Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

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Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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jetzt hereinkam, erkannte er sie nicht einmal sogleich.«

      »Na, du wirst ja sehen! … Sie beunruhigt mich; du wirst ja sehen, du wirst ja sehen! Und ich habe einen ordentlichen Schreck vor ihr bekommen: sie sah mich an und sah mich an; was hat sie für Augen; ich konnte kaum auf meinem Stuhle stillsitzen; erinnerst du dich, als er sie vorstellte? Und das kommt mir doch auch ganz merkwürdig vor: Pjotr Petrowitsch schreibt solche Dinge von ihr, und er stellt sie uns vor, und noch dazu dir! Also muß er sie doch wohl sehr gern haben!«

      »Was der nicht alles schreibt! Über uns ist doch auch allerlei geredet und geschrieben worden; haben Sie das vergessen? Und ich bin überzeugt, daß sie ein prächtiges Mädchen ist und daß das alles dummes Gerede ist.«

      »Gott gebe es!«

      »Und Pjotr Petrowitsch ist ein häßlicher Zwischenträger!« schloß Dunja kurz und bestimmt.

      Pulcheria Alexandrowna duckte sich unwillkürlich. Das Gespräch brach ab.

      »Hör mal, ich wollte dich da etwas fragen …«, begann Raskolnikow und führte Rasumichin zum Fenster.

      »Ich darf also an Katerina Iwanowna bestellen, daß Sie kommen werden …«, sagte Sonja schnell und wollte sich verabschieden.

      »Sogleich, Sofja Semjonowna! Wir haben keine Geheimnisse; Sie stören uns nicht. Ich möchte Ihnen gern noch ein paar Worte … Hör mal«, wandte er sich, ohne zu Ende zu sprechen, wieder an Rasumichin. »Du kennst doch diesen … na, wie heißt er gleich! … Porfirij Petrowitsch?«

      »Na und ob! Er ist ja ein Verwandter von mir. Weshalb fragst du denn?« fügte er neugierig hinzu.

      »Er hat doch jetzt diese Sache in Händen, … na, diese Mordsache, von der ihr gestern spracht?«

      »Ja, … nun?« Rasumichin riß die Augen weit auf.

      »Er hat die Verpfänder befragt; nun, es liegen von mir auch ein paar Pfänder da, nur so Kleinigkeiten; aber das eine ist ein Ring von meiner Schwester, den sie mir zum Andenken schenkte, als ich hierherzog, und dann die silberne Uhr meines Vaters. Es hat zusammen nur einen Wert von fünf bis sechs Rubel; aber für mich sind diese Gegenstände kostbar, als Andenken. Also, was soll ich jetzt tun? Ich möchte nicht, daß mir die Sachen verlorengehen, namentlich nicht die Uhr. Ich schwebte vorhin in der größten Angst, meine Mutter könnte die Uhr zu sehen wünschen, als von Dunjas Uhr die Rede war. Es ist das einzige Stück, das noch von meinem Vater übrig ist. Sie würde krank werden, wenn wir diese Uhr verlören. Wie die Weiber nun einmal sind! Also nun gib mir einen Rat, wie ich mich zu verhalten habe. Ich weiß, daß ich eigentlich auf dem Polizeibureau Anzeige machen müßte. Aber wäre es nicht besser, wenn ich mich an Porfirij persönlich wendete? Wie denkst du darüber? Ich möchte die Sache möglichst schnell erledigen. Du wirst sehen, daß meine Mutter mich noch vor dem Mittagessen danach fragt!«

      »Wende dich nicht an das Polizeibureau, sondern auf jeden Fall an Porfirij!« rief Rasumichin in lebhaftem Eifer. »Das freut mich aber! Da ist nichts weiter zu überlegen; wir können sofort hingehen; es sind nur ein paar Schritte; wir treffen ihn gewiß zu Hause!«

      »Mir recht! Gehen wir!«

      »Er wird sich sehr freuen, ganz außerordentlich wird er sich freuen, dich kennenzulernen! Ich habe ihm viel von dir erzählt, bei verschiedenen Gelegenheiten … Auch gestern habe ich von dir gesprochen. Gehen wir hin! Also du hast die alte Frau gekannt? So, so! … Das hat ja alles eine ganz ausgezeichnete Wendung genommen! … Ach ja … Sofja Iwanowna …«

      »Sofja Semjonowna«, verbesserte Raskolnikow. »Sofja Semjonowna, das ist mein Freund Rasumichin, ein sehr guter Mensch …«

      »Wenn Sie jetzt gehen müssen …«, begann Sonja; sie hatte Rasumichin gar nicht angesehen und war durch die Vorstellung noch schüchterner geworden.

      »Nun, dann wollen wir gehen!« sagte Raskolnikow entschlossen.

      »Ich komme heute noch einmal kurz zu Ihnen, Sofja Semjonowna; sagen Sie mir nur, wo Sie wohnen.«

      Er war nicht eigentlich verlegen, aber er tat eilig und vermied ihren Blick. Sonja gab ihm ihre Adresse und errötete dabei. Sie gingen alle drei gleichzeitig hinaus.

      »Schließt du denn nicht zu?« fragte Rasumichin, der hinter den beiden andern die Treppe hinabstieg.

      »Das tue ich nie! … Schon seit zwei Jahren will ich immer ein Schloß kaufen«, fügte er nachlässig hinzu. »Glücklich, wer nichts zu verschließen hat, nicht wahr?« wandte er sich lachend an Sonja.

      Auf der Straße blieben sie am Tor stehen.

      »Sie gehen nach rechts, Sofja Semjonowna? Dabei fällt mir ein: wie haben Sie es denn möglich gemacht, mich zu finden?« fragte er; aber es klang, als möchte er ihr etwas ganz anderes sagen. Er hätte gar zu gern noch einmal in ihre stillen, klaren Augen geblickt; aber es wollte ihm nicht so recht glücken …

      »Sie haben doch gestern unsrer Polenjka Ihre Adresse angegeben?«

      »Polenjka? Ach ja … Polenjka! Das war die Kleine … Das ist Ihre Schwester? Also der habe ich meine Adresse gegeben?«

      »Wissen Sie das denn nicht mehr?«

      »Doch … doch, … ich erinnere mich.«

      »Und von Ihnen hat mir der Verstorbene noch zu seinen Lebzeiten erzählt … Ich kannte nur damals Ihren Namen nicht, und er selbst kannte ihn auch nicht … Aber gestern erfuhr ich nun Ihren Namen und Ihre Adresse, und als ich heute herkam, da fragte ich: wo wohnt hier Herr Raskolnikow? … Ich wußte gar nicht, daß Sie auch in einem möblierten Zimmer wohnen … Adieu! Ich werde alles an Katerina Iwanowna bestellen …«

      Sie war sehr froh, endlich loszukommen; sie ging mit gesenktem Kopfe eilig dahin, um ihnen nur recht schnell aus dem Gesichtskreis zu kommen, um nur recht schnell diese zwanzig Schritte bis zu der Straßenecke, wo sie nach rechts einbiegen mußte, zurückzulegen und endlich allein zu sein und dann im eiligen Dahinschreiten, achtlos und unbekümmert um die Begegnenden und alles ringsumher, nachzudenken, sich zu erinnern und sich jedes gesprochene Wort, jeden Umstand noch einmal zu vergegenwärtigen. Noch niemals hatte sie etwas Ähnliches empfunden. Ihre Seele hatte in eine große, neue Welt, die ihr noch ganz unbekannt gewesen war, einen – freilich flüchtigen – Blick geworfen. Da fiel ihr auf einmal ein, daß Raskolnikow selbst noch heute zu ihr kommen wollte, vielleicht noch am Vormittag, vielleicht sogar jetzt gleich!

      ›Nur nicht heute schon, bitte, nicht heute!‹ murmelte sie mit heftiger Herzbeklemmung, als ob sie jemanden anflehte, wie ein geängstigtes Kind. ›O Gott! Zu mir … in dieses Zimmer, … er wird alles sehen … o Gott!‹

      Sie war in diesem Augenblicke natürlich nicht imstande, einen ihr unbekannten Herrn zu beachten, der sie angelegentlich beobachtete und ihr auf dem Fuße folgte. Er begleitete sie schon, seit sie aus dem Torwege herausgetreten war. In dem Augenblicke, als alle drei, Rasumichin, Raskolnikow und sie, auf dem Trottoir standen und noch ein paar Worte miteinander redeten, war dieser Passant plötzlich zusammengezuckt, als er, um die Gruppe herumgehend, zufällig Sonjas Worte auffing: »Da fragte ich: wo wohnt hier Herr Raskolnikow?« Er hatte schnell, aber aufmerksam alle drei gemustert und besonders Raskolnikow, zu dem Sonja sprach; darauf hatte er sich das Haus angesehen und gemerkt. Alles dies hatte sich in einem Augenblicke, während er vorbeiging, abgespielt, und der Fremde war, ohne sich etwas merken zu lassen, weitergegangen, jedoch in etwas langsamerem Schritte, wie wenn er auf jemand wartete. Er hatte auf Sonja gewartet; denn er hatte gesehen, daß sie sich verabschiedete, und vermutet, daß sie nun wohl irgendwohin gehen würde, wo sie ihre Wohnung hätte.

      ›Wo mag sie wohnen? Ich habe dieses Gesicht doch schon irgendwo gesehen‹, hatte er gedacht und sich zu erinnern gesucht. ›Das muß ich herausbekommen.‹

      Als er die Straßenecke erreicht hatte, ging er auf die andere Seite der Straße hinüber, drehte sich um und sah, daß Sonja, ohne auf irgend etwas zu achten, … bereits hinter ihm ging, denselben Weg; denn als sie an die Straßenecke gekommen war, war auch sie in die Seitenstraße eingebogen. Er hatte sie nun auf dem gegenüberliegenden Trottoir begleitet, allmählich zurückbleibend, ohne sie aus den Augen zu lassen; nach etwa fünfzig Schritten war er wieder nach dem Trottoir


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