Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский
Читать онлайн книгу.über ihr Vermögen zu verfügen, so werde sie unbedingt sogleich eine Million Rubel für soziale Zwecke spenden.«
»Und die Verwalter dieser Million werden gewiß Lew und Boris und ihre ganze Gesellschaft sein?« fragte der Fürst.
»Das ist nicht wahr, das ist nicht wahr; schäme dich, Vater, so zu reden!« rief Aljoscha eifrig. »Ich merke, was du meinst! Aber diese Million ist tatsächlich der Gegenstand unseres Gespräches gewesen; wir haben lange überlegt, wie sie verwendet werden solle, und uns endlich dafür entschieden, daß sie vor allen Dingen der allgemeinen Aufklärung dienen soll …«
»Ja, ich habe Katerina Fjodorowna bisher wirklich nicht ordentlich gekannt«, bemerkte der Fürst, als ob er nur für sich spräche, immer mit demselben spöttischen Lächeln. »Ich habe ihr übrigens manches zugetraut, aber dies …«
»Was ist denn dabei?« unterbrach ihn Aljoscha. »Was erscheint dir daran so sonderbar? Daß das aus eurem gewohnten Rahmen heraustritt? Daß bisher niemand eine Million geopfert hat und Katja es tut? Das ist’s wohl, was dich befremdet. Aber was ist dagegen zu sagen, wenn sie nicht auf andrer Leute Kosten leben will? Denn von diesen Millionen leben ist soviel, wie auf andrer Leute Kosten leben; das ist mir erst jetzt klargeworden. Sie will dem Vaterland und allen Menschen nützlich sein und für die Förderung des Gemeinwohls ihr Scherflein darbringen. Von einem Scherflein ist ja schon in unseren Schönschreibevorschriften die Rede gewesen, und wie jenes Scherflein der Witwe eine Million wert war, so wird es doch hier auch der Fall sein. Und worauf gründet sich denn diese ganze gepriesene Vernunft, an die ich so fest geglaubt habe? Warum siehst du mich so an, Vater? Als ob du einen Narren, einen Dummkopf vor dir sähest? Nun, was schadet es, wenn man ein Dummkopf ist? Du hättest hören sollen, Natascha, was Katja darüber sagte: ›Nicht der Verstand ist das Wichtigste, sondern das, was ihn regiert: der Charakter, das Herz, die edlen Eigenschaften, die gesamte geistige Entwicklung.‹ Aber die Hauptsache ist: hierüber hat Besmygin einen genialen Ausspruch getan. Besmygin ist ein Bekannter von Lew und Boris und unser Oberhaupt und wirklich ein genialer Kopf! Erst gestern sagte er im Gespräch: ›Ein Dummkopf, der sich bewußt ist, ein Dummkopf zu sein, ist kein Dummkopf mehr!‹ Welch eine tiefe Wahrheit! Solche Denksprüche gibt er alle Augenblicke von sich. Er schüttelt die Wahrheiten nur so aus dem Ärmel.«
»Wirklich genial!« bemerkte der Fürst.
»Du spottest immer. Aber ich habe von dir nie etwas Derartiges zu hören bekommen und ebensowenig von unsrer ganzen sogenannten guten Gesellschaft. Bei euch sucht man so etwas vielmehr zu verstecken; alles sucht man niederzuhalten, damit alle Leute die gleiche Statur haben; selbst die Nasen sollen von gleicher Länge und Gestalt sein – als ob das möglich wäre! Als ob das nicht tausendmal unmöglicher wäre als das, wovon wir reden und was wir vorhaben! Und dabei nennt man uns Utopisten! Du hättest nur hören sollen, was sie gestern zu mir sagten …«
»Aber worüber redet ihr denn nun eigentlich, und was habt ihr vor? Erzähle doch, Aljoscha; bis jetzt verstehe ich noch nichts davon«, sagte Natascha.
»Wir reden überhaupt von allem, was zum Fortschritt und zur Humanität und zur Liebe führt; alles das erörtern wir anhand der neuzeitlichen Fragen. Wir reden von der Publizität, von den beginnenden Reformen, von der Liebe zur Menschheit, von den führenden Geistern; wir kritisieren sie, wir lesen ihre Schriften. Aber die Hauptsache ist: wir haben einander das Wort darauf gegeben, unter uns vollständig aufrichtig zu sein und einander alles über uns selbst offen und ohne falsche Scham zu sagen. Nur Offenheit und Aufrichtigkeit können das Ziel erreichen. Darauf dringt Besmygin ganz besonders. Ich habe Katja davon erzählt, und sie ist durchaus der Ansicht Besmygins. Und darum haben wir alle unter Besmygins Leitung uns das Wort darauf gegeben, unser ganzes Leben hindurch offen und ehrlich zu handeln und, was man auch von uns sagen und wie man auch über uns urteilen mag, uns durch nichts beirren zu lassen, uns unseres Enthusiasmus, unserer Bestrebungen, unserer Fehler nicht zu schämen, sondern geradeaus unseren Weg zu gehen. Wenn du willst, daß man dich achte, so achte zuerst und vor allen Dingen dich selbst; nur dadurch, nur durch Selbstachtung, zwingst du auch andere, dich zu achten. Das sagt Besmygin, und Katja stimmt ihm vollständig bei. Überhaupt sprechen wir jetzt viel von unseren Anschauungen und haben beschlossen, es soll sich jeder für sich allein mit Selbsterkenntnis beschäftigen, und dann sollen alle zusammen sich wechselseitig belehren…«
»Was für ein heilloser Unsinn!« rief der Fürst beunruhigt. »Und wer ist dieser Besmygin? Nein, das darf man nicht so weitergehen lassen!«
»Was darf man nicht so weitergehen lassen?« fiel Aljoscha ein. »Höre, Vater, warum setze ich jetzt das alles in deiner Gegenwart auseinander? Weil ich wünsche und hoffe, auch dich für unseren Verein zu gewinnen. Ich habe es dort auch schon versprochen, dich hinzubringen. Du lachst; nun, das habe ich vorher gewußt, daß du lachen würdest! Aber höre! Du bist gut, du bist edel; du wirst mich verstehen. Du kennst ja diese Menschen nicht; du hast sie noch nie gesehen, sie nicht selbst gehört. Gesetzt auch, du habest von alledem schon gehört, denn du hast ja alles studiert und bist furchtbar gelehrt: aber sie selbst hast du noch nicht gehört, du bist noch nicht bei ihnen gewesen; wie kannst du also über sie ein richtiges Urteil haben? Du bildest dir nur ein, daß du sie kennst. Nein, komm zu ihnen hin, höre sie, und dann – und dann verbürge ich mich dafür, daß du einer der Unsrigen werden wirst! Und die Hauptsache ist: ich will alle Mittel anwenden, um dich vom Verderben in deinem Gesellschaftskreis zu retten, an dem du so hängst, und dich von deinen Anschauungen abzubringen.«
Der Fürst hatte Aljoschas pathetische Rede schweigend und mit einem spöttischen Lächeln angehört; sein Gesicht hatte einen boshaften Ausdruck getragen. Natascha hatte ihn mit unverhohlenem Widerwillen beobachtet. Er hatte dies gesehen, aber getan, als bemerke er es nicht. Aber als Aljoscha geendet hatte, brach der Fürst plötzlich in ein Gelächter aus. Er ließ sich sogar gegen die Lehne des Stuhles zurücksinken, als ob er nicht imstande wäre, sich zu halten. Aber dieses Lachen war entschieden gekünstelt. Es war nur zu deutlich, daß er einzig und allein in der Absicht lachte, seinen Sohn möglichst zu kränken und zu demütigen. Aljoscha fühlte sich wirklich beleidigt; sein ganzes Gesicht drückte tiefen Schmerz aus. Aber er wartete geduldig, bis die Heiterkeit seines Vaters aufhörte.
»Vater«, begann er traurig, »warum lachst du denn über mich? Ich habe offen und ehrlich zu dir gesprochen. Wenn ich deiner Meinung nach Dummheiten gesagt habe, so belehre mich, aber lache mich nicht aus! Und worüber lachst du? Über das, was mir jetzt heilig und edel erscheint? Nun, mag ich auch irren, mag das auch alles unrichtig und fehlerhaft sein, mag ich auch ein Dummkopf sein, wie du mich manchmal genannt hast: aber wenn ich auch irre, so tue ich es mit aller Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit; ich habe den Adel meiner Seele nicht eingebüßt. Ich begeistere mich für hohe Ideen. Mögen sie auch irrig sein, so ist doch ihre Grundlage heilig. Ich habe dir ja gesagt, daß du und alle Angehörigen deines Kreises mir noch nichts Derartiges gesagt haben, was mich angezogen hätte und mir als Richtschnur hätte dienen können. Widerlege diese Ideen, sage mir etwas Besseres, und ich werde dir folgen; aber lache nicht über mich; denn das kränkt mich sehr.«
Aljoscha hatte das mit edlem Anstand und mit einer Art von ernster Würde gesagt. Natascha war seinen Worten mit Teilnahme gefolgt. Der Fürst hatte seinem Sohn ganz erstaunt zugehört und änderte nun sogleich seinen Ton.
»Ich wollte dich ganz und gar nicht kränken, lieber Sohn«, antwortete er; »ich bedaure dich vielmehr. Du bereitest dich zu einem Schritt im Leben vor, bei dem es an der Zeit wäre, das leichtsinnige, knabenhafte Wesen abzulegen. Das ist meine Meinung. Ich mußte unwillkürlich lachen und habe dich durchaus nicht kränken wollen.«
»Warum schien es mir dann aber so?« fuhr Aljoscha mit dem Ausdruck tiefen Schmerzes fort. »Warum scheint es mir schon lange, daß du gegen mich eine feindliche Stellung einnimmst, mich mit kaltem Spott behandelst und nicht so, wie ein Vater seinen Sohn behandeln sollte? Warum scheint es mir, daß ich, wenn ich an deiner Stelle wäre, meinen Sohn nicht in so kränkender Weise auslachen würde, wie du es jetzt mit mir tust? Höre: sprechen wir uns doch jetzt gleich ein für allemal aufrichtig aus, so daß keinerlei Mißverständnisse mehr zurückbleiben! Und… ich will die volle Wahrheit sagen: als ich hier eintrat, schien es mir, daß auch hier ein Mißverständnis stattgefunden hatte; ich hatte erwartet, euch in anderer Stimmung hier zusammen zu finden. Ist es so oder nicht? Wenn es so ist, ist es dann