Heimatkinder Staffel 3 – Heimatroman. Kathrin Singer
Читать онлайн книгу.weiter ins Österreichische hinüber?«
»Das nehme ich an, sonst hätte er nicht diesen Weg genommen. Was hast du mit ihm zu tun? Hat er dir auch ein Kind angehängt? Du scheinst ihn doch jetzt zu suchen.«
»Nein, er hat mir kein Kind angehängt, aber ich möchte wissen, was aus ihm geworden ist. Er ist nämlich drüben im Österreichischen nicht angekommen.«
Es sah aus, als wolle sich Nani ducken. »Dann wird er wohl den Weg verfehlt haben und irgendwo abgestürzt sein. Nicht schad’ um ihn. Er soll drüben bei seinem Onkel auch mehrere Madln verführt haben. So einer war er eben, und ich bin auch auf ihn hereingefallen. Aber wart mal, Stepherl gibt jetzt keine Ruh’ mehr.« Nani ging in die Sennhütte. Wenig später kam sie mit einem kleinen Jungen heraus, an dessen Kleidung noch Heu hing.
»Mama«, weinte er, »ich will nicht mehr im Heu sein.«
Franzi sah in ein rundes Kindergesicht mit großen dunklen Augen. Hätte er fröhlicher dreingesehen, wäre seine Ähnlichkeit mit Uli aufgefallen. »Das ist doch ein ganz niedlicher kleiner Bursche«, sagte sie leise.
»Ja, wenn er nicht ein Balg wär’, das hier vollkommen überflüssig ist.« Nani schob den Jungen zur Seite. »Was soll ich denn mit ihm? Er wird mir hier nur zur Last. Wenn der Sommer vorbei ist, muss ich mit ihm zu meinem Vater zurück. Dort ist er erst recht überflüssig. Nein, ich kann den Buben nicht lieben, er macht mir alles kaputt, was ich erreichen wollte. Seinen Vater hätte ich sofort geheiratet, aber bei ihm war halt nicht mehr die Rede davon. Er hat sich nie zu seinem Kind bekannt, ich war für ihn nur ein Abenteuer, das er auf dem Weg ins Österreichische eben so mitnahm.«
»Aber jetzt ist Uli verschollen«, sagte Franzi.
Nani zuckte mit den Schultern. »Was kümmert’s mich? Vielleicht hat er nur bekommen, was ihm gebührt.«
Franzi zog den kleinen Stepherl zu sich. »Was bist du für ein liebes Kerlchen«, sagte sie, und dann setzte sie leise hinzu: »Ulis Kind.« Es wurde ihr wehmütig ums Herz, so verstört sie darüber auch war, dass Uli über dieses Kind nie ein Wort gesagt hatte.
Der kleine Junge drückte sich an sie, als sei er es nicht gewohnt, gestreichelt zu werden. »Du bist eine liebe Tante«, sagte er. »Mami ist gar nicht so lieb zu mir.«
Nani fuhr hoch. »Wie sollte ich das auch, wo du vollkommen überflüssig auf der Welt bist?«
»Das solltest du nicht sagen.« Franzi war entsetzt. »Der Bub kann doch nichts dafür, dass ihn sein Vater nicht wollte.«
»Ist schon gut«, meinte Nani, »du steckst ja nicht in meiner Haut. Geh jetzt weiter. Ich sehe schon, du suchst eine Spur von Uli, aber die wirst du nicht finden. Kehr in der Schutzhütte bei meinem Vater ein. Dort kannst du übernachten. Wenn du noch ins Österreichische hinüber willst, musst du eine Rast einlegen. Das hat selbst Uli immer getan, und er konnte sich etwas zutrauen.«
Franzi stand von der Bank auf, sie strich Stepherl noch einmal über den Kopf, dann schulterte sie ihren Rucksack. Wie ihr jetzt zumute war, hätte sie nicht sagen können. Sie wusste nur eines: dass Uli nicht ehrlich zu ihr gewesen war. Hier gab es ein Kind, dessen Vater er war. Sie glaubte Nani jedes Wort.
Als Franzi weiter bergauf stieg, die gewaltigen Felszacken schon vor Augen, kam sie nur langsam vorwärts. Diesmal nicht wegen der glühend heißen Sonne, sondern weil sie tief erschüttert war. Da gab es einen kleinen vernachlässigten Jungen, den Uli doch gesehen haben musste. Hatte dieser Stepherl nicht wenigstens Mitgefühl in ihm erweckt, wenn schon nicht Liebe? Hätte sie sich nicht auf diesen Weg gemacht, hätte sie nie etwas von Ulis Vaterschaft erfahren.
Es war wie ein Sturm, der durch Franzi ging. Einige Male überlegte sie, ob sie nicht umkehren sollte. Was wollte sie eigentlich noch erfahren? Ihre Beine wurden unter diesem seelischen Druck immer schwerer, sodass sie eigentlich in der Schutzhütte wieder eine Rast hätte machen müssen. Doch als sie nahe davor war, hörte sie laute Stimmen und ein Grölen, als sei dort jemand betrunken.
Nein, da hinein wollte sie nicht. Sie sah auf den Wegweiser, der an einem Steig stand. »Nach Brauneck« las sie. Dorthin wollte sie, in Brauneck war der Hof von Ulis Onkel. Nun raffte sie sich wieder auf und ging etwas schneller. Oft war der Steig kaum zu erkennen, die Gegend wurde immer wilder. Das ängstigte sie. Erst recht, als sie sich ausrechnete, dass sie Brauneck vor Einbruch der Dunkelheit nicht erreichen würde. Sie wusste nicht, ob sie noch auf deutschem oder schon auf österreichischem Gebiet war. Zöllner hatte sie nicht gesehen. Vielleicht waren sie die Männer in der Schutzhütte gewesen, die sich ihren langweiligen Dienst mit ein paar Maß Bier angenehmer machten.
Nun führte der Steig in eine Schlucht hinunter, und man sah, dass er sich auf der gegenüberliegenden Seite wieder hochschlängelte. Das ist ein Umweg, dachte Franzi und sah an dem Felsmassiv hinauf, vor dem sie stand. Sie war sicher, dass Uli den Weg darüber genommen hatte, aber konnte sie sich das zutrauen, nur um schneller an ihrem Ziel zu sein? Ein Schauer überfiel sie, wenn sie daran dachte, sich an dem Felsbrocken hochhangeln zu müssen. Nein, dem war sie nicht gewachsen. Vielleicht hatte es Uli mit dem Leben bezahlen müssen, dass er der Gefahr nicht aus dem Weg gegangen war.
Sie stieg nun in die Schlucht hinunter. Schon das war beschwerlich genug. Immer wieder sah sie auf das wilde Gestrüpp und die Steinmassen, aber sie entdeckte nichts Ungewöhnliches.
Dann blickte sie wieder zu dem Felsmassiv hinauf. Von dort oben konnte Uli in die Tiefe gestürzt sein. Was, wenn sie ihn jetzt vielleicht entdeckte? Dieser Gedanke jagte ihr Angst ein. Gleichzeitig aber wollte sie wissen, was aus ihm geworden war. Deshalb hatte sie sich doch auf diesen Weg gemacht! Der Zwiespalt, in dem sie steckte, und die große Einsamkeit um sie herum ließen sie immer ängstlicher werden. Auf dem Grund der Schlucht sah sie sich wie jemand um, der sich restlos verirrt hatte. Plötzlich sehnte sie sich nach Hause in den heimeligen Rehwinkel. Und sie sah Korbinian vor sich. Die Angst und Sorge in seinen Augen, als sie sich nicht hatte von diesem Marsch abbringen lassen!
Wie gut das tat, sich plötzlich Korbinian nahe zu fühlen! Er, der immer Zuverlässige, gab ihr wieder Kraft, nun aus der Schlucht hinaufzusteigen. Oben angekommen, erkannte sie, dass sie das schwerste Stück des Weges hinter sich hatte. Jetzt hoffte sie doch, Brauneck noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen.
Und sie schaffte es. Nachdem ihr ein älterer Mann den Weg zum Hof von Ulis Onkel gewiesen hatte, stieg wieder die Frage in ihr auf: Was will ich hier eigentlich? Welchen Zweck hatte ihre ganze Aktion eigentlich gehabt? Aber nun war sie an dem Hof Albert Stettners und ging auch hinein. Eine Wirtschafterin, von der Uli auch erzählt hatte, führte sie zu dem Bauern in die Wohnstube.
Er sah sie sehr verwundert an, als sie sagte, wer sie war. Betont setzte sie hinzu: »Uli wollte mich heiraten, nachdem er sich mit Ihnen wieder versöhnt hatte. Wir hofften beide, dann zu Ihnen auf den Hof kommen zu können.«
Albert Stettner fuhr sich ein paarmal durch seinen Vollbart, dann zeigte er auf einen Sessel. »Dirndl, setz dich erst einmal. Natürlich kannst du auch bei uns übernachten. Willst du was essen und trinken?«
»Nur etwas trinken«, antwortete Franzi.
Der Bauer stand auf. »Ich hol’ dir einen heißen Tee und ein Glas Enzian dazu. Du kommst mir vor, als tät’ dir das gut. So, Franzi heißt du also? Von dir hat der Uli aber nie gesprochen.«
»Wir sind uns ja erst einig geworden, als er nach dem Streit mit Ihnen nach Hause kam. Es ist so, wie ich sagte, wir hatten uns sehr gern.«
»Ich komm’ gleich wieder.« Der Bauer ging hinaus. Es dauerte nicht lange, bis er mit einem Glas dampfendem Tee und einem Glas Enzianschnaps zurückkam. »Da nimm ein paar Schlucke und sag mir, warum du hierhergekommen bist. Dass der Uli noch lebt, können wir doch nicht hoffen. Ich habe es ja meinem Bruder geschrieben, dass er nie bei mir angekommen ist. Du wirst doch nicht am Ende gedacht haben, mehr als die Polizei herauszufinden?«
Franzi senkte den Kopf. »Doch, das muss ich wohl gedacht haben. Mir will es einfach nicht in den Sinn, dass der Uli tot sein soll.«
Nun machte der Bauer ein grimmiges Gesicht. »Nein, das will einem nicht in den Sinn, und es könnte