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Читать онлайн книгу.das ist es nicht, ganz bestimmt nicht«, murmelt sie. Sie spürt Inkas zweifelnden Blick, ohne daß sie die Lider hebt.
»Was ist es dann?« bohrt Inka weiter, und Leonore meint, daß es grausam ist, dieses Gespräch weiterzuführen. Es vertieft nur noch ihre Herzensunruhe.
»Wollen wir nicht lieber fertig einräumen? Dann möchte ich eine Stunde ruhen.«
Das bringt Bewegung in Inka. Mit zusammengebissenen Lippen beendet sie ihre Arbeit. Wieder weicht Leonore ihr aus. Lieber Gott! Wird ewig eine Wand zwischen ihr und der Mutter stehen? Ist sie nicht mit dem besten Willen in dieses Haus gekommen, auch diesen Fremden zu respektieren? Aber ist er es nicht, der diese Wand aufgetürmt hat? Nur, weil Leonore aus Angst, ihn zu verlieren, gelogen hat?
Sie weiß nicht, daß sie die Dinge ganz falsch sieht. Nicht die Lüge ist es, die Wendhoff tief verwundet hat, es ist der Gedanke an ein junges, vom Schicksal geschlagenes Menschenkind, das Leonore vor ihm verleugnet hat, in dem Augenblick, da es Mutterhilfe am nötigsten hatte. Nur an sich hat sie gedacht, an ihre Liebe.
Das sind die Gedanken, die Gert Wendhoff bewegen, mit denen er sich herumschlägt und zu keinem gerechten Urteil kommt, während er am Strand entlangläuft. Der Himmel hat sich überzogen. Ein böenartiger Wind wird über das Wasser getrieben. Wendhoff fröstelt in seinem dünnen Seidenhemd. Aber unentwegt wandert er weiter.
Das ist das rechte Wetter für seine Stimmung. Und dann überlegt er weiter. War er nicht zu hart zu Leonore? Ist es nicht einfach töricht von ihm, nicht verzeihen zu wollen, wo ein Mensch etwas aus Liebe zu ihm getan hat?
Hat sie ihm nicht aus einer hoffnungslosen Einsamkeit und seelischen Zerrissenheit herausgeholfen? Verdankt er nicht alles ihrer mütterlichen Güte und Selbstlosigkeit?
Als die ersten schweren Tropfen fallen, macht er kehrt. Die letzten hundert Meter legt er im Laufschritt zurück. Völlig durchnäßt kommt er im Haus an, wo Leonore aus dem Sessel am Kamin schnellt, als sie ihn heil vor sich sieht.
Ungeachtet seines durchweichten Hemdes wirft sie sich an seine Brust und schluchzt auf. »Wie bin ich froh, daß du wieder da bist, Gert. Wie habe ich mich geängstigt.«
Er spürt das Zittern ihres Körpers, atmet den vertrauten Duft, der ihrer Kleidung entströmt und zieht sie noch fester an sich.
»Verzeih, Liebling. Ich mußte mich auslaufen.«
Sie schlägt die blauen Augen groß zu ihm auf. »Und… und steht nun nichts mehr zwischen uns? Auch die Lüge nicht?«
Tränen schimmern in diesen angstvoll aufgerissenen Augen, und er küßt sie behutsam hinweg.
»Auch die nicht mehr… die Lüge aus Liebe«, versichert er, und da schließt er die Lider. Er spürt, wie ihr Körper in seiner Umarmung erschlafft. Er hat ihr allerhand zugemutet.
Er trägt sie in das gemeinsame Schlafzimmer und legt sie auf das Bett.
»Ich schicke dir Doris, Liebes. Du mußt jetzt schlafen.«
»Ja!« haucht sie, schließt die Augen wieder und dreht den Kopf zur Seite.
Alles ist wieder gut. Der fürchterlichen Anspannung der letzten Stunden ist erlösende Mattigkeit gefolgt. Noch ehe Doris ihr beim Auskleiden behilflich sein kann, ist sie eingeschlafen.
*
Jürgen Bergen hat sich aus dem kleinen fröhlichen Kreis gelöst und döst, abseits in einem Sessel hockend, vor sich hin. Er hat die Lider halbgeschlossen, beobachtet aber darunter hervor aufmerksam den zarten, geschmeidigen Körper Inkas.
Seit ein paar Monaten gehört sie zu dem Kreis, der sich zu gemeinsamen Kino- und Theaterbesuchen und zum Tanz zusammengefunden hat. Wie sehr hat sich das zuerst verschüchterte Mädchen verändert! Sie ist eine der ausgelassensten, sie lacht und zeigt dabei blitzende Zähne. Sie wirft den Kopf zurück, daß die dunklen Locken fliegen.
Jürgen Bergen ist drei Jahre älter als Inka, und er hat sie vom ersten Augenblick an, da Leonore Wendhoff ihre Tochter in diesen Kreis einführte, bewundert.
Ganz langsam hat Inka sich einzuleben begonnen, und jetzt ist sie daraus kaum mehr wegzudenken.
Jürgen hat mitunter das Gefühl, daß sie nicht genug bekommen kann an Lebensfreude. Etwas Wildes, Ungezügeltes geht mitunter von ihr aus.
Er liebt sie, und er weiß, daß sie dieses Gefühl nicht erwidert. Wenn er sich nicht genau in ihre Seele vertieft hätte – man könnte Inka manchmal für herzlos halten.
Sie arbeitet seit einigen Wochen im Geschäft ihrer Mutter und ist sehr fleißig und gewissenhaft und geradezu begierig darauf, recht viel zu lernen. Es bereitet ihr unsagbare Freude, in den blitzenden Steinen und Juwelen zu wühlen oder besonders schöne Stücke für eine schöne Frau auszuwählen.
Bockwold beobachtet sie scharf und hat seine helle Freude an ihr. Was er einst ihrer Mutter beigebracht hat, das tut er jetzt bei Inka.
Jürgen holt sie mehrmals wöchentlich von dem Geschäft ab, und dann wandern sie den Jungfernstieg entlang, setzen sich auch hin und wieder in den Alsterpavillon zu einem Trunk. Hier ist Inka wieder ganz anders, still und verträumt. Aufmerksam lauscht sie seinen Worten. Sie versteht wie keine zweite zu schweigen und versteht auch interessante Gespräche zu führen.
Jürgen seufzt tief auf. Seiner Meinung nach tanzt sie viel zu lange mit dem baumlangen Jochen Schön. Gabriele und Kathrin haben sich mit ihren Partnern längst lachend niedergelassen. Sie sind erschöpft. Aber Inka zeigt keine Spur von Müdigkeit. Unentwegt tanzen sie zu der Schallplatte, die Horst Buchner immer wieder auflegen muß.
Die Glastüren zur Terrasse sind geöffnet. Gabriele Crämer, Tinas Tochter, hat zu diesem kleinen Fest eingeladen. Crämers und Inkas Eltern sind anderweitig eingeladen, so daß ihnen das Haus zur Verfügung steht.
Jürgen erhebt sich, geht hinüber zu dem Plattenschrank und stellt ihn ab.
»Bist du übergeschnappt?« faucht Schön den Freund an.
»Schluß jetzt«, sagt dieser ungerührt. »Inka wird gleich umfallen.«
Inka lacht und streicht sich das Haar aus der heißen Stirn.
»Quatsch, ich falle nicht um. Meinetwegen kann es noch toller zugehen.«
»Für heute ist es toll genug«, erwidert Jürgen trocken und nimmt seinen Platz wieder ein. Gabriele reicht Getränke herum. Auch Inka bekommt ein Glas. Sie hat sich auf Jürgens Sessellehne häuslich eingerichtet. Ungeachtet ihres Protests nimmt er es ihr aus der Hand. »Erst etwas abkühlen.«
»Sag mal, bin ich ein Baby?« blitzt sie ihn an. »Deine ewige Bevormunderei habe ich gründlich satt.«
Er blinzelt sie verschmitzt lächelnd an. »Na, Baby kann man nicht direkt sagen, aber manchmal doch reichlich unvernünftig.«
»Wenn ich erst mal in dein Alter komme, benehme ich mich auch wie ein Großvater.«
Er lacht schallend auf und verbessert sie. »Großmutter, meinst du wohl.«
Nichts kann ihn mehr belustigen, als wenn er Inka in Rage bringt, wie eben jetzt. Sie ist ehrlich empört und streckt ihm die Zunge raus.
»Manchmal könnte ich dich Ekel glatt umbringen«, droht sie erbost. »Wie ist das nun? Soll ich verdursten?«
Entsetzt faßt er nach seinem Hals, als spüre er dort schon den würgenden Griff von Inkas kleinen Händen.
»Meinetwegen«, brummt er und reicht ihr das Glas, dessen Inhalt sie in einem Zug hinunterstürzt. »Hm! Das hat gut getan.«
Sie baumelt mit den schönen schlanken Beinen und blickt auf ihre Uhr am Handgelenk. Ein Geschenk ihrer Mutter.
»Wollen wir nicht Schluß machen?« fragt sie und sieht sich nach den anderen um. »Es ist reichlich spät.«
»Wie vernünftig«, spottet Jürgen. »Ich meinte, du wolltest die ganze Nacht durchtanzen.«
»Sei