Das Leben der galanten Damen. Pierre de Brantôme
Читать онлайн книгу.und als er später selbst den Thron bestieg, sah er seinen Bruder Alençon gegen sich verschworen. Die Mignons und die Rodomonts, die Stutzer und die Renommisten waren bei alledem an dem entarteten Hof im Steigen. Bald vermochte er ganz ernstlich mit Madrid und Neapel zu rivalisieren, ja jetzt sahen die Leute da unten nach Frankreich hinauf als in das Zentrum der feinen Lebensart. Brantôme hatte diese Erkenntnis zuerst, und er bemerkte sie gerne, ja er schürte sie noch, schon damals wollte der Franzose allen andern Völkern überlegen sein.
Die Folgen der Bartholomäusnacht zerbrachen den schwachen König. Hin und her flackerte sein Temperament, er wurde finster und ungestüm. Er bekam schreckhafte Halluzinationen, er hörte die Geister der Erschlagnen durch die Luft sausen, durch übermenschliche körperliche Anstrengungen suchte er sein Gewissen zu betäuben und sich Schlaf zu verschaffen. Unaufhörlich lag er der Jagd ob, blieb 12 bis 14 Stunden unausgesetzt im Sattel, oft drei Tage hintereinander; wenn er nicht jagen konnte, trieb er Fechtübungen oder Ballspiel oder stand drei bis vier Stunden am Schmiedeamboß, einen kolossalen Hammer schwingend. Endlich warf ihn in Vincennes die Schwindsucht nieder. Noch auf seinem Krankenlager vertrieb er sich mit literarischen Arbeiten über seine Lieblingsbeschäftigung die Zeit, er schrieb am Livre du Roy Charles, einer Abhandlung über die Naturgeschichte und die Jagd der Hirsche. Beim 29. Kapitel nahm ihm der Tod die Feder aus der Hand. Das hinterlassene Bruchstück verdient Lob, es war gut durchdacht und nicht übel geschrieben.
Es ist immer mißlich, wenn man einem König nachsagen muß, mehr Talent zu einem Schriftsteller gehabt zu haben als zu einem König. Es chokiert, aber es ist wahr: die Valois waren eine literarische Rasse. Übler als in seinem Werkchen sah's in Frankreich aus, das befand sich 1577 in einem traurigen Zustand; überall sah man Ruinen zerstörter Dörfer und Schlösser; weite Strecken unbebauten Landes, da der Viehstand zumal sehr gemindert war; eine Masse faulenzenden und vagabundierenden Gesindels, an Krieg und Raub gewöhnt, dem Wanderer und dem Landmann gefährlich. Jede Provinz, jede Stadt, ja fast jedes Haus durch die Parteiwut in feindliche Faktionen geteilt.
Und schon hatte Alençon zu wühlen begonnen, Franz von Alençon, der vierte der Brüder, der sich ins Alter kommen fühlte, der letzte Valois. Karl IX. verabscheute ihn und ahnte seine geheimen Intrigen. Der andere Bruder, Heinrich, mußte ihn, um sich sicher zu fühlen, auf Schritt und Tritt belauern.
Heinrich III., vormals Heinrich von Anjou, war kaum 25 Jahre alt, indes war schon, genau wie bei seinen Brüdern, seine Kraft erschöpft. Bloß die Herrschsucht (die ihn schon auf den polnischen Königsthron geführt hatte) loderte noch ungeschwächt in ihm. Er war der zierlichste, eleganteste und geschmackvollste Valois, es war auch von ihm nicht anders zu erwarten, als daß er neue Formen strenger Etikette einführte. D'Aubigné erzählt uns, daß er über Werke des Geistes gut zu urteilen verstand und einer »der eloquentesten Männer seines Zeitalters« war. Er fahndete auch immer nach Poesien für seine verliebten Regungen. Ein schwelgerisches, genußsüchtiges Palastleben riß ein; Mangel an sittlicher Haltung, moralischer Unwert ist noch das Mildeste, was ihm die zeitgenössischen Chronisten vorwerfen. Obwohl fein gebildet und ein Freund der Wissenschaften, Dichtung und Künste, sowie von der Natur mit gutem Verstand begabt, war er doch durchaus frivol, gleichgültig, körperlich und geistig träge; die Jagd verabscheute er fast nicht weniger als die sorgsame Erledigung der Regierungsgeschäfte. Am liebsten weilte er unter Weibern, selbst weibisch geputzt, mit zwei oder drei Ringen in jedem Ohr. Meist erkannte er das Richtige sehr wohl, aber Lüste, Bequemlichkeit, Nebensächliches hinderten ihn, es auszuführen. Alle ernsteren und tüchtigeren Männer entfernte er von sich und umgab sich mit unbedeutenden Stutzern, den sogenannten Mignons, mit denen er tändelte und sich putzte, und denen er die Leitung des Staates preisgab. Diese eingebildeten jungen Menschen ohne jedes Verdienst schmarotzten am Hofe. In seiner Französischen Geschichte (I. 265) erzählt Ranke: »er umgab sich mit jungen munteren Leuten von angenehmem Äußern, die in Sauberkeit der Kleidung, Zierlichkeit der Erscheinung mit ihm wetteiferten. Günstling, Mignon zu sein, war nicht eine Sache momentanen Wohlgefallens, sondern eine Art von fester Stellung.« Die Assassinenmoral feierte Triumphe. D'Aubigné geißelt den schreckenerregenden Zustand des Hofes und des öffentlichen Lebens. »Damals war alles erlaubt, nur nicht gut reden und gut handeln«, sagt ein anderer Chronist. Und was verschlang dieser leichtfertige, skandalöse Hofhalt? Ein so jämmerlicher Mensch wie Heinrich III. brauchte für seine persönlichen Vergnügungen jährlich eine Million Goldtaler, nach heutigem Geld etwa vierzig Millionen Mark. Und dabei mußte der gesamte Staatshaushalt mit jährlich sechs Millionen bewältigt werden; denn mehr war aus dem Land nicht herauszupressen. »In einem Tagebuch der Zeit«, sagt Ranke (S. 269), »werden die gewaltsamen Mittel, zu Geld zu gelangen, und die Vergeudung desselben an die Günstlinge unmittelbar nebeneinandergestellt, und man sieht, welch einen widrigen Eindruck beide zusammen hervorbrachten.« Dazu kam der Kontrast zwischen seinem religiösen und seinem weltlichen Leben; das eine Mal schleifte er seine Gefühle in Orgien, das andere Mal in Prozessionen herum. Er brachte es fertig, in einem Augenblick die weibischste Kleidung gegen das Büßerhemd zu vertauschen, statt des juwelenbesetzten Gürtels legte er sich einen mit Totenköpfen um. Und damit auch der Satan nicht fehle, bekam die vom Edikt von Blois eingesetzte Feuerkammer (»chambre ardente«) während seiner Regierung reichliche Arbeit. Daß er endlich von seiner kränkelnden Gemahlin keine Kinder haben werde, stand ebenfalls fest.
Dieser Heinrich III. zog noch als Herzog von Orleans den damals vierundzwanzigjährigen Brantôme in seine Nähe und ernannte ihn dann bei seinem Regierungsantritt zu seinem Kammerherrn. Die Ernennung erfolgte 1574. Um dieselbe Zeit aber machte sich Franz von Alençon bemerklich. In der Folge trat Brantôme zu Alençon in ein ganz vertrautes Verhältnis.
Alençon wird uns von wohlgebildeter, wenn auch kleiner Gestalt geschildert, aber mit groben und rohen Gesichtszügen, von weibischer Reizbarkeit und Leidenschaftlichkeit, von mehr als weibischer Feigheit; dabei unstet, ehr- und habgierig. Er wurde auch ein ganz eitler leichtfertiger Mensch ohne jede politische oder religiöse Überzeugung. Dabei war er von früh an schwächlich und kränklich und stak voll verdorbener Säfte. Sein Bruder Heinrich, der ihn bitter haßte und verachtete, hielt ihn, solange er konnte, in kaum verhüllter Gefangenschaft. Da revoltierte Alençon, er sammelte Heere, er gründete eine neue ultra-königliche Partei und zog gegen Paris. Er wollte sogar einmal seine Mutter (die immer noch ihre Fäden über das Königreich hinspann) vom Hof wegjagen. Man mußte mit ihm unterhandeln, und es gelang ihm, eine Ausstattung zu erpressen, die der königlichen Autorität fast gleichkam. Er bekam fünf Herzogtümer und vier Grafschaften, und sein Gerichtshof konnte Todesurteile fällen; er hatte eine Garde, ein reich livriertes Pagenkorps und führte einen glänzenden Hofhalt. Man muß ihn sich vorstellen, wie ihn Ranke schildert: »von kleiner, gedrungener Gestalt, kräftiger Haltung; dichtes schwarzes Haar lag ihm über dem unschönen, dunkeln, pockennarbigen Angesicht, das jedoch durch ein lebendiges Auge erhellt wurde.«
Diesem Alençon ist das Buch der galanten Damen gewidmet. Er sah es nicht mehr. Brantôme muß es aber noch unter seinen Augen begonnen haben. Aber schon 1584 starb Alençon, einunddreißig Jahre alt.
Fünf Jahre später fiel Heinrich III. unter dem Dolch des Jacques Clément. So war der scheinbar so fruchtbare Stamm Heinrichs III. schon in seinen Söhnen verwelkt. Eine salisch minderwertige Schwester, die noch übrigblieb, war auch nur ein Gefäß der Sittenlosigkeit.
Ihr Gemahl, Heinrich IV., kam in ein ausgesogenes Land. Die Schuldenlast, die er bei Antritt seiner Regierung vorfand, ließ deutlich erkennen, wes Geistes Kind die vorhergegangenen Regierungen waren. 1560 hatte der Staat dreiundvierzig Millionen Livres Schulden, gegen das Ende des Jahrhunderts waren sie auf dreihundert angewachsen. Die Valois verkauften Titel und Würden an die Reichen, preßten sie sogar noch dazu und waren schließlich auch imstande, das Kind im Mutterleib zu verpfänden. 1595 sagte Heinrich IV. in Blois, daß »der größte Teil der Meierhöfe und fast alle Dörfer unbewohnt und leer ständen«. An den steigenden Ziffern der Verschuldung kann man das Maß der höfischen Verrottung förmlich ablesen. Unter Karl IX. und Heinrich III. war es, zwischen 1570 und 1590, daß die Zügellosigkeit des Hoftreibens jene gewaltigen Dimensionen annahm, die es Brantôme ermöglichten, eine solche Unzahl von Histörchen und Anekdoten beizubringen. Katharina von Medici, die ihr Geschlecht noch um ein Jahr überlebte, deren Einfluß am Hofe übrigens selbst während dieser ganzen Zeit fortbestand, scheint selbst keine Heilige gewesen zu sein;