Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

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Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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mein Gott, ich habe Sie aus Versehen mit dem bloßen Vornamen angeredet; hören Sie, Iwan Petrowitsch, ich habe Sie sehr gern – warum duzen wir uns nicht? Wir wollen uns duzen!«

      »Schön, duzen wir uns!«

      »Gott sei Dank! Das ist mir nämlich schon hundertmal durch den Kopf gegangen; aber ich wagte immer nicht, es Ihnen zu sagen. Sehen Sie, ich sage auch jetzt ›Sie‹. Es ist ja auch sehr schwer, zu jemandem ›du‹ zu sagen. Das wird, glaube ich, irgendwo bei Tolstoi sehr schön dargestellt: zwei sind übereingekommen, zueinander ›du‹ zu sagen, können es aber gar nicht fertigbringen und vermeiden immer solche Ausdrücke, in denen das Fürwort vorkommt! Ach, Natascha, wir wollen einmal ›Kindheit und Knabenalter‹ lesen; das ist wunderschön!«

      »Na, nun geh nur, geh nur!« jagte ihn Natascha lachend fort. »Du bist vor Freude ganz ins Plaudern hineingekommen …«

      »Lebe wohl! In zwei Stunden bin ich wieder bei dir!«

      Er küßte ihr die Hand und lief eilig hinaus.

      »Da siehst du’s, Wanja, da siehst du’s!« sagte sie und brach in Tränen aus.

      Ich saß noch ungefähr zwei Stunden bei ihr, tröstete sie, und es gelang mir, sie in allen Punkten zu beruhigen. Natürlich hatte sie in allen Punkten, in allen ihren Befürchtungen recht. Das Herz zog sich mir schmerzlich zusammen, wenn ich an ihre jetzige Lage dachte; ich war um sie in großer Besorgnis. Aber was konnte ich tun?

      Auch Aljoscha kam mir sonderbar vor: er liebte sie nicht weniger als früher, ja vielleicht noch stärker, schmerzvoller, eine Wirkung der Reue und Dankbarkeit. Aber gleichzeitig schlug die neue Liebe in seinem Herzen feste Wurzeln. Wie das enden werde, das ließ sich unmöglich vorhersehen. Ich selbst war sehr gespannt darauf, Katja zu sehen. Ich versprach Natascha noch einmal, ihre Bekanntschaft zu machen.

      Zuletzt schien sie sogar heiter zu werden. Unter anderm erzählte ich ihr alles über Nelly, über Masslobojew, über die Bubnowa, über mein heutiges Zusammentreffen mit dem Fürsten bei Masslobojew und über unsere auf sieben Uhr angesetzte Zusammenkunft. Alles dies interessierte sie sehr. Von den alten Leuten sagte ich ihr nur wenig, und von Ichmenews Besuch schwieg ich vorläufig; die Absicht ihres Vaters, sich mit dem Fürsten zu duellieren, hätte sie erschrecken können. Auch ihr erschienen die Beziehungen des Fürsten zu Masslobojew und sein lebhafter Wunsch, mich näher kennenzulernen, sehr sonderbar, obwohl all dies sich aus der jetzigen Situation hinreichend erklärte …

      Um drei Uhr kehrte ich nach Hause zurück. Nelly empfing mich mit strahlendem Gesicht …

      Sechstes Kapitel

      Pünktlich um sieben Uhr abends war ich bei Masslobojew. Er empfing mich mit großem Hallo und mit offenen Armen. Selbstverständlich war er halb betrunken. Am meisten aber erstaunten mich die außerordentlichen Vorbereitungen zu meiner Aufnahme. Es war klar, daß ich erwartet wurde. Ein hübscher, rotmessingner Samowar siedete auf einem runden Tischchen, auf dem eine schöne, kostbare Decke lag. Das Teeservice glänzte von Kristall, Silber und Porzellan. Auf einem zweiten Tisch, der mit einer andersartigen, aber nicht minder wertvollen Decke bedeckt war, lagen auf Tellern Konfekt, sehr schönes Kiewer Eingemachtes, flüssiges und trockenes, Marmelade, Pastillen, Gelee, französisches Eingemachtes, Apfelsinen, Äpfel und drei oder vier Sorten Nüsse, kurz, ein ganzer Obstladen. Auf einem dritten, mit einer schneeweißen Serviette gedeckten Tisch standen allerlei kalte Speisen: Kaviar, Käse, eine Pastete, Würstchen, geräucherter Schinken, Fisch und eine ganze Batterie prächtiger Kristallflaschen mit Likören von den verschiedensten Sorten und den lockendsten Farben: grün, rubinrot, braun, golden. Auf einem kleinen Tischchen endlich, das seitwärts stand und ebenfalls mit einer weißen Serviette bedeckt war, standen zwei Kübel mit Champagner. Auf dem Tisch vor dem Sofa prangten drei Flaschen: Sauternes, Lafitte und Kognak; sie stammten aus dem Geschäft von Jelisejew und waren gewiß sehr teuer. Am Teetisch saß Alexandra Semjonowna; ihr Kleid und ihr Kopfputz waren zwar einfach, aber offenbar mit längerer Überlegung ausgesucht, und mit gutem Erfolg. Sie wußte, daß es ihr gut stand, und war sichtlich stolz darauf; zu meiner Begrüßung erhob sie sich mit einer gewissen Feierlichkeit. Zufriedenheit und Heiterkeit glänzten auf ihrem frischem Gesichtchen. Masslobojew saß in schönen chinesischen Pantoffeln, einem kostbaren Schlafrock und frischer, eleganter Wäsche da. An seinem Hemd waren überall, wo es nur möglich war, moderne Zierknöpfchen angebracht. Sein Haar war sorgsam gekämmt, pomadisiert und der Mode gemäß schräg gescheitelt.

      Ich war so verblüfft, daß ich mitten im Zimmer stehenblieb und mit offenem Mund bald Masslobojew, bald Alexandra Semjonowna anblickte, bei der die Zufriedenheit sich dadurch bis zur Glückseligkeit steigerte.

      »Was stellt das vor, Masslobojew? Ist etwa bei dir heute eine größere Gesellschaft?« rief ich endlich beunruhigt.

      »Nein, du bist der einzige Gast«, antwortete er feierlich.

      »Aber wozu denn das alles?« (ich wies auf die Speisen) »Daran hat ja ein ganzes Regiment genug zu essen!«

      »Und zu trinken! Du hast die Hauptsache vergessen: zu trinken!« fügte Masslobojew hinzu.

      »Und das alles für mich allein?«

      »Und für Alexandra Semjonowna. Es hat ihr beliebt, das alles so zu arrangieren.«

      »Na, da haben wir’s! Das hab ich doch gewußt!« rief Alexandra Semjonowna errötend, aber ohne ihre zufriedene Miene zu verlieren. »Ich darf nicht einmal einen Gast anständig aufnehmen; gleich bekomme ich Vorwürfe!«

      »Vom frühen Morgen an (kannst du dir das vorstellen?), vom frühen Morgen an, sowie sie nur erfahren hatte, daß du zum Abend herkommen würdest, ist sie geschäftig gewesen; ihr Geist hat in Geburtswehen gelegen, um alles auszusinnen …«

      »Da hast du wieder gelogen! Nicht vom frühen Morgen an, sondern von gestern abend an. Als du gestern abend nach Hause kamst, da hast du mir gesagt, daß der Herr auf den ganzen Abend zu uns kommen werde …«

      »Da hast du dich verhört.«

      »Ich habe mich nicht verhört; sondern so war es. Ich lüge nie. Und warum sollen wir einen Gast nicht anständig aufnehmen? Da leben wir nun so dahin, und kein Mensch kommt zu uns, und dabei haben wir doch alle möglichen schönen Dinge im Hause. Mögen doch ordentliche Leute sehen, daß auch wir wie Menschen zu leben verstehen!«

      »Und mögen sie vor allen Dingen erfahren, was du für eine vorzügliche Wirtin bist und wie gut du alles zu arrangieren verstehst!« fügte Masslobojew hinzu. »Stelle dir nur mal vor, Freundchen, wie es mir selbst, mir selbst gegangen ist! Ein Hemd von holländischer Leinwand hat sie mir über den Leib gezogen und Knöpfchen hineingesteckt, und Pantoffeln und einen chinesischen Schlafrock habe ich anziehen müssen, und das Haar hat sie mir selbst gekämmt und pomadisiert, mit Bergamottenpomade; und mit Parfüm hat sie mich bespritzen wollen, mit crème brûlée; aber das habe ich nicht ertragen, da habe ich revoltiert und meine eheherrliche Macht herausgekehrt …«

      »Es war gar keine Bergamottenpomade, sondern die beste französische Pomade aus einem buntbemalten Porzellanbüchschen!« fiel Alexandra Semjonowna mit dunkelrotem Gesicht ein. »Urteilen Sie selbst, Iwan Petrowitsch: er läßt mich weder ins Theater noch zu einem Tanzvergnügen; er schenkt mir immer nur Kleider; aber was soll ich mit den Kleidern? Ich putze mich an und gehe allein im Zimmer umher. Neulich hatte ich ihn doch durch Bitten überredet, und wir hatten uns schon fertiggemacht, um ins Theater zu gehen; aber während ich mich einen Augenblick abwandte, um mir eine Brosche anzustecken, geht er an den Likörschrank und trinkt ein Glas nach dem andern, bis er betrunken ist. Da blieben wir denn zu Hause. Kein Mensch, kein Mensch, kein Mensch kommt zu uns zu Besuch; nur vormittags kommen allerlei Leute in Geschäften; dann werde ich hinausgejagt. Und dabei haben wir Samoware und ein Teeservice und schöne Tassen; alles haben wir, alles wird uns geschenkt. Und auch Lebensmittel werden uns als Geschenk ins Haus gebracht; wir kaufen fast nur Wein, und solche Pomade; nun ja, auch den Imbiß da, die Pastete, den Schinken und das Konfekt haben wir für Sie gekauft. Wenn doch jemand sähe, was wir für ein gutes Leben führen! Das ganze Jahr über habe ich gedacht: wenn einmal ein Gast kommt, ein richtiger Gast, dann wollen wir ihm auch das alles zeigen und ihn bewirten; und der Gast wird die Aufnahme loben, und wir selbst werden unsere Freude haben. Daß ich aber ihn, den


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