Die Geschichten von Hans Bürgers Kindheit (Über 100 Kunstmärchen in einem Buch). Richard von Schaukal

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Die Geschichten von Hans Bürgers Kindheit (Über 100 Kunstmärchen in einem Buch) - Richard von Schaukal


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Maßen, schön und breit ausladend über einer stillen Reihe glatter Säulen, das Ganze auf geräumiger Rampe erreichbar. Im Sand aber spielen die Kinder, und der Himmel dunkelt und dunkelt ... O Tage der Kindheit, wo ist eure wundersame, geheimnisvolle Weite? Wie klang der Brunnen süß melodisch in dieses stumme Beschäftigtsein um einen mächtigen Sandhaufen! Wo sind die sonderbaren Käfer und die merkwürdigen Schnecken? Wo ist das zitternde Grün von hohen, hohen Baumwipfeln über dem aufblickenden Kinderhaupte? Auf seinen Stock gestützt, im graublauen Blusenkittel, wandelt der alte, mürrische Invalide, eine Märchenerscheinung. Gegen den abendroten Himmel hebt sich der träumende Obelisk. Und langsam, zögernd fallen Blätter ...

      Der Liebling

      Am Abende des fünften Geburtstages meines Buben

       Inhaltsverzeichnis

      Großmutter, ich bin immer dein Liebling gewesen. Und mein kleiner Hans hätte mich darin noch bei Lebzeiten beerben sollen. Du aber hast von uns gehen müssen, ehe er groß und klug genug herangewachsen war, auch nur dein Bild zu behalten. Du hast von uns gehen müssen, ehe du mehr von ihm hast gewahren können als das leise dumpfe Werden eines kleinen Kindes, das viel bedeuten kann, nichts verheißt. Wie gern, Großmutter, hätte ich dir diesen meinen Liebling abgetreten, daß er dein Liebling geworden wäre! Still hätte ich mich im Hintergrunde gehalten, willig zugesehen, wie deine Liebe sich um ihn gerankt haben würde. Ich hätte ja auf so viel verzichten dürfen, der ich so viel besessen hatte durch dich. – Und er war so selig bereit, zu empfangen. Selig sind die Empfangenden, selig sind, die beschenkt werden. Die Schenker geben hin und geben hin, und wenn sie innehalten im Geben, welken sie ab und sterben. Wer nicht mehr gibt, stirbt. Selig sind die Empfangenden ...

      Ich muß dir etwas sagen, Großmutter, du sagst es ja nicht weiter. Als er heute früh erwachte, da war ihm von uns der Tisch mit den Geschenken vor sein Bett getragen worden, leise, auf daß er nicht vorzeitig geweckt werde, sondern erst, wenn sein gesunder Schlaf abgelaufen wäre, wie eine Sanduhr abläuft, dieser gesunde Schlaf der Kinder, den man nicht stören soll: es ist eine Sünde wider den heiligen Geist der Kinder, der wächst in solchem guten, gesunden Schlafe. Sein Tisch war ihm vor das Gitterbett getragen worden, und als er sich zurechtfand aus der Traumwelt in die Welt des Tages und, die blauen Augen langsam öffnend, diese Welt an sich herankommen ließ, die so weit weg von ihm gewesen war, während er schlief, da blickten die blauen Augen erstaunt und glücklich, lang und neugierig in den Lichtschein von fünf Kerzenflammen, den Schein von fünf dünnen Wachskerzchen, die um die Geburtstagstorte herum standen, jede Kerze ein Jahr, jede Kerze ein vom Menschenscharfsinn abgewogenes Menschenteil Ewigkeit. Und nun traten wir langsam hervor, und da saß er schon, auf seinen Arm gestützt, halb aufrecht im Bettchen und überblickte die Geschenke, unter denen zum erstenmal das deine fehlte, liebe, liebe Großmutter, und ich beugte mich über ihn und küßte ihn auf die weiße Stirne, die noch ganz rein ist von schwülen Gedanken, wie sie später daran hängenbleiben, wenn man in die Wolkenregion der Sorgen und Nörgeleien des Lebens hinaufwächst. Als ich ihm aber eines der Märchenbücher überreichte, die auf dem Tisch gelegen hatten, Großmutter, und er es in die kleinen heißen Hände nahm und darin blätterte – es waren Bechsteins Märchen mit den Bildern von Ludwig Richter, diesen kerndeutschen Bildern voll Zauber und heimlichen Unheimlichkeiten zu den hausbackenen Worten des guten Bechstein –, da schlug er den Schmied von Jüterbog auf, und da war der Tod abgebildet, ein gräßliches Gerippe. Der kleine Hans aber zog die Stirne kraus, wie er es immer tut, wenn ihm irgend etwas mißfällt, und meinte: »Das ist aber nicht sehr schön, nicht wahr, das da?« und deutete nur mit den Lippen auf das häßliche Bild des Todes. Ich habe seine Mutter kaum mit den Blicken gestreift. Aber in uns beiden war dieselbe trübe Angst und das wie außerhalb der Zeit schwebende Bangen der großen Ungewißheit: schaudernd beugt man sich über einen Abgrund ...

      Nicht wahr, Großmutter, das hat nichts Böses zu bedeuten? Nicht wahr, das war ein argloses Geschehnis, etwas Selbstverständliches? Denn ist nicht der Tod im Leben, ist er nicht mitten darin, sitzt in uns, um uns, haucht uns an und ist unser Freund und Gefährte? Nicht ein Schlußpunkt ist der Tod, sondern ein begleitender Ton, der durch unser ganzes Dasein rauscht. Und daß mein kleiner Hans gerade sein häßliches Gerippe, wie es die häßlichen Menschen erfunden haben, am Morgen seines fünften Geburtstages, in aller Frühe, als er sich kaum den Schlaf aus den blauen Augen gerieben hatte, erblicken mußte, das war etwas ganz Natürliches, war wie ein Atemzug dieses Allgegenwärtigen, Milden, Versöhnlichen, dieses Freundes des Lebens? Großmutter, du bist ja bei Gott, frag ihn, wenn die Engel leiser sein Lob singen, frag ihn, ob er gerade meinen kleinen Hans gemeint hat, da er ihm den Tod zeigte am Morgen seines fünften Geburtstages. Nicht wahr, er hat ihn nicht gemeint? Oder gemeint, wie er alle meint? Und es bedarf nicht eines Holzschnittes von Ludwig Richter, dieses treuen Freundes der Kinder, dieses innigen deutschen Dichterzeichners, daß Gott einem Kinde den Tod zeigt? Gott ist nicht grausam. Gott ist gerecht. Gott hat auch nicht den Geburtstagsmorgen eines kleinen Buben in acht, er spielt nicht, wie alte Kerzelweiber spielen, mit dem Bilde des Todes. Er hat den Tod in die Welt gesandt, auf daß die Menschen ihm entgegen leben. Die Menschen leben ja nur im Schatten des Todes, der manchmal freilich um den einen kühler wird und kühler, und dann stirbt dieser eine. Aber alle Menschen, die Fröhlichen, die Reichen, die in Kutschen fahren und die auf die Berge steigen, die auf den Feldern wandern und die sie bebauen und, auf die Harke gestützt, in die grünen Wälder jenseits der Äcker einen tiefen, trinkenden Blick hinsenden, alle Menschen leben im großen Schatten des Todes, der von Gott ist und ihnen vertraut sein soll wie der Duft ihrer Blumen vor dem Fenster, wie der Hauch ihres Mundes. Nur die Menschen, haben den Tod von sich weggehalten, so daß er ihnen fremd ward und nun wie ein fürchterliches Gespenst in den Bilderbüchern der Kinder abgeschildert ist. – Großmutter, ich empfehle dir meinen Liebling: Laß deine milde Güte auf ihm ruhen wie einen ganz warmen Schatten des Todes! Laß ihn in diesem wundervollen goldigen Schatten deiner Güte wachsen und reifen, auf daß er eingehe in die Herrlichkeit des Lebens, das zum Tode führt, selbstverständlicherweise zum Tode führt, wie alle Gedanken der Menschen zu Gott führen, ob sie eine Lustfahrt miteinander besprechen oder einen Kranz miteinander wählen für die Bahre eines Verblichenen! Großmutter, ich bin dein Liebling gewesen. Nie vergesse ich die Liebe, die aus deinen schweigenden Augen auf mich herniederglänzte, wenn du mich mit gefalteten Händen betrachtetest. Nie vergesse ich dir deine immer erlösenden Worte, nie die weiche Sanftmut deiner segnenden Hände. Laß ihn, der mein Liebling ist, wandeln unter deinem warmen Schatten! Er merkt es nicht. Aber sein Schritt soll kräftig schreiten, sicher durchs große Land des Lebens, seine Augen sollen recht von innen heraus aufleuchten von Glauben an die Welt und Andacht zur Welt, die von Gott und seinem stillen Knechte, dem Tod, erzählt. So sei er dein Liebling als Erbe des stumm zur Seite tretenden Vaters, sei dein Befohlener, Großmutter, die Stätte, wo du ausruhst von den unerhörten Wundern der Gottesnähe, dein menschliches Asyl, deine vertraute Rast. Segne ihn mit deiner Güte, auf daß sein Herz reich werde und groß, umfassend alle Menschen und die Größe der Welt, reich an Kräften der Gottes- und Todesliebe! Mach ihn stark durch deine Güte, daß er das Leben ertrage, wie es kommen möge, mit Hagelschlägen und Gewitterstürzen, Sonnenbrand und dem Rauch verbrannter Wanderzelte; laß ihn deine blaue Farbe tragen, die unsichtbare, ihm unbewußte Farbe der tiefsten Demut vor dem Unbegreiflichen, vor Gott und seinem milden Knechte, dem Tode! Großmutter, erhöre noch einmal deinen Liebling, er bittet für seinen Liebling!

      Vom Frühling und seiner Trauer

       Inhaltsverzeichnis

      Nun ist der Frühling wieder ins Land gekommen mit seiner wunderbaren Trauer. Sein Atem haucht mich an, und mein Herz bangt vor ihm. Er ist groß und gewaltig, er zwingt die Welt, er wandelt ihr Antlitz, aber er ist ein bleicher Held, sein süßer Mund ist stumm vor Sehnsucht, und sein belebender Blick streut mit dem Leben den Tod.

      Ich bin durch alte Stadtteile gewandert, allein mit mir. Die Sonne strahlte vom Himmel, alle Wege lagen in ihrem weißen Lichte. Die niedrigen Häuser der Vorstadt, weit draußen schon am Gelände der Berge, sonnten sich


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