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Fabrizzio sich diese Moralpredigt hielt, sprang er auf die große Straße, die von der Lombardei nach der Schweiz führt. Der Wald liegt an dieser Stelle fünf bis sechs Fuß höher. ›Wenn mein Mann Angst hat, so galoppiert er von dannen,‹ sagte sich Fabrizzio, ›und ich bin der Dumme und habe das Nachsehen.‹ In diesem Augenblick war er zehn Schritt von dem Reitknecht entfernt, der aufgehört hatte, zu singen; er sah ihm an den Augen an, daß er Furcht hatte. Vielleicht wollte er umkehren. Ohne bestimmten Entschluß sprang Fabrizzio hinzu und griff dem mageren Pferd in die Zugel.

      »Mein Freund,« sagte er zu dem Reitknecht, »ich bin kein gewöhnlicher Spitzbube, denn ich will dir zunächst mal zwanzig Franken geben, aber ich muß notgedrungen dein Handpferd entleihen. Ich bin des Todes, wenn ich mich nicht auf und davon mache. Die vier Brüder Riva sind mir auf den Fersen, die großen Nimrode, die dir zweifellos bekannt sind. Sie haben mich im Schlafzimmer ihrer Schwester erwischt; ich bin durchs Fenster entronnen und nun hier. Mit ihren Hunden und Flinten folgen sie mir durch den Wald nach. In der großen, hohlen Kastanie da habe ich mich versteckt gehalten. Einen von ihnen habe ich über die Straße laufen sehen. Die Hunde müssen meine Spur finden. Ich werde dein Handpferd nehmen und eine Meile über Como hinausgaloppieren. In Mailand werde ich mich dem Statthalter zu Füßen werfen. Dein Pferd werde ich in der Post abgeben nebst zwei Napoleons für dich, wenn du einwilligst. Muckst du dich auch nur, so knalle ich dich mit den Pistolen hier nieder, und hetzt du mir die Gendarmen nach, wenn ich weg bin, dann wird mein Vetter, der wackere Graf Alari, Kaiserlicher Stallmeister, sichs angelegen sein lassen, dir die Knochen klein zu schlagen!«

      Fabrizzio erfand diese Geschichte, während er sie mit der friedlichsten Miene vortrug.

      »Übrigens«, sagte er lachend, »ist mein Name gar kein Geheimnis. Ich bin der Marchesino Ascanio del Dongo. Mein Schloß liegt gar nicht weit von hier, in Grianta… Zum Donnerwetter,« fuhr er mit erhobener Stimme fort, »laß den Gaul los!«

      Der verblüffte Reitknecht brachte kein Wort heraus. Fabrizzio nahm seine Pistole in die linke Hand, ergriff den Handzügel, den der andere fahren ließ, schwang sich in den Sattel und ritt in kurzem Galopp davon. Als er dreihundert Galoppsprünge gemacht hatte, fiel ihm ein, daß er die versprochenen zwanzig Franken zu geben vergessen hatte. Er hielt. Es war immer noch niemand auf der Straße außer dem Reitknecht, der ihm nachgaloppiert kam. Er machte ihm mit dem Taschentuch ein Zeichen, vorwärts zu reiten; und als er ihn bis auf fünfzig Schritt herangelassen hatte, warf er eine Handvoll Geld auf die Straße und ritt weiter. Aus der Ferne sah er, daß der Reitknecht die Geldstücke auflas. ›Das ist wirklich ein gescheiter Kerl,‹ sagte sich Fabrizzio lachend, ›kein Freund unnützer Worte!‹

      Er ritt scharf nach Süden zu, machte bei einem einsamen Hause Rast und nahm ein paar Stunden später seinen Weg wieder auf. Um zwei Uhr morgens war er am Ufer des Lago Maggiore. Sehr bald bemerkte er seine Barke, die auf dem Wasser lag und auf das verabredete Zeichen heranruderte. Er sah keinen Landmann, dem er hätte das Pferd übergeben können; so ließ er das edle Tier frei laufen. Drei Stunden darauf war er in Belgirate. Dort, im Freundesland, gönnte er sich Ruhe. Er war voller Freude; alles war vorzüglich abgelaufen.

      Darf die wahre Ursache seiner Freude berichtet werden? Sein Baum war herrlich gediehen und seine Seele wieder aufgefrischt durch die tiefe Rührung, die er in den Armen des Abbaten Blanio gefunden hatte.

      ›Glaubt er wirklich‹, fragte er sich, ›an alle die Weissagungen, die er mir gemacht hat? Oder wollte er nur, weil mein Bruder mich in den Ruf eines Jakobiners, eines Menschen ohne Treu und Glauben gebracht hat, der zu allem fähig ist, mich davon abbringen, im Falle der Versuchung irgendeinem Esel, der mir einen schlechten Streich spielt, den Schädel einzuschlagen?‹

      Zwei Tage darauf war Fabrizzio in Parma. Er belustigte die Duchezza und den Grafen höchlichst mit seinem wie immer sehr ausführlichen Bericht über die ganze Geschichte seiner Reise.

      Bei seiner Ankunft hatte Fabrizzio bemerkt, daß der Pförtner und die gesamte Dienerschaft des Palazzo Sanseverina die Abzeichen der tiefsten Trauer trugen.

      »Welcher Verlust hat uns betroffen?« fragte er die Duchezza.

      »Der treffliche Mann, der als mein Gatte galt, ist kürzlich in Baden-Baden verstorben. Er hat mir diesen Palast vermacht; das war selbstverständlich. Aber als Zeichen seiner guten Freundschaft hat er ein Vermächtnis von dreihunderttausend Franken hinzugefügt. Das bringt mich in arge Verlegenheit. Zugunsten seiner Nichte, der Marchesa Raversi, darauf verzichten will ich nicht. Die spielt mir tagtäglich die nichtswürdigsten Streiche. Du als Kunstfreund wirst mir irgendeinen guten Bildhauer auftreiben: ich will dem Duca für die dreimalhunderttausend Franken ein Grabmal errichten.«

      Der Graf begann Anekdoten von der Raversi zu erzählen.

      »Vergeblich habe ich mich bemüht,« sagte die Duchezza, »sie durch Wohltaten klein zu kriegen. Die Neffen des Duca habe ich samt und sonders zu Obersten und Generalen gemacht. Zum Dank dafür vergeht kein Monat, ohne daß sie mir irgendeinen schändlichen Brief ohne Unterschrift schicken. Ich habe mir einen Sekretär nehmen müssen, der derartige Briefe liest.«

      »Diese Briefe ohne Unterschrift sind noch das wenigste«, meinte Graf Mosca. »Es gibt da eine wahre Werkstätte für niederträchtige Angebereien. Schon zwanzigmal hätte ich die ganze Bande vor die Gerichte bringen können. Eccellenza«, fügte er, zu Fabrizzio gewandt, hinzu, »können sich die Urteile meiner braven Richter ausdenken!«

      »Das ist es ja gerade, was mir alles verdirbt«, entgegnete Fabrizzio in seiner für einen Hofmann höchst spaßigen Unschuld. »Es wäre mir lieber gewesen, wenn sie durch gerechte Richter verurteilt worden wären.«

      »Sie würden mir ein Vergnügen bereiten, Sie, der Sie so lehrreiche Reisen gemacht haben, wenn Sie mir die Anschriften von solchen Beamten geben wollten. Ehe ich zu Bett gehe, werde ich an sie schreiben.«

      »Wenn ich Minister wäre, würde mich das Fehlen ehrlicher Richter in meiner Eigenliebe verletzen.«

      »Es scheint mir nur,« versetzte der Graf, »als ob Eccellenza, der Sie die Franzosen so lieben und ihnen einst sogar Ihren unbesiegbaren Arm geliehen haben, in diesem Augenblick einen Ihrer Hauptgrundsätze vergäßen: Besser, ich schlage den Teufel tot, als daß er mich totschlägt! Ich möchte wissen, wie Sie diese Schwärmerseelen regieren würden, die täglich in der Geschichte der Französischen Revolution lesen, wenn Sie Richter hätten, die alle Leute freisprächen, die ich anklage; sie würden die unbestritten größten Halunken freisprechen und sich für Brutusse halten. Aber darf ich Ihnen eine Frage stellen? Spürt Ihre so empfindsame Seele gar keine Gewissensbisse darüber, daß Sie jenes schöne, nur ein wenig zu magere Pferd am Ufer des Lago Maggiore im Stich gelassen haben?«

      »Ich hoffe bestimmt,« sagte Fabrizzio sehr ernst, »dem Besitzer des Pferdes das Schuldige zu zahlen und ihm die Kosten der öffentlichen Bekanntmachung und den Finderlohn zurückzuerstatten. Ich werde das Mailänder Tageblatt regelmäßig lesen, um die Verlustanzeige des Pferdes zu finden. Ich kenne sein Aussehen ganz genau.«

      »Er ist wirklich ein Kind«, sagte der Graf zur Duchezza. »Und was wäre aus Eccellenza geworden,« fuhr er lachend fort, »wenn dieser Mietgaul, auf dem Sie im Galopp davongeritten sind, sich einen Fehltritt erlaubt hätte? Sie säßen auf dem Spielberg, mein lieber Neffe, und mein Einfluß hätte Ihnen im besten Falle eine Erleichterung Ihrer Fußketten um dreißig Pfund erwirkt. An diesem vergnüglichen Ort wären Sie ein Dutzend Jährchen verblieben. Vielleicht wären Ihre Beine angeschwollen und brandig geworden; dann hätte man sie Ihnen fein säuberlich abgeschnitten…«

      »Ums Himmels willen!« rief die Duchezza, Tränen in den Augen. »Malen Sie eine so traurige Geschichte nicht noch weiter aus! Er ist ja wieder da!«

      »Und ich habe mehr Freude daran als Sie; das können Sie mir glauben«, erwiderte der Graf in tiefem Ernst. »Aber warum hat mich dieses Sorgenkind nicht um einen Paß mit passendem Namen ersucht, wenn er einmal in die Lombardei wollte ? Bei der ersten Kunde von seiner Festnahme wäre ich nach Mailand geeilt, und meine dortigen Freunde hätten schon ein Auge zugedrückt in der Annahme, ihre Polizei habe einen Untertanen des Fürsten von Parma eingesponnen. Die Erzählung Ihrer Fahrt ist nett und unterhaltsam; das gebe ich gern zu«, fuhr der Graf weniger ernst fort. »Ihr Ausfall aus dem Walde auf die


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