also, daß Kamerad Syme zum Donnerstag im Generalrat erwählt werden soll.«
Ein Gebrüll stand auf wie das Meer, und die Hände schossen hoch wie ein Wald – – und drei Minuten später war Mr. Gabriel Syme – von der Geheimpolizei – zum Donnerstag des Generalrats der Anarchisten Europas erwählt – Jedermann im Eaum schien zu fühlen: wie der Schleppdampfer draußen wartete auf dem Fluß … und wie der Stockdegen und der Revolver hier warteten auf dem Tisch.